AW: Leistungsgesellschaft?
Das ist ein guter Hinweis, weil es inzwischen auch eine absurde wie reale Erfahrungstatsache ist, daß die unsozialsten Gesetze der letzten 20 Jahre in Deutschland ausgerechnet von SPD-Regierungen initiiert oder zumindest gebilligt worden sind. Ich denke, daß das aber mit einer ganz grundsätzlichen Strömung zusammenhängt, die überall in der Wirtschaft das Handeln der Beteiligten bestimmt: zunehmender Egoismus, Opportunismus und Machtstreben um seiner selbst Willen.
Die Formulierung "Bürgerkrieg zweiter Ordnung" finde ich vieldeutig passend, weil es die dem Prozess innewohnende, bewußt kultivierte Verlogenheit genauso andeutet wie den Umstand, daß die Interessensfronten nicht direkt durch aufeinanderprallende Personen mit ihren jeweiligen Sachvorträgen identifizierbar sind. Und damit ist auch ein wesentlicher Aspekt einer demokratischen Grundordnung ausgehebelt, weil der politischen Willensbildung beim Wahlbürger nur mehr ein spektakuläres und symbolhaftes Bühnengeschehen der Frontgesichter zur Verfügung gestellt wird, ohne daß eine ausreichend fachkundige und weitgehend von Machtstrukturen unabhänge Presselandschaft als Mittler noch funktional einschreiten könnte.
"Draußen im Land" findet Schmierentheater statt und der Bürger identifiziert sich sowohl mit den Schauspielern als auch mit seinen institutionellen Veranstaltern dieses Schmierentheaters. Umgekehrt greifen Politiker in ihrer Selbstdarstellung dieses Phänomen wie eine gewinnorientierte Werbeagentur einen Konsumtrend folgend auf und verschenken jeden demokratisch gewachsenen Wert unserer Politkultur zugunsten eines eventuellen Stimmenvorsprungs. Oder verlieren eben Stimmen, wenn sie entgegen dem Zeitgeist ausnahmsweise einmal ehrlich sind.
Das Instrument der Lüge hat sich von einem usprünglich geächteten Ausnahmefall hin zu einem salonfähigen Geschäftsmodell einer ganzen Gesellschaft entwickelt, die nun bewußt den Unterschied von Recht und Unrecht nicht mehr kennen will. Der vordergründige Erfolgsfall, eine Machtposition erobert zu haben, macht anscheinend gegen Kritik, eine damit offensichtlich begangene Straftat verantworten zu müssen, immun. Und in dem Maße wie begangenes Unrecht auch noch unter Beifall einer verrohten Geschaftsschicht öffentlich "das Vertrauen" der Bundeskanzlerin dieses Landes genießt, wird der Verfall der Demokratie weiter beschleunigt. Wir leben inzwischen in einem Land, in dem ein leiser und langsamer Putsch von oben das demokratische Grundgewissen der Bevölkerung ausgehebelt und die Macht um der Macht Willen an die Macht gebracht hat. Wir sollten den deutschen Reichstag vielleicht besser in Putin-Arena umbenennen...