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AW: Österreich ein Land voller Nazis?




Hallo WolfgangG,


dein letzter Beitrag spiegelt m. E. einen bemerkenswerten Realitätsbezug wider.

Hier meine Antwort in Form eines Auszuges aus der Fachliteratur:



ZUR ENTWICKLUNG DES RECHTSEXTREMISMUS NACH 1945


Rechtsextremismus als politisch-ideologische Strömung hat sowohl aktuelle gesellschaftliche Ursachen als auch Wurzeln in historischen Traditionen, wobei in Deutschland und Österreich besonders politische, ideologische und personelle Kontinuitäten zum Nationalsozialismus bzw. pränazistischen Deutschnationalismus zu berücksichtigen sind. Schon unmittelbar nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten 1945 hatten die antinazistisch orientierten Gründerparteien der Zweiten Republik ÖVP, SPÖ und KPÖ wichtige Maßnahmen zur Überwindung des Nationalsozialismus gesetzt: Mit dem Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 wurden die NSDAP sowie jede Neugründung und Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne verboten und Österreich damit eine antifaschistische Verfassungsordnung gegeben. Bis heute blieb dieses Gesetz die zentrale Bestimmung zur juristischen Bekämpfung neonazistischer Aktivitäten. Die unter dem Druck der Alliierten vorgenommene "Entnazifizierung", die Säuberung von Staat und Gesellschaft von NS-Anhängern, war jedoch angesichts des Umfanges und der administrativ-bürokratischen Vorgangsweise zum Scheitern verurteilt; sie war insbesondere nicht imstande, das Gros der ehemaligen NSDAP-Mitglieder und Sympathisanten von ihren tiefsitzenden ideologischen Vorstellungen, Vorurteilen und Verhaltensweisen zu "reinigen". Noch 1945 hatte sich eine grundlegende politische Klimaänderung zu vollziehen begonnen, die dem vielzitierten antifaschistischen "Geist von 1945" bald ein Ende bereitete. Im Zuge des kalten Krieges zwischen Ost und West wurden die Nationalsozialisten, die sich ja stets als die Vorkämpfer gegen den Bolschewismus ausgegeben hatten, wieder aufgewertet. Die mehr als 500.000 registrierten Nationalsozialisten (und deren Angehörige) stellten nach der Wiedererlangung des (ihnen 1945 entzogenen) Wahlrechtes bei den Parlamentswahlen 1949 ein beträchtliches Wählerreservoir für die drei Parlamentsparteien dar, auf das keine der Parteien verzichten wollte. Ein nicht geringer Teil der ehemaligen Nationalsozialisten wurde als Funktionäre, Mitglieder und/oder Wähler in ÖVP und SPÖ integriert, wobei auch politische und und bewusstseinsmäßige Zugeständnisse an die ehemaligen Nazis gemacht wurden (Verdrängung der NS-Vergangenheit, Zurückschrauben der Täterverfolgung, Wiedereinstellung von entlassenen Beamten, Lehrern, Professoren, Juristen, Polizisten etc.). Trotz dieses Opportunismus der demokratischen Parteien kam es zur Rekonstruktion des "nationalen Lagers" - in Österreich noch immer gleichbedeutend mit deutschnational und partiell identisch mit rechtsextrem. Im Gefolge des bei den Wahlen 1949 als Auffangbecken für die "Ehemaligen" (NSDAP-Mitglieder) zugelassenen Verbandes der Unabhängigen (VdU) bildeten sich nach und nach, verstärkt aber nach dem Abzug der Alliierten aus Österreich 1955 verschiedene Organisationen, deren Vorläufer zum Teil bereits 1933 bestanden hatten und die ein breites Spektrum von kaum verhülltem Neonazismus bis zu gemäßigterem Deutschnationalismus abdeckten. Auseinandersetzungen zwischen einem kleinen tendenziell eher liberalen und dem deutlich stärkeren "nationalen" Flügel führten 1955 zur Spaltung des VdU, aus dem 1956 die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ, später auch F) entstand. An der Spitze der FPÖ, die als einzige österreichische Parlamentspartei bis heute ein deutschnationales Bekenntis in ihrem Programm führt, standen ehemalige Nationalsozialisten, wie z. B. der NS-Minister Anton Reinthaller und der SS-Offizier Friedrich Peter.       


Quelle:

... ihrer Überzeugung treu geblieben,

Rechtsextremisten, "Revisionisten" und Antisemiten in Österreich,

Hrsg.: DÖW, Wien 1996,

ISBN 3-901142-29-0,

S. 6 u. 7.



Mit freundlichen Grüßen,

Harald


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