Nietzsches Gottessehnsucht
Selbst einen Menschen, der jeden Urgrund ablehnt, verzehrt die Sehnsucht nach einem bergenden Ewigen, wie folgender Text aus Nietzsches Zarathustra belegt.
Wer wärmt mich, wer liebt mich noch?
Gebt heiße Hände!
Gebt Herzens-Kohlenbecken!
Hingestreckt, schaudernd,
Halbtotem gleich, dem man die Füße wärmt -
Geschüttelt, ach! von unbekannten Fiebern,
Zitternd vor spitzen eisigen Frost-Pfeilen,
Von dir gejagt, Gedanke!
Unnennbarer! Verhüllter! Entsetzlicher!
Du Jäger hinter Wolken!
Darniedergeblitzt von dir,
Du höhnisch Auge, das mich aus Dunklem anblickt: - so liege ich,
Biege mich, winde mich, gequält
Von allen ewigen Martern,
Getroffen
Von dir, grausamster Jäger,
Du unbekannter - Gott!
Triff tiefer!
Triff einmal noch!
Zerstich, zerbrich dies Herz!
...
Du schadenfroher unbekannter Gott? -
Haha! Du schleichst heran?
Bei solcher Mitternacht
Was willst du? sprich!
Du drängst mich, drückst mich -
Ha! schon viel zu nahe!
Weg! Weg!
Was willst du dir erstehlen?
Was willst du dir erhorchen?
Was willst du dir erfoltern,
Du Folterer!
Du - Henker-Gott!
Oder soll ich, dem Hunde gleich,
Vor dir mich wälzen?
Hingebend, begeistert-außer-mir,
Dir - Liebe zuwedeln?
Du Räuber hinter Wolken!
Sprich endlich!
Was willst du, Wegelagerer, von mir?
Du Blitz-Verhüllter! Unbekannter! sprich,
Was willst du, unbekannter - Gott? - -
Haha!
Mich - willst du? Mich?
Mich - ganz?...
Haha!
Und marterst mich, Narr, der du bist,
Zermarterst meinen Stolz?
Gib Liebe mir - wer wärmt mich noch?
Wer liebt mich noch? - gib heiße Hände,
Gib Herzens-Kohlenbecken,
Gib mir, dem Einsamsten,...
Gib, ja ergib
Grausamster Feind,
Mir - dich! - -
Davon!
Da floh er selber,
...
- Nein! Komm zurück,
Mit allen deinen Martern!
Zum Letzten aller Einsamen
O komm zurück!
All meine Tränen-Bäche laufen
Zu dir den Lauf!
Und meine letzte Herzens-Flamme -
Dir glüht sie auf!
O komm zurück,
Mein unbekannter Gott! Mein Schmerz!
Mein letztes - Glück!
Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Leipzig 1899, S. 366 ff
Gruß manni