Patrice, wir reden in manchen Punkten aneinander vorbei.
Gleichheit
Ich hatte in meinem vorangegangenen Beitrag gesagt: „Theorien scheitern, da diese fälschlicherweise davon ausgehen, dass alle Menschen gleich sind und sie verwechseln dies mit der Idee der Gleichheit vor dem Gesetz.“
Wir müssen uns immer wieder klar machen, dass die sehr verklärte Aussage „Alle Menschen sind gleich“ eben genau diese verschiedenen Aspekte der Interpretation in sich trägt. Einmal die Gleichheit als solche, also die Annahme, dass wir in unseren Qualitäten und Eigenschaften gleich sind und andererseits, dass wir gleiche Rechte und eine gleiche Wertigkeit besitzen.
So bejahe ich die Wertigkeit, lehne es aber ab, die Menschen ansonsten in einen Topf zu werfen und eine Gleichheit ihres Wesens anzunehmen. Diese Differenzierung führt dann eben auch dazu, dass es unterschiedliche Lebensformen und Werte gibt, welche die Menschen im konkreten Fall bestimmen und lenken. So ist das Wertesystem eben nie das gleiche und somit kann man auch nie für alle Menschen oder die Menschheit sprechen. Genau aus diesem Grunde haben wir die Religionsfreiheit und die Freiheit unser Leben nach unserem Gutdünken zu leben.
Das Ziel eines besseren Lebens bedeutet in seiner Konsequenz daher für Menschen immer wieder etwas anderes und dies nicht nur aus kulturellen oder religiösen Gründen, sondern aus ganz individuellen Gründen. Somit ist auch ein Moslem nicht wie ein anderer und nicht jeder Europäer das Gleiche.
Was alle verbindet ist nur das Streben nach Glück und Zufriedenheit. Doch die Wege dorthin sind außerordentlich unterschiedlich und das muss bei einer solchen Diskussion immer berücksichtigt werden.
Inhalt
Was ein Individuum nun als lebenswert und als ein gutes Leben ansieht ist absolut unterschiedlich. So wirst du kaum Gemeinsamkeiten zwischen einem indischen Guru und einem Manager an der Wall Street finden. Und auch innerhalb eines Landes wie Deutschland wirst du heftige Diskussionen entfachen, wenn es um den Weg zum Glück geht. Doch genau mit diesem Weg ist auch die Frage der Inhaltslosigkeit verbunden. Strebe ich nach materiellen Werten, nach Anerkennung und Ruhm oder suche ich meine Erfüllung in anderen Werten wie Menschlichkeit, Erleuchtung, der Natur oder der Liebe. Je nach Inhalt, werden sich auch andere Verhaltensformen ergeben und darin unterscheiden wir uns dramatisch.
Unzufriedenheit
Ich kann nun nicht behaupten, dass der durchschnittliche Europäer unzufriedener ist. Ich kann aber meinen Eindruck hernehmen und zum Beispiel sehen, wie sich Menschen in ihrem Leben verhalten, wie sie mit Problemen umgehen und wie sie ihr gesellschaftliches Leben gestalten. Und daraus ergibt sich für mich, ganz persönlich, die Vermutung, dass es gerade in Europa und dort vor allem in Deutschland, eine Entwicklung gibt, die zu einer zunehmenden Unzufriedenheit führt. Ich persönlich sehe das Problem darin, dass die kulturellen Werte vernachlässigt werden und die Menschen sich auf den Konsum und das Haben konzentrieren und nicht, wie Fromm dies dargelegt hat, das Sein. Daraus ergibt sich eine innere Leere, die nicht durch mehr Konsum befriedigt werden kann und das Selbstwertgefühl muss künstlich aufrecht gehalten werden. Wenn ich zu Besuch in Deutschland bin, dann empfinde ich so, wie viele Besucher, dass es ein sehr hohes Level an Gejammer und Klagen gibt und dies auf einem extrem hohen Niveau. Und, anstatt sich wieder mit sich selbst zu beschäftigen und mehr Inhalt ins eigene Leben zu bringen, ruft man dann nach einer Änderung des Systems. Das ist für mich einfach der falsche Ansatz.
Die Werte und die Menschlichkeit werden daher nur bei denen überleben, die einen entsprechenden Inhalt in ihrem Leben identifiziert haben und danach leben. Menschen also, die denken, sich entwickeln und danach streben, Mensch zu werden.