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AW: Persönliche Gedanken zu den Tageslosungen


Teil 4:



3. Der Missionsbefehl 


von Herbert Schnädelbach



Was im Christentum dem humanistischen Respekt vor dem natürlichen Menschen von allem Anfang an entgegenstand, war der Missionsbefehl. Im Matthäusevangelium heißt es: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie taufet im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe" (Matthäus 28, 19 f.). Hier werden die "Völker" nicht gefragt, ob sie getauft und zu Jüngern gemacht werden wollen, sondern die Taufenden dürfen sich als Vollstrecker "aller Gewalt im Himmel und auf Erden" verstehen; die Zwangstaufen sind dafür der Beleg.

Der Missionsbefehl ist ein Toleranzverbot, denn was anders ist als christlich, ist nur dazu da, getauft zu werden. Von Duldsamkeit gegenüber den anderen brauchte freilich so lange keine Rede sein, wie die Christen selbst eine verfolgte und geduldete Minderheit in einer heidnischen Umwelt waren; in der Perspektive einer Kultur hingegen, die sich längst als christliche etabliert hat, bedeutet das Missionsgebot den Auftrag zur Ausrottung des Heidentums weltweit, das heißt die theologische Ermächtigung zum christlichen Kulturimperialismus. Dass die Missionare selbst zunächst friedliche Mittel bevorzugten, kann man zugeben, aber sie hatten auch nichts dagegen, wenn nach ihnen die Händler und dann die Kanonenboote kamen. Und wie Beispiele aus Brasilien zeigen, kommen heute erst die dollargespickten Missionare der fundamentalistischen Sekten und dann die Ölmultis.

Das Judentum ist insofern tolerant, als es nicht missioniert, und der Islam hat trotz seines Missionsdranges immer die beiden Schriftreligionen Juden- und Christentum respektiert; so blühte die jüdische Kultur unter muslimischer Herrschaft, und die orthodoxen Völker konnten im Osmanischen Reich immerhin im kirchlichen Raum ihre kulturelle Identität bewahren. Religiöse Toleranz ist keine christliche Tugend, denn sie verstößt gegen den Missionsbefehl. Das kirchliche Misstrauen gegen Lessings Nathan war wohlbegründet, denn die Möglichkeit einzuräumen, dass die Juden oder die Muslime den echten Ring besitzen könnten und nicht die Christen, bedeutete den Einbruch der Skepsis in die kirchenoffizielle Glaubensgewissheit der einen und einzigen Wahrheit. Wo das Christentum tolerant wird, hat es sich in Wahrheit schon aufgegeben, auch wenn es dann noch als Privatangelegenheit fortlebt oder als eine moralische Grundhaltung, zu deren Begründung die Bibel entbehrlich ist.


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