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Ist Gewalt ansteckend?

louiz30

Well-Known Member
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1. Dezember 2005
Beiträge
1.786
Die politischen Ereignisse der letzten Jahre lassen den Eindruck entstehen, dass es eine Zunahme in der Bereitschaft gibt, Gewalt als Mittel der politischen und sozialen Auseinandersetzung zu akzeptieren. Die Terrorakte der letzten Jahre haben dabei sicher einen auslösenden Beitrag geleistet und die Frage stellt sich, ob Demonstration in den Philippinen, Frankreich, den Ländern des mittleren Ostens, in Thailand und anderen Plätzen, aber auch der Krieg im Irak und die Drohungen gegen Iran, nur die Vorboten einer allgemeinen und globalen Akzeptanz der Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung sind.

Hierzu zwei Artikel aus dem Internet.

„Nach einer amerikanischen Studie verdoppelt die Beobachtung von Schießereien die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendliche selbst gewalttätig werden.“
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20187/1.html

„Schon 1978 mußte ich ein einer Abhandlung zum Thema "Ist Gewalt ansteckend? - Beiträge zu einer Verbrechensepidemologie ("Kriminalistik", 1978, S. 486 ff) feststellen, daß massenmedial vermittelte Gewalt sogar bei Erwachsenen eine Reihe von bedenklichen Effekten bewirken kann. Dazu gehört nicht bloß ein völlig einseitiges, verzerrtes Bild vom Umfang und von der Struktur der Kriminalität und eine daraus resultierende übersteigerte Verbrechensfurcht. Vielmehr lag schon damals der Schluß nahe, daß entsprechend häufige und drastische Medienberichte über Aggression im Laufe der Zeit durchaus dazu beitragen können, Werthaltungen der Konsumenten umzuprägen, Schranken, Hemmungen und Tabus mehr und mehr abzubauen und eine allgemeine Aggressionsbereitschaft zu fördern. Kurzum: Gewalt wird als Mittel zur Bewältigung von Konflikten gewissermaßen "salonfähig" gemacht.“
http://www.netzwerkgegengewalt.org/wiki.cgi?MedialesGewaltBombardement

Meine Frage ist daher: Ist Gewalt ansteckend?

Ich stelle dieses Thema unter die Rubrik „Psychologie“, da ich hier die psychologischen Hintergründe als die tragenden Säulen des Problems sehe.
 
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Gezielt möchte ich auf deine Frage erstmal antworten Louiz, also ob die Gewalt ansteckend ist. Dies wird wohl zutreffen, als eine Art Legitimierung der Gewalt, die es erlaubt diese als Antwort auf soziale, politische aber auch persönliche Situationen einzusetzen.

Die Gewaltbereitschaft muss aber m.E. in einem vorhanden sein, anders wird er nicht zu dieser Waffe greifen. Da wir alle feststellen, dass die Gewaltbereitschaft zunimmt, ist die Frage auch legitim wo der Hauptgrund dafür liegt. Denn die Medien, die auch in der Darstellung der Gewalt in welcher Form auch immer eine Marktlücke entdeckt haben, sprechen etwas an, was schon vorhanden ist: also die Bereitschaft zur Gewalt. Und so denke ich, dass wir auch, verbunden mit der von dir gestellten Frage, eine zweite stellen müssen: welches ist das Gefühl das einen Menschen zum Gewalttätigen macht? Letztendlich ist die Frage nach der Gewalt und ihrer Ansteckung bei Psychologie gestellt.

Meines erachtens ist es der Hass der die Triebfeder ist und der den Menschen legitimiert zerstörerisch zu wirken. Und ich denke, dass in unserer Zeit die Legitimierung stattgefunden hat öffentliche Bekenntnisse abzulegen (z.B. von Selbstmordattentätern), sowohl zu ihren Hass als auch zu ihren Gewaltackten. Den anderen zu zerstören, dieses Bekenntnis begegnet uns immer öffter und wird mit den Gedanken verbunden, über das Recht zu verfügen, alles was anders denkt zu beseitigen - mit den Mitteln der Gewalt. Solche in der Öffentlichkeit formulierte Bekenntnisse, finden immer Anhänger und Sympathisanten, die sich anstecken lassen und mobilisiert in denen die zerstörerischen Kräfte.

Doch nun die für mich wichtige Frage: ist es eigentlich nicht so, dass diese Gewalt auch vorhanden ist im vermeintlichem Recht zu unterdrücken, in den so genannten legitimen Zerstörungsakten wie der Krieg? Und findet da nicht auch eine Ansteckung statt angesichts des kollektiven Willens gegen etwas zu kämpfen das man gar nicht gut kennt?

Nimmt eigentlich nicht nur eines zu: das direkte Bekenntnis zur Gewalt und zum Hass - doch wenn Gewalt verbunden wird mit Parolen wie Kampf gegen das Böse (ich denke gezielt an den Irakkrieg), man erstmal gewillt ist diese Art der Gewalt zu akzeptieren?
Erschreckt uns nicht eigentlich jetzt die Tatsache, dass direkt über die Legitimität Gewalt anzuwenden und Hass zu empfinden gesprochen wird, ohne dies mit hohen moralischen Zielen zu verbinden?
 
Hallo louiz30,

nein, ich denke nicht das Gewalt ansteckend ist. Die Ursachen für Gewalt sind, so finde ich, verschieden. Deswegen sollte man hier Gewalt noch feiner Differenzieren und Zerstörung bzw. Destruktivität nennen. Lebendiges Wachstum kommt auch nicht ohne Gewalt aus z. B. zur Selbstverteidigung oder zur Nahrungsaufnahme.

Zerstörung entsteht durch verhindertem Wachstum. Sei es durch Mangel an Ressourcen wie die Grundbedürfnisse oder an Liebe, Glaube und Hoffnung.
 
Hallo Louiz30,

du sprichst ein vielschichtiges Thema an für dessen Erörterung ich momentan nicht die ausreichende Zeit habe. M. E. spielen bei der Betrachtung sehr viele elemente eine Rolle:

1. Evolutionäre Belange: Entwicklungsgeschichtlich sind Gewalt und Gewaltbereitschaft vor dem Hintergrund des Erwerbs von Anerkennung und Fortpflanzungsvorteilen notwendig gewesen. Den heutigen Restbestand davon würde man vielleicht eher mit einem schwammig zu füllenden Begriff á la "Dominanz" umschreiben.

2. Gesellschaftliche Entwicklung: Je enger und komplexer das Zusammenleben von Menschen sich gestaltet, desto notwendiger wird ein Regelwerk, dass dieses Zusammenleben ermöglicht.

3. Moralisch-gesellschaftliche Entwicklung: Je nach zu Grunde liegendem gesellschaftlichem Regelwerk kann das darauf beruhende ethisch-moralische Konstrukt unterschiedlich aussehen (z.B. ist die Blutrache in eineigen Ländern durchaus legitimes Mittel).

3. Individuelle moralische Entwicklung: Das gesellschaftlich zu Grunde liegende Regelwerk kann vor dem Hintergrund der individuellen Entwicklung unterschiedlich interpretiert und gelebt werden (verweise hier nur kurz auf z.B. die moralischen Entwicklungsstufen nach Kohlberg).

Gesellschaftliches Zusammenleben, ethisch-moralisches Regelwerk und die individuelle Entwicklung führen zur Ausbildung und Installation sog. Hemmschwellen, die die uralten vorzeitlichen Triebe wohl eher unterdrücken, als sie vollständig ausser Kraft zu setzen. Diese Hemmschwellen können i. a. aber auch jeder Zeit wieder überwunden werden.

4. Neuzeitliche gesellschaftliche Entwicklung: Immer mehr Menschen fühlen sich z.Z. eher ohn-mächtig und ohne jegliche Bestätigung. Ausübung von Gewalt gibt eine unmittelbare Bestätigung in Form eines Machtgefühls, das zur Ausschüttung von Endorphinen führt. Je mehr Grenzen, bzw. Hemmschwellen überschritten werden, desto leichter fällt dieses bislang unterdrückte Verhalten für die Zukunft.

Erste Schritte bedürfen mitunter einer längeren Vorbereitung. So weiß man aus der Erforschung sog. Affekt-Handlungen, dass es dort immer sog. Vorgesichte gibt. Die Tat wird zunächst in Gedanken durchlebt, inform von Albträumen und Sonstigem. Der Weg um die Tat selbst herum wird so lange "abgeschlichen", bis die Grenze fällt und das Hirn aussetzt. Ich würde vermuten, dass es in normalen Lebensumständen ähnlich ist. Erst wird es erlebt, im Geist durchgespielt, im Fernsehen verfolgt, damit einhergehende Verhaltensweisen geübt und irgendwann sinkt die Hemmschwelle so weit ab, dass Gewalt gelebt werden kann (ohne Aussetzer des Hirns).

Ich meine Gewalt ist nicht ansteckend, aber die Bereitschaft dazu kann erlernt, bzw. re-erworben werden.

Hätte gerne diverse Links hier 'rein gesetzt, habe aber keine Zeit zum Googeln.

:) LG chaosbarthi
 
Chaosbarthi hat für mich wichtige zu bedenkende Aspekte reingebracht.
Kann dem eigentlich nur zustimmen, bin dabei aber eben der Meinung, sie ist ansteckend. Zumindest wenn man die "Ansteckung" im kleingesellschaftlichen Bereich (randalierende Jugendcliquen usw.) sieht.
Der Drang sich dem anderen zu beweisen und "cooler" zu sein, sich mehr zu trauen als der andere. Im Prinzip ein Kreislauf der Manipualtionen, Konkurrenz, Geltungsdrang, Beeinflussung, des stärker-als-die-anderen-sein wollens.
Ob man es dann als ansteckend tituliert, ist m.E. eher zweitrangig.
Ich würde eher die Fragen stellen, warum erscheint es uns so und was könnte man ändern?
Dies aber wie gesagt beschränke ich mal auf den kleingesellschaftlichen Bereich, ist ja hier Psychologie und nicht Politik.

Grüssle
Sal
 
in einer umwelt voller gewalt pazifist zu sein mag zwar löblich sein, kann aber auch tödlich sein

der mensch hat wie alle lebewesen die fähigkeit sich anzupassen
das heißt, wenn die gewalt in der umgebung ansteigt und eine einfache flucht nicht in frage kommt, bleiben nur die möglichkeiten, entweder seine gewaltbereitschaft anzupassen oder den kürzeren zu ziehen (mit sämtlichen schattierungen dazwischen)

falls es beide arten von menschen gäbe: welche würden sich durchsetzen ?

lg,
Muzmuz

edit: das ausmaß der gewalt regelt sich aber selbst ein, denn zu viel an gewalt schwächt eine gesellschaft
 
Zuletzt bearbeitet:
Schön' guten Abend,

da ich über diesen Aspekt der "Ansteckung" von Gewalt noch nie nachgedacht habe, schreibe ich mal kurz meine spontanen 'Meditationen' :) nieder:

Zuerst war mir so: "Gewalt, ansteckend?" - "Nein, mit Sicherheit nicht!" Man bedenke, im Zuge deiner erwähnten Beispiele von Krieg und Gewalt, der vielen Demonstrationen gegen den Krieg, für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit. Dort, wo 100 Menschen sich bekriegen wollen, streben 101 Menschen nach Frieden, dachte ich.

Dann war mir so: "Gewalt, ansteckend?" - "Aber natürlich!" Gewalt tritt vor allem dort auf, wo Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit gewalttätigen Auseinandersetzungen konfrontiert werden: Ob in den Ghettos amerikanischer Großstädte, den Slums Lateinamerikas, ob in den afrikanischen Townships, ob in vielen Staaten durch Terrorismus, oder 'indirekt' durch Regierungen, die in Anbetracht verschiedener "Visionen" einer 'unsicheren, gewalttätigeren und schlechteren Welt' Kriege als Mittel zum Frieden 'nutzen' wollen: Überall dort ist das Potenzial an Gewalt sehr hoch, die Hemmschwelle sich selbst gewalttätig zu Verhalten sehr gering.

Warum das so ist?

In der Psychologie ist gewalttätiges Verhalten ein Form des Ausdrucks, eine Ausdrucksform der Menschen, die sich nicht anders zu artikulieren wissen. Das zeigt das Beispiel von Kleinkindern: So lange sich nicht miteinander Reden lässt, wird wild geschlagen, am liebsten mit kleinen Förmchen im Sandkasten. Leider gilt dieser Sachverhalt auch noch in späteren Jahren, leider sind Förmchen zu Pistolen und Schlimmerem geworden.

Auch, das hat die Historie gezeigt, lässt sich durch Unterdrückung wunderbar herrschen. Der Mensch, oftmals bestrebt andere Menschen zu 'beherrschen', macht sich eines gewalttätigen Verhaltens mächtig. Gewalt als Befriedigung verschiedener Triebe? Irgendwie furchterregend!

Die Menschheit hat mitlerweile einen Punkt erreicht, an dem Gewalt zu einem wesentlichen, allgegenwärtigen Element der Gesellschaft geworden ist, das nicht mehr verstanden, nicht mehr nachempfunden, kaum noch hinterfragt, sondern nurnoch als Nebenprodukt wahrgenommen wird. Soll heißen: Ein sehr lohnenswertes Thema, dass Du hier zur Debatte stellst.

Doch, gleich der Ansteckung von gewalttätigem Verhalten, gilt das auch für die Liebe!

Gewalt ist zeitlos, wann endlich wird eine Zeit auch einmal gewaltlos!
© Martin Gerhard Reisenberg​

Gewaltlose Grüße von

Patrice :clown2:
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Individualisierung des Menschen ist ein langwieriger Prozess, welcher an seinem Ende einen selbstdenkenden und verantwortlichen Menschen sieht. Die meisten Menschen sehen diese Individualisierung jedoch als zu anstrengend und vor allem zu bedrohlich. Eine eigene Meinung zu haben und für diese auch einzustehen, sich von der Masse abzuheben und im Zweifel allein da zu stehen, ist für viele Menschen eine erschreckende Vorstellung.

So werden Vorbilder, Meinungsmacher und Führer gesucht und gefunden, denen man sich anschließt, denen man folgt und in deren Anhängerschaft man „untergehen“ kann, sich verstecken kann und doch als Mitglied eine gewisse Besonderheit in Anspruch nehmen kann.

Dieses sich nach Außen orientieren und diese Unterordnung bringt auch mit sich, dass die Zulässigkeit von Handlungen aus der „herrschenden Meinung“ abgeleitet wird. Mit anderen Worten: wenn die Gruppe Gewalt akzeptiert, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dies auch von den Mitgliedern so übernommen wird. Zum einen werden ja Möglichkeiten geschaffen, sich eigener Aggressionen „legal“ zu entledigen und zum anderen würde eine nicht-gewaltsame Haltung zu einer Distanzierung von der Gruppe nach sich ziehen. Dies ist dem Mitläufer die schlimmste Vorstellung.

Gewalt wird kopiert und je größer die Beteiligung, um so größer die Einbildung des Einzelnen, dass Gewalt eigentlich legitim ist.
 
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Ich bin unter gewalttätigen Eltern großgeworden und habe meinem Sohn ab und an auch einen Klapps gegeben, in seinen Trotzphasen (um das 3. Lebensjahr und später mit 14/15).

Für mich gibt es zweierlei Gewalt. Die eine, die aus dem Bauch herauskommt, also das ungefilterte Ausleben der eigenen Wut und die gezielte Gewalt, die vom Kopf kommt (bewusster Einsatz von Gewalt um Ziele zu erreichen, strategische Gewalt, Kriegsgewalt).

Ansteckend ist so vieles und alles findet Mitläufer, die sich über nichts eigene Gedanken machen.
 
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