AW: Mathematik: entdeckt oder erfunden?
Schade, dass der Strang hier abgerissen ist. Benjamin hat uns grußlos verlassen. Hat er erfahren, was er wissen wollte? Oder blieben Fragen offen?
Eigentlich wäre das Thema wert, fortgeführt zu werden. Es führt nämlich schnurstracks in die Kernfrage der Naturwissenschaft: Steckt die 'gesetzmäßige' Ordnung der Welt in der Welt selber oder 'bloß' in unsern Köpfen? Die Naturwissenschaft hält diese Frage für "metaphysisch" und reicht sie dankend an die Philosophie weiter. Die hat sich aber längst unter die Fuchtel der Naturwissenschaft begeben und hält sie ebenfalls für metaphysisch. Das ist sie zwar auch, aber nicht nur. Die Frage, ob Vernunft etwas ist, das wir "vernehmen", wenn wir aufmerksam in die Natur lauschen – und so erfahren, was wir auf der Welt sollen; oder ob Vernunft unsre eigene Erfindung ist und aus ihr nur herausgeholt werden kann, was man vorher in sie hineinsteckt – die betrifft jedermanns persönliche Lebensführung.
Ich fange deshalb noch mal an.
Dass die Regeln und Gesetze der Geometrie Konstruktionsanleitungen sind; Anweisungen, was man tun muss, um ideale Körper herzustellen, ist unmittelbar einsichtig; denn so haben wir sie in der Schule gelernt! Wenn du ein Quadrat haben willst, dann musst du…., wenn du einen Kreis haben willst, dann.. usw. Wie wir sie gelernt haben, so sind sie entstanden.
Anders die Zahlen. Sagt nicht der gesunde Menschenverstand, dass eins und eins zwei sind?
'Ursprünglich' , d. h. in unmittelbarer sinnlicher Anschauung (oder wenn man will, für unsere frühen Vorfahren) kommen Zahlen nur als Ordnungszahlen vor: als Nacheinander in einem 'an sich' ununterschiedenen Zeitverlauf: erstens, zweitens, drittens… ZÄHLEN kann ich so noch nicht. Denn es könnte bedeuten: erstens ein Lufthauch, zweitens ein Elefant, drittens eine Untertasse. Um aus den Momenten im Zeitverlauf ein Werkzeug ("Denkzeug") zum Zählen zu gewinnen, muss ich von der Zeit selber absehen und auf die zu zählenden Sachen reflektieren.
Vorab: Warum, wozu sind sie 'zu' zählen? Es braucht zunächst einmal eine Absicht; zum Beispiel die Absicht, Sachen zu verteilen. Ich verteile Sachen, die 'in einer gewissen Hinsicht' GLEICH sind, auf so und so viele Posten, die ihrerseits in gewisser Hinsicht gleich sind; zum Beispiel Essbares an Hungrige. Ich muss aus der Mannigfaltigkeit der Sachen dasjenige heraus suchen, das sich unter der Bedeutung des Essbaren zusammenfassen lässt. Danach muss ich auf diejenigen achten, die mir als hungrig bekannt sind. ERST DANN kann ich aus den Ordnungszahlen erstens, zweitens, drittens… die Zahlen 1, 2, 3… abstrahieren.
Und erst, nachdem all diese Denkleistungen vollbracht wurden, kann von "Erfahrung" geredet werden. Erfahrung ist nicht das bloße Registrieren von Erlebensdaten, sondern ihre sinnvolle Unterscheidung und Anordnung. Die ABSICHT geht voraus. Ohne vorgängige Absicht keine vorfindliche Bedeutung. Und ERST DANN stammen zahlen "aus der Erfahrung".
Findet sich wer, der hier mit mir weiter macht?