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Auf Thema antworten

Hallo.

Ich bin angenehm erfreut, diese Diskussion bisher in sehr sachlichen Bahnen verlaufen zu sehen.

Ich möchte das Augenmerk auf einen weiteren Aspekt lenken, den sozialen. Das Nebeneinander oder auch Ineinander von Kulturen muss man sich neutral erstmal rein vertikal vorstellen, d.h. von vornherein steht keine Kultur über einer anderen. In der Praxis aber korrelieren bestimmte Kulturzugehörigkeiten und bestimmten Schichtzugehörigkeiten. Die meisten Probleme entstehen m.E. erst, wenn im Selbstbild und im Fremdbild von Kulturen sofort bestimmte soziale Stände assoziiert werden, wenn man also einem Türken kaum zutraut, in die Oberschicht aufzusteigen, während man das einem zugezogenen weißen Amerikaner oder Franzosen sofort zugesteht. Ich glaube, über die Assoziation der sozialen Stellung entsteht ein zweiter Regelkreis, der die "kulturellen Grenzen" zementiert.

Umgekehrt wächst das ideal einer Multikulti-Gesellschaft vor allem in der Oberschicht, aus der Position einer abgesicherten, ja luxeriösen Existenz mit Bioladen und Gesundheitsschuhen, kann die Bereicherung einer fremden Kultur erst entspannt angenommen werden - natürlich nur bis dahin, wenn die eigenen Kinder zur Schule gehen müssen ;)


Zum Begriff Assimilation oder Integration. Assimilation bedeutet ja wohl übesetzt "Ähnlichwerdung" oder gar "Gleichwerdung". Das mag in dem ein oder anderen Fall so aussehen, man muss aber bedenken, dass sich in der Zeit der Assimilierung auch die Beobachter verändert haben, also ebenfalls einen Anpassungsprozess ihres Selbst und ihrer Beobachtungsweise durchlebt haben. Diese gegenseitige Assimilation ist dann zwar sehr unsymmetrisch, dennoch sollte man die Wechselseitigkeit des Prozesses betonen, schon um kultureller Arroganz vorzubeugen. ALs ob die eigenen Kultur so stark wäre, dass sie quasi zementiert werden muss.


Zum Dritten möchte ich noch den Aspekt der Integration auch auf Ebene der vorherrschenden Kultur beobachten. So wird das Problem der Integration oft fast ausschließlich bei den Zuwanderen gesehen. Es ist deren Schwäche, dass sie die Integration nicht schaffen. Gleichzeitig bestimmt aber die momentane "Stärke" der vorherrschenden Kultur, wie sehr Integration möglich ist. Es ist m.E. evident, dass wenn die vorherrschende Kultur schwächelt, sie dann verstärkt Grenzen zieht über den oben beschrieben doppelten Regelkreis von Schicht- und Kulturdifferenzen. Sie versucht sich dann "stark" zu machen über Abgrenzung. Dies wird von anderen Kulturen aufgenommen und beschleunigt dann die Vertiefung von Gräben, die vielleicht anfangs nur schmale Spalten waren.


Die vorherrschende Praxis erweckt den Anschein, als seien die Probleme des Nebeneinanders von Kulturen extrem groß (wobei ich die Ansicht von scilla, die Türken seien in Berlin türkischer als in der Türkei in ihrer Verallgemeinerung stark anzweifeln will). Ich denke aber, man kann sie nicht verstehen, ohne die sozialen Aspekte in sie hinein- bzw. aus ihnen herauszurechnen.

Das nun in konkrete Ergebnisse oder Maßnahmen umzumünzen ist natürlich sehr schwierig. Für alle aufmerksamen und intelligenten Menschen möchte ich plädieren, weiterhin bei jeder Fremdbeobachtung auch die Eigenbeobachtung nicht zu kurz kommen zu lassen.


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