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Kenzaburo Oe, Eine persönliche Erfahrung

diogenes

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27. Januar 2004
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Kenzaburo Oe, geboren am 31. Jänner 1935, studierte an der Universität von Tokio französische Literatur und schloss 1959 mit einer Arbeit über Jean-Paul Sartre ab. Kenzaburo Oe fing bereits während seiner Studienzeit zu schreiben an und veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten und bereits 1958 seinen ersten Roman. Für eine seiner ersten Kurzgeschichten wurde er mit dem begehrten Akutagawa-Preis ausgezeichnet. Neben mehreren anderen Preisen wie zum Beispiel dem Tanizaki-Preis wurde Kenzaburo Oe der Literaturnobelpreis (1994) verliehen.

Oe schloss sich in den frühen 60er Jahren der Anti-Atombomben-Bewegung und der japanischen Friedensbewegung an. In den 60er Jahren wurde auch sein erster Sohn Hikari mit einer Gehirnhernie geboren, einer sehr schweren Missbildung. Während den ersten sechs Lebensjahren gab es von Seiten des geistig schwer behinderten Sohnes Hikari kein Anzeichen eines Versuchs, mit der Außenwelt kommunizieren zu wollen. Heute ist Hikari Oe trotz seiner schweren Behinderung ein bekannter japanischer Komponist.

Das 1964 erschienene Buch "Eine persönliche Erfahrung" hat autobiographische Züge und handelt von einem jungen Mann Ende zwanzig, der den kindischen Spitznamen Bird trägt. Bird träumt schon lange von einer Reise nach Afrika. Während seine Frau mit Wehen im Krankenhaus liegt, kauft Bird aus Trotz eine Straßenkarten von Afrika, obwohl sein Traum mit der bevorstehenden Geburt seines ersten Kindes in weiter Ferne gerückt ist. Für eine solche Reise hat Bird als Lehrer, Ehemann und Vater einfach zu wenig Geld. Dafür widersteht er der Versuchung, sich mit Whiskey volllaufen zu lassen, während er auf den Anruf seiner Schwiegermutter wartet.

Als dann endlich der erwartete Anruf kommt, hört er kein Anzeichen von Freude in der Stimme der Schwiegermutter und wird gebeten, sofort ins Krankenhaus zu fahren. Dort erfährt er den Grund dafür: sein Sohn ist mit einer schweren Missbildung, einer Gehirnhernie, auf die Welt gekommen. Sein Kind sieht wie ein Monster aus, so, als ob es zwei Köpfe hätte. Die Ärzte sprechen auch nur von einem „Ding“. Wenn das Kind überleben sollte, so die Ärzte, dann würde es immer behindert bleiben und nur das Bewusstsein einer Pflanze haben. Das Kind wird in eine Spezialklinik verlegt, wo man es, wenn es kräftig genug ist, operieren kann. Nach Meinung des die Fahrt zur Spezialklinik begleitenden Arztes, wäre es aber das beste, wenn das Kind bald sterben würde.

Dort eröffnet ihm ein Oberarzt, dass man das Kind zwar nicht töten könne, aber ihm immerhin Zuckerwasser statt Milch verabreichen könne, damit es von selbst innerhalb weniger Tage sterben würde. Dies sieht Bird als die Chance, doch noch dem Unglück entrinnen zu können. Bird weiß nicht, wohin er jetzt gehen kann, außer zu einer alten Freundin Himiko, wo er sich mit Whiskey besäuft. Am nächsten Tag erscheint er betrunken zum Unterricht, erbricht vor seinen Schülern und verliert seinen Job. Er schläft mit Himiko, aber er ekelt sich davor. Bird sinkt so tief wie noch nie in seinem Leben. Doch Himiko bietet ihm an, mit ihm seine Träume zu verwirklichen, die Reise nach Afrika, wenn er sich nach dem Tod seines Kindes von seiner Frau scheiden lässt.

Fast bis zum Schluss ist Bird auf der Flucht vor seiner Verantwortung gegenüber seinem Sohn und kann den Anruf der Spezialklinik, dass sein Sohn gestorben ist, kaum erwarten. Schließlich überwindet er aber in einem Akt der Selbstfindung die Versuchung und entscheidet sich fast zu spät, sein Kind anzunehmen und nimmt schließlich seine Verantwortung wahr.

Kenzabo Oe erspart dem Leser nichts. Ich habe selten so ein erschütterndes Buch gelesen. Die vielen anschaulichen Schilderungen wirken extrem lebensecht und selbst Birds Erbrechen vor seinen Schülern wird so beschrieben, dass man ihm schon fast dabei zusehen kann. Das Schlimmste aber, was Oe dem Leser zumutet, sind keineswegs diese Äußerlichkeiten, sondern die dunkle Seite Birds, die er schildert, denn Bird ist an sich kein böser und gewissenloser Mensch, aber ein sehr unreifer Mensch, dem eine Bürde viel zu groß erscheint, um sie tragen zu können. Diese Bürde will er auf jeden Fall vermeiden, egal wie. Er schreckt nicht einmal davor zurück, sein Kind langsam verhungern zu lassen. Bird begreift zwar intellektuell, dass sein Verhalten unmoralisch ist, doch er verdrängt diese Erkenntnis, verstrickt sich immer mehr und fällt dabei immer tiefer. Dies wird so unmittelbar geschildert, dass der Leser hineingezogen wird und irgendwann kaum mehr in der Lage ist, Bird einfach nur zu verurteilen.

Dieses Buch ist Kenzaburo Oe's bekanntestes Werk und ist unbedingt zu empfehlen!
 
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Wer sich über Kenzaburo Oe informieren möchte, kann mit den folgenden Seiten beginnen:
  • Auf der seinem Literaturnobelpreis gewidmeten Seite gibt es eine Biographie über Kenzaburo Oe, sowie seinen Nobel-Vortrag "Japan, The Ambiguous, and Myself".
  • Am Institute of International Studies, UC Berkeley, gibt es eine recht interessante Interviewserie Conversations with History. Am 16. April 1999 wurde Kenzaburo Oe interviewt:

    http://globetrotter.berkeley.edu/people/Oe/oe-con0.html

    Harry Kreisler schrieb:
    Our guest is the distinguished Japanese writer Kenzaburo Oe. His prolific body of novels, short stories, and critical and political essays has won almost every major international honor. Oe's achievements as a writer committed to both literary and humanitarian causes were recognized in 1994 when he was awarded the Nobel Prize for Literature. In works such as A Personal Matter, The Silent Cry, A Quiet Life, Hiroshima Notes, and A Healing Family, Oe's art moves from the personal to the political, exploring how the individual, in confronting life's tragedies overcomes humiliation and shame to "get on with life," and in so doing, finds personal dignity and a renewed sense of his responsibility to his fellow man.
 
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