Almdudler
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Was einem Österreicher als erstes auffällt ist der Lärmpegel und der schnelle Rhythmus. Mailand hat’s eilig. Die Stoßzeit ist ein einziges Geschiebe und Gedränge, man wird gegangen.
Der Durchschnittsverdiener kann sich eine Wohnung in der Stadt Mailand selbst kaum leisten und muß sich in einen der unzähligen Vororte einrichten. Der Verkehr ist dementsprechend, denn „Milano da il pane“, aber wohnen lässt sich die Stadt sehr teuer bezahlen. Staus und Gehupe, ein Verkehrsaufkommen, das ungefähr das Dreifache von dem in Wien ist.
Die öffentlichen Verkehrsmittel funktionieren gut, aber so ausgeklügelte Verbindungen wie in Wien, Graz, Linz, Salzburg oder Innsbruck darf man sich nicht erhoffen. Italiener lieben ihr Auto, die Mailänder ganz besonders. Vor allem sind die meisten der Eiligen Pendler. Die Stadt Mailand selbst hat 1,2 Millionen Einwohner, mit dem Speckgürtel rund herum mehr als 3 Millionen. Zeitig in der Früh: Vorortezüge (wenn die Ferrovie dello Stato nicht gerade streiken) oder endlose, zähe Blechlawinen. Dementsprechend würzig kann die Luft sein. Das Leben dort ist für einen Durchschnittsbürger so unspektakulär wie in allen Großstädten.
Mailands U-Bahn, einigermaßen neu, aber das Netz ist nicht so dicht wie in Wien. Der Knotenpunkt ist die Station „Centrale FS“ des Hauptbahnhofes. Auf Armbanduhren, Schmuck, Handtaschen und Geldbörseln muß man achtgeben. Langfinger sind in der U-Bahn gerne Unterwegs, flugs ist man seine Barschaft los.
„Borsaioli“ (Taschendiebe) sind allgegenwärtig. Bietet Mailand doch genügend gefüllte Brieftaschen, die womöglich aus feinstem Leder und mit einem Markenzeichen geschmückt sind.
Sie fährt auch in einige Vororte, aber dafür wird extra bezahlt.
Zug fährt ab“, mit derlei hält man sich in Mailand nicht auf. Zack, die Türen schließen sich mit einem kurzen Scheppern. Gewartet wird in Mailand nicht, die Metropole hat keine Zeit für charmante Nebensächlichkeiten wie Wien. Mailand sagt oft statt „buon giorno“, „buon dì“, vermutlich weil letzteres kürzer ist.
In Mailand wird fest gehackelt. Die Lombardei erzielt zusammen mit Südtirol, sowie dem Piemont das höchste Wirtschaftsprodukt Italiens. „Tanto lavoro!“ wurde in meiner Gastfamilie oft gestöhnt, als am Abend alle bei Tisch saßen, das war allerdings im Valtellina, wo viele nach Mailand pendeln. Bereits um halb Sieben in der Früh sind die Züge voll.
Hauptbahnhof Milano Centrale. Der Knotenpunkt. Des Morgens auch für Pendler, die sich in U-Bahn und Autobusse quetschen. Stets ein kurzer Blick auf die Uhr.
Keine Verschnaufpause für die Pendler in Milano Centrale...
Cadorna – Milano Nord ist ein weiterer Ankunftspunkt für Pendler aus den Vororten und der weiteren Umgebung.
Gefrühstückt wird fast gar nicht. In Mailand geht man in die Bar am Vormittag, auf einen kurzen Kaffee und eine Brioche. Zwei Minuten...
Caffè corretto, macchiato scuro, capucciono, una brioche. Als es noch freiere Zeiten waren, zu meiner Zeit, war meistens ein Packerl MS-Filtro bei der Bestellung. An der Kassa bestellen, zahlen, mit dem „scontrino“, dem Kassazetterl, zum Barmann, der die Kaffee-
Maschine zischen läßt und das Kipferl mit einer unbeschreiblichen Flinkheit auf einen Porzellanteller zu einer gefalteten Serviette legt. Für zwei, drei Minuten Genuß. Ein Geruch nach gerösteten Kaffeebohnen, Marzipan und Süßgebäck. In der Vitrine Tramezzini mit Spinat, Schinken, Mozarella oder Ei. Mailand macht schließlich Mittagspause, selbst wenn diese nur kurz ausfällt...
Hektisches Klimpern von Häferln, Gläsern und Besteck... Der Umgangston ist höflich, aber knapp. Als in Lirezeiten, die Hunderter- oder Fünfzigermünzen ausgingen, bekam man ein Minzbonbon zum Wechselgeld, mit einem kurzen „mi dispiace“. Lange herumgeredet wird in Mailand nicht, schon gar nicht an einem Wochentag. Schließlich ist man nicht in Rom, der mißtrauisch beäugten Hauptstadt, die, nach Meinung gar nicht weniger Mailänder, das schwer verdiente Geld wegsaugt. Mailand zeigt Rom gerne den Vogel, gefolgt von einer abfälligen Bemerkung. Zu mehr lässt man sich nicht herab, Zeit ist Geld...
Mailand zeigt sich beim Flanieren durch die Innenstadt. Die Galleria Vittorio Emanuele ist der Lauftsteg der Mondäne. Und diese Eigenschaft macht Mailand einzigartig. Eine Metropole, die kein Babylon wie New York oder London ist, sondern einzig durch von ihr selbst erzeugte vollkommene Ästhetik zur Weltstadt wird. Das Auge der Stadt zieht sich zusammen, wenn es Touristen in kurzen Hosen und Sandalen durch die Galleria stapfen sieht. Die Bewohner Mailands legen auf das Äußere sehr viel Wert. Man hat schließlich einen Ruf zu verteidigen. Nach der Arbeit schlendert man gerne auf der Piazza Duomo, in der Galleria, setzt sich auch auf einen Mauervorsprung oder eine Stufe und sieht der Stadt beim eleganten Stelldichein zu.
In der Galleria befindet sich das berühmte Biffi, wo der Caffè macchiato so teuer ist, daß man es sich besser überlegt. Ebenso in der Galleria ist die berühmteste Buchhandlung der Stadt, die Libreria Rizzoli. Dort wurde Salman Rushdies Werk „Die Satanischen Verse“ zum ersten Mal in italienischer Sprache dem Publikum vorgestellt. Die Menschen standen Schlange, die
Buchhandlung mußte von den Carabinieri rund um die Uhr bewacht werden. „I Versi Satanici“ wurden zu einem Verkaufsschlager. Mailand hat feine Antennen für Trends, die nach allen Himmelrichtungen ausgerichtet sind und reagiert blitzschnell. Bei Rizzoli zu stöbern und zu schauen, ist stets ein Vergnügen.
Das Kaufhaus „La Rinascente“ am Domplatz, eine der bersten Adressen, teuer aber gerade noch leistbar. In Mailand wird für die Garderobe viel ausgegeben. Man bleibt auch zu Hause angezogen, mit Schuhen. Hausanzüge, Schlapfen sind nicht üblich. In Mailands Badezimmern kann man sich einen Überblick verschaffen, welche Eau de Toilettes, Parfums und Aftershaves gerade im Trend liegen.
Die Reichen kaufen in der Via Montenapoleone. Im „Goldenen Dreieck“, wo keine Preisschilder in den Auslagen zu sehen sind. Dort hat Mailand seine edelste Fassade. Die Namen gingen in die ganze Welt. Kühle Ästhetik, vollkommen und bis ins kleinste Detail durchdacht.
Russische Oligarchen, Scheichs, Berühmtheiten aus Film und Musik, Adelige und Neureiche haben im goldenen Dreieck Mailands bereits schönen Schein erworben. Mailand sagt kurz und bündig „grazie“ und zählt sein Geld nach Geschäftsschluß.
Alle paar Monate verpasst sich die Stadt einen neuen Stil. Ihr Erfindungsgeist scheint unerschöpflich.
Mailand liebt den Luxus mehr als alles andere.
Die „Sfilate“, die Modeschauen, werden von der gesamten Welt staunend beäugt. Und sehr viele fragen sich, „wie machen die das?“ Hier wird der Stil, den die (zumindest die abendländische) Welt sich verpasst immer wieder neu erfunden. Viele Städte kopieren, doch das Original bleibt unerreicht. An manchen Orten wird die Kopie zu sauber, zu brav, zu aufgeräumt, an anderen wiederum zu schlampig, zu schluderig, oder die Zusammenstellung zu unpassend.
Ruhe findet man in Mailand kaum. Die Stadt hat allerdings ein paar Orte, wo man durchaus eine Pause einlegen kann. Die Navigli sind künstlich angelegte Kanäle, die früher zu Schiffahrten genutzt wurden. Um den Naviglio Grande erstreckt sich ein angenehm ruhiges Viertel, das auch fürs Ausgehen am Abend sehr beliebt ist. Märkte finden dort auch statt.
Um zu den Navigli zu gelangen, fährt oder besser geht man durch die Porta Ticinese.
Mailand erweckt den Anschein als würde dort jeder einem verschwenderischen Lebensstil nachgehen. Der Schein trügt, denn dafür sind die Verdienste selbst in der reichen Lombardei meistens zu schmal. Ausgegeben wird allerdings gerne. Vor allem muß man auf sein Äußeres achten, möchte man ein bisserl zu der Stadt gehören. Im Berufsleben ist das Äußere in Mailand ausgesprochen wichtig. Wenn ausgegeben wird dann richtig. Auch bei Essen in Restaurants, die stets am Abend und ausgiebig stattfinden. Mailand ist kulinarisch auch ein Genuß, vor allem ist die lombardische Küche dem österreichischen Gaumen äußerst schmackhaft. Polenta, Risotto, Fleisch. Butter, kaum Olivenöl. Ebenso haben die Küchen jeder Region Italiens ihre kleinen und größeren Botschaften in der ganzen Stadt, sich durchschlemmern, die Augen schließen und den Gaumen streicheln lassen.
Geknausert wird bei Kleidung, Essen und Auto nicht. Eher bei der Wohnung, da die Fassade Mailands Kapital ist. In die Wohnung sieht man ja nicht hinein.
Das Abendessen ist die Hauptmahlzeit. Wein (zumeist ein roter Landwein) steht bei jeder Mahlzeit am Tisch, nach der Tradition. Mailand verliert diese, Fertiggerichte aus Supermärkten verdrängen das Selbstgekochte. Wohnungen sind eher klein, da die Mieten sehr teuer, auch im Umland. Vor allem, für Österreicher eher ungewohnt, das Badezimmer beinhaltet auch das stille Örtchen, ferner sind die Bäder mit einer hervorragenden Einrichtung versehen, dem Bidet.
Die Scala, neben der Met in New York und der Staatsoper in Wien, wichtigstes Opernhaus der Welt. Teuer und feudal.
Ein Österreicher in der Lombardei
Ein kalter Februartag in den Neunzigern. Eine mehr als zehnstündige Zugfahrt in einem unbequemen Abteil der zweiten Klasse. Milano Centrale, durchgerädert ohne geschlafen zu haben, eine Reisetasche aus Kunststoff, Studentenkleidung, ausgewaschene Jeans, eine etwas schäbige Winterjacke, das hektische Gesurr des Bahnhofs, Vorbeieilende, die den etwas verdutzten Wiener unabsichtlich anrempeln, ein kurzes „scusi“, sieh zu wie du damit fertig wirst und basta. U-Bahn, „Allora vuole un carnet da dieci o no…” Geduld hat man nicht. Zehnerblock, zwölftausend Lire. Nimm es endlich und rausch ab, wir haben hier keine Zeit für so was.
Mit der Tasche in eine Bar. „Buon dì, dica per favore”. Caffè macchiato scuro, una brioche, un pachetto di MS filtro. Rasch geht es, flink wird serviert, mit Können. Zwei Minuten, arrivederci. Nebel, grauer Himmel, Plusgrade. Vormittag und die Straßenbeleuchtung ist an. Gettoni fürs Telefonhüttel besorgen, Gastfamilie anrufen. „Sono arrivato...“
In der U-Bahn ein abfälliger Blick, die Kleidung, na ja. Im Grunde schert sich keiner um einen, ist jeder mit sich und seinem Alltag beschäftigt. Nach dem Aussteigen der Verkehrslärm. Ein Afrikaner steht beim Ausgang und versucht Holzfiguren zu verkaufen. Daneben verhökert ein Untersetzter geschmuggelte Zigaretten, die im Vorbeigehen gekauft werden.
Reklameschilder mit Mailands Verheißungen. Mistkübel mit Wohlstandsmüll vollgestopft. Ein Obdachloser, der darin herumwühlt und die Miststücke auf den Gehsteig wirft.
Ein Sprachkurs wird mich erwarten und Pendlerei aus dem Veltlin. Besser so, die gar nicht billigen Pensionen habe ich ja bereits genossen, ohne Komfort.
Von wo sind Sie? Manchmal fragt ein Verkäufer, der gerade wenig zu tun hat und einem ein Stück andrehen möchte. Aus Österreich, Wien. Ah, oh. Ja man kennt Österreich, war schon dort, auf Urlaub, der kürzer als in unserem Land. Vienna che bella città. So ruhig, so beschaulich und so schön mit all seinen Palästen. So grün... Ja, Parks sind in Mailand eher rar und nicht so gepflegt. Österreicher mag man ganz gern. Wunderschönes, kleines ruhiges Land. Kultur. Klassisch, klar. So zugänglich seien die Konzerte, die Oper, für jeden, der will. Signore Sie sprechen ausgezeichnet Italienisch. Das kommt an. Die Mondäne kann sich kaum durchringen, englisch zu sprechen.
Mondäne Weltstadt schert sich nicht um Zugänglichkeit, zahl oder laß es eben. Aber für das Fremde interessiert sie sich, sie muß am Ball bleiben.
Im Sommer ist Mailand heiß und stickig, vor allem ist um den 15. August Ruhepause, Ferragosto.
Am schönsten schillert es in der Nacht.
Wien bleibt Wien, sagt man hier und dies mit einem schelmischen, spitzbübischen Augenzwinkern, Mailand hingegen sagt „Milan è gran Milan“ und dies mit dem erhobenen, stolzen Haupt einer Mondäne, ohne Augenzwinkern und ohne Zweifel an sich selbst.
Der Durchschnittsverdiener kann sich eine Wohnung in der Stadt Mailand selbst kaum leisten und muß sich in einen der unzähligen Vororte einrichten. Der Verkehr ist dementsprechend, denn „Milano da il pane“, aber wohnen lässt sich die Stadt sehr teuer bezahlen. Staus und Gehupe, ein Verkehrsaufkommen, das ungefähr das Dreifache von dem in Wien ist.
Die öffentlichen Verkehrsmittel funktionieren gut, aber so ausgeklügelte Verbindungen wie in Wien, Graz, Linz, Salzburg oder Innsbruck darf man sich nicht erhoffen. Italiener lieben ihr Auto, die Mailänder ganz besonders. Vor allem sind die meisten der Eiligen Pendler. Die Stadt Mailand selbst hat 1,2 Millionen Einwohner, mit dem Speckgürtel rund herum mehr als 3 Millionen. Zeitig in der Früh: Vorortezüge (wenn die Ferrovie dello Stato nicht gerade streiken) oder endlose, zähe Blechlawinen. Dementsprechend würzig kann die Luft sein. Das Leben dort ist für einen Durchschnittsbürger so unspektakulär wie in allen Großstädten.
Mailands U-Bahn, einigermaßen neu, aber das Netz ist nicht so dicht wie in Wien. Der Knotenpunkt ist die Station „Centrale FS“ des Hauptbahnhofes. Auf Armbanduhren, Schmuck, Handtaschen und Geldbörseln muß man achtgeben. Langfinger sind in der U-Bahn gerne Unterwegs, flugs ist man seine Barschaft los.
„Borsaioli“ (Taschendiebe) sind allgegenwärtig. Bietet Mailand doch genügend gefüllte Brieftaschen, die womöglich aus feinstem Leder und mit einem Markenzeichen geschmückt sind.
Sie fährt auch in einige Vororte, aber dafür wird extra bezahlt.
Zug fährt ab“, mit derlei hält man sich in Mailand nicht auf. Zack, die Türen schließen sich mit einem kurzen Scheppern. Gewartet wird in Mailand nicht, die Metropole hat keine Zeit für charmante Nebensächlichkeiten wie Wien. Mailand sagt oft statt „buon giorno“, „buon dì“, vermutlich weil letzteres kürzer ist.
In Mailand wird fest gehackelt. Die Lombardei erzielt zusammen mit Südtirol, sowie dem Piemont das höchste Wirtschaftsprodukt Italiens. „Tanto lavoro!“ wurde in meiner Gastfamilie oft gestöhnt, als am Abend alle bei Tisch saßen, das war allerdings im Valtellina, wo viele nach Mailand pendeln. Bereits um halb Sieben in der Früh sind die Züge voll.
Hauptbahnhof Milano Centrale. Der Knotenpunkt. Des Morgens auch für Pendler, die sich in U-Bahn und Autobusse quetschen. Stets ein kurzer Blick auf die Uhr.
Keine Verschnaufpause für die Pendler in Milano Centrale...
Cadorna – Milano Nord ist ein weiterer Ankunftspunkt für Pendler aus den Vororten und der weiteren Umgebung.
Gefrühstückt wird fast gar nicht. In Mailand geht man in die Bar am Vormittag, auf einen kurzen Kaffee und eine Brioche. Zwei Minuten...
Caffè corretto, macchiato scuro, capucciono, una brioche. Als es noch freiere Zeiten waren, zu meiner Zeit, war meistens ein Packerl MS-Filtro bei der Bestellung. An der Kassa bestellen, zahlen, mit dem „scontrino“, dem Kassazetterl, zum Barmann, der die Kaffee-
Maschine zischen läßt und das Kipferl mit einer unbeschreiblichen Flinkheit auf einen Porzellanteller zu einer gefalteten Serviette legt. Für zwei, drei Minuten Genuß. Ein Geruch nach gerösteten Kaffeebohnen, Marzipan und Süßgebäck. In der Vitrine Tramezzini mit Spinat, Schinken, Mozarella oder Ei. Mailand macht schließlich Mittagspause, selbst wenn diese nur kurz ausfällt...
Hektisches Klimpern von Häferln, Gläsern und Besteck... Der Umgangston ist höflich, aber knapp. Als in Lirezeiten, die Hunderter- oder Fünfzigermünzen ausgingen, bekam man ein Minzbonbon zum Wechselgeld, mit einem kurzen „mi dispiace“. Lange herumgeredet wird in Mailand nicht, schon gar nicht an einem Wochentag. Schließlich ist man nicht in Rom, der mißtrauisch beäugten Hauptstadt, die, nach Meinung gar nicht weniger Mailänder, das schwer verdiente Geld wegsaugt. Mailand zeigt Rom gerne den Vogel, gefolgt von einer abfälligen Bemerkung. Zu mehr lässt man sich nicht herab, Zeit ist Geld...
Die schillernde Fassade einer wahren Mondäne.
Mailand zeigt sich beim Flanieren durch die Innenstadt. Die Galleria Vittorio Emanuele ist der Lauftsteg der Mondäne. Und diese Eigenschaft macht Mailand einzigartig. Eine Metropole, die kein Babylon wie New York oder London ist, sondern einzig durch von ihr selbst erzeugte vollkommene Ästhetik zur Weltstadt wird. Das Auge der Stadt zieht sich zusammen, wenn es Touristen in kurzen Hosen und Sandalen durch die Galleria stapfen sieht. Die Bewohner Mailands legen auf das Äußere sehr viel Wert. Man hat schließlich einen Ruf zu verteidigen. Nach der Arbeit schlendert man gerne auf der Piazza Duomo, in der Galleria, setzt sich auch auf einen Mauervorsprung oder eine Stufe und sieht der Stadt beim eleganten Stelldichein zu.
In der Galleria befindet sich das berühmte Biffi, wo der Caffè macchiato so teuer ist, daß man es sich besser überlegt. Ebenso in der Galleria ist die berühmteste Buchhandlung der Stadt, die Libreria Rizzoli. Dort wurde Salman Rushdies Werk „Die Satanischen Verse“ zum ersten Mal in italienischer Sprache dem Publikum vorgestellt. Die Menschen standen Schlange, die
Buchhandlung mußte von den Carabinieri rund um die Uhr bewacht werden. „I Versi Satanici“ wurden zu einem Verkaufsschlager. Mailand hat feine Antennen für Trends, die nach allen Himmelrichtungen ausgerichtet sind und reagiert blitzschnell. Bei Rizzoli zu stöbern und zu schauen, ist stets ein Vergnügen.
Das Kaufhaus „La Rinascente“ am Domplatz, eine der bersten Adressen, teuer aber gerade noch leistbar. In Mailand wird für die Garderobe viel ausgegeben. Man bleibt auch zu Hause angezogen, mit Schuhen. Hausanzüge, Schlapfen sind nicht üblich. In Mailands Badezimmern kann man sich einen Überblick verschaffen, welche Eau de Toilettes, Parfums und Aftershaves gerade im Trend liegen.
Die Reichen kaufen in der Via Montenapoleone. Im „Goldenen Dreieck“, wo keine Preisschilder in den Auslagen zu sehen sind. Dort hat Mailand seine edelste Fassade. Die Namen gingen in die ganze Welt. Kühle Ästhetik, vollkommen und bis ins kleinste Detail durchdacht.
Russische Oligarchen, Scheichs, Berühmtheiten aus Film und Musik, Adelige und Neureiche haben im goldenen Dreieck Mailands bereits schönen Schein erworben. Mailand sagt kurz und bündig „grazie“ und zählt sein Geld nach Geschäftsschluß.
Alle paar Monate verpasst sich die Stadt einen neuen Stil. Ihr Erfindungsgeist scheint unerschöpflich.
Mailand liebt den Luxus mehr als alles andere.
Die „Sfilate“, die Modeschauen, werden von der gesamten Welt staunend beäugt. Und sehr viele fragen sich, „wie machen die das?“ Hier wird der Stil, den die (zumindest die abendländische) Welt sich verpasst immer wieder neu erfunden. Viele Städte kopieren, doch das Original bleibt unerreicht. An manchen Orten wird die Kopie zu sauber, zu brav, zu aufgeräumt, an anderen wiederum zu schlampig, zu schluderig, oder die Zusammenstellung zu unpassend.
Ruhe findet man in Mailand kaum. Die Stadt hat allerdings ein paar Orte, wo man durchaus eine Pause einlegen kann. Die Navigli sind künstlich angelegte Kanäle, die früher zu Schiffahrten genutzt wurden. Um den Naviglio Grande erstreckt sich ein angenehm ruhiges Viertel, das auch fürs Ausgehen am Abend sehr beliebt ist. Märkte finden dort auch statt.
Um zu den Navigli zu gelangen, fährt oder besser geht man durch die Porta Ticinese.
Vivere alla grande – ein Lebensstil
Mailand erweckt den Anschein als würde dort jeder einem verschwenderischen Lebensstil nachgehen. Der Schein trügt, denn dafür sind die Verdienste selbst in der reichen Lombardei meistens zu schmal. Ausgegeben wird allerdings gerne. Vor allem muß man auf sein Äußeres achten, möchte man ein bisserl zu der Stadt gehören. Im Berufsleben ist das Äußere in Mailand ausgesprochen wichtig. Wenn ausgegeben wird dann richtig. Auch bei Essen in Restaurants, die stets am Abend und ausgiebig stattfinden. Mailand ist kulinarisch auch ein Genuß, vor allem ist die lombardische Küche dem österreichischen Gaumen äußerst schmackhaft. Polenta, Risotto, Fleisch. Butter, kaum Olivenöl. Ebenso haben die Küchen jeder Region Italiens ihre kleinen und größeren Botschaften in der ganzen Stadt, sich durchschlemmern, die Augen schließen und den Gaumen streicheln lassen.
Geknausert wird bei Kleidung, Essen und Auto nicht. Eher bei der Wohnung, da die Fassade Mailands Kapital ist. In die Wohnung sieht man ja nicht hinein.
Das Abendessen ist die Hauptmahlzeit. Wein (zumeist ein roter Landwein) steht bei jeder Mahlzeit am Tisch, nach der Tradition. Mailand verliert diese, Fertiggerichte aus Supermärkten verdrängen das Selbstgekochte. Wohnungen sind eher klein, da die Mieten sehr teuer, auch im Umland. Vor allem, für Österreicher eher ungewohnt, das Badezimmer beinhaltet auch das stille Örtchen, ferner sind die Bäder mit einer hervorragenden Einrichtung versehen, dem Bidet.
Große Stimmen...
Die Scala, neben der Met in New York und der Staatsoper in Wien, wichtigstes Opernhaus der Welt. Teuer und feudal.
Ein Österreicher in der Lombardei
Ein kalter Februartag in den Neunzigern. Eine mehr als zehnstündige Zugfahrt in einem unbequemen Abteil der zweiten Klasse. Milano Centrale, durchgerädert ohne geschlafen zu haben, eine Reisetasche aus Kunststoff, Studentenkleidung, ausgewaschene Jeans, eine etwas schäbige Winterjacke, das hektische Gesurr des Bahnhofs, Vorbeieilende, die den etwas verdutzten Wiener unabsichtlich anrempeln, ein kurzes „scusi“, sieh zu wie du damit fertig wirst und basta. U-Bahn, „Allora vuole un carnet da dieci o no…” Geduld hat man nicht. Zehnerblock, zwölftausend Lire. Nimm es endlich und rausch ab, wir haben hier keine Zeit für so was.
Mit der Tasche in eine Bar. „Buon dì, dica per favore”. Caffè macchiato scuro, una brioche, un pachetto di MS filtro. Rasch geht es, flink wird serviert, mit Können. Zwei Minuten, arrivederci. Nebel, grauer Himmel, Plusgrade. Vormittag und die Straßenbeleuchtung ist an. Gettoni fürs Telefonhüttel besorgen, Gastfamilie anrufen. „Sono arrivato...“
In der U-Bahn ein abfälliger Blick, die Kleidung, na ja. Im Grunde schert sich keiner um einen, ist jeder mit sich und seinem Alltag beschäftigt. Nach dem Aussteigen der Verkehrslärm. Ein Afrikaner steht beim Ausgang und versucht Holzfiguren zu verkaufen. Daneben verhökert ein Untersetzter geschmuggelte Zigaretten, die im Vorbeigehen gekauft werden.
Reklameschilder mit Mailands Verheißungen. Mistkübel mit Wohlstandsmüll vollgestopft. Ein Obdachloser, der darin herumwühlt und die Miststücke auf den Gehsteig wirft.
Ein Sprachkurs wird mich erwarten und Pendlerei aus dem Veltlin. Besser so, die gar nicht billigen Pensionen habe ich ja bereits genossen, ohne Komfort.
Von wo sind Sie? Manchmal fragt ein Verkäufer, der gerade wenig zu tun hat und einem ein Stück andrehen möchte. Aus Österreich, Wien. Ah, oh. Ja man kennt Österreich, war schon dort, auf Urlaub, der kürzer als in unserem Land. Vienna che bella città. So ruhig, so beschaulich und so schön mit all seinen Palästen. So grün... Ja, Parks sind in Mailand eher rar und nicht so gepflegt. Österreicher mag man ganz gern. Wunderschönes, kleines ruhiges Land. Kultur. Klassisch, klar. So zugänglich seien die Konzerte, die Oper, für jeden, der will. Signore Sie sprechen ausgezeichnet Italienisch. Das kommt an. Die Mondäne kann sich kaum durchringen, englisch zu sprechen.
Mondäne Weltstadt schert sich nicht um Zugänglichkeit, zahl oder laß es eben. Aber für das Fremde interessiert sie sich, sie muß am Ball bleiben.
Im Sommer ist Mailand heiß und stickig, vor allem ist um den 15. August Ruhepause, Ferragosto.
Am schönsten schillert es in der Nacht.
Wien bleibt Wien, sagt man hier und dies mit einem schelmischen, spitzbübischen Augenzwinkern, Mailand hingegen sagt „Milan è gran Milan“ und dies mit dem erhobenen, stolzen Haupt einer Mondäne, ohne Augenzwinkern und ohne Zweifel an sich selbst.
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