Eindämmung der Lawinengefahr.
Zur Frage "Islam und Demokratie" wurden in diesem Themenstrang viele wesentliche Aspekte
bereits im Jahr 2005 von civiello, Gaius, Gysi, instanton, Robin, etc., diskutiert.
Die Diskussionsbeiträge aus dem Jahre 2005 sind natürlich heute bereits Schnee von Gestern.
Weil in den letzten Tagen aber sehr viel Neuschnee gefallen ist, möchte ich zwecks Eindämmung
der Lawinengefahr jetzt auch meine Sichtweise und Vorstellungen zu diesem Fragenkreis darlegen.
Vorweg, als Atheist stehe ich grundsätzlich allen Religionen mit einer gewissen Reserviertheit
gegenüber. Diese Grundskepsis wird durch diverse Faktoren teils verstärkt, teils abgeschwächt.
Verstärkt wird meine Grundskepsis durch die historische Erfahrung,
dass Religionen sehr oft für den Machterhalt und die Ausdehnung des Machtbereiches instrumentalisiert werden.
Ideologische Eiferer neigen sehr stark dazu, die Maxime "Der Zweck heiligt die Mittel" innerlich voll zu
akzeptieren und extensiv zu befolgen, was die Grundlage für die Rechtfertigung grauslichster Maßnahmen
und Verhaltensweisen bildet. Das gilt übrigens nicht nur für religiöse Eiferer, sondern genauso auch für
politische Eiferer (siehe Lenin, Stalin, Hitler, Pol Pot, etc.).
Abgeschwächt werden meine Vorbehalte gegen Religionen durch die Einsicht,
dass der Aufbau und die Arbeitsweise des menschlichen Hirnes nun einmal bei sehr vielen Menschen
eine starke Sinn-Sehnsucht hervorbringen, die durch supranaturalistische Erklärungen befriedigt wird.
Außerdem werden ethische/moralische Gebote durch eine religiöse Verankerung erfahrungsgemäß besser abgesichert
als durch blanke Vernunft (weil religiös begründete Imperative ihrer Natur nach irrational sind, können sie
auch noch in jenen Situationen ein Befolgen der Gebote bewirken, in denen die blanke Vernunft bereits zu
einer Missachtung führen würde).
Summa summarum habe ich also ein zwiespältiges Verhältnis zu allen Religionen.
Im Verhältnis zum Islam können noch einige zusätzliche Probleme identifiziert werden.
a) Probleme, die im Islam selbst liegen,
und deshalb auch nur von der islamischen Glaubensgemeinde gelöst werden können.
a.1 Der fehlende Einheits-Koran.
Als langjähriger Beobachter von Diskussionen über den Islam habe ich den Eindruck gewonnen,
dass vom Koran verschiedene Versionen mit stark unterschiedlichen Inhalten in Umlauf sind.
Das ermöglicht es einerseits radikalfundamentalistischen Islam-Anhängern, sich bei allerlei Grauslichkeiten
auf den Koran zu berufen, und gleichzeitig können andererseits moderate Islam-Anhänger darauf verweisen,
dass diese Grauslichkeiten ja garnicht in Einklang mit dem Koran stehen.
Beispiele für Fragenbereiche, für die recht widersprüchliche Koran-Aussagen auftauchen,
sind unter anderem:
a.1.1 Aussagen über das Verhältnis zu anderen Religionen und zu Ungläubigen.
Dass islam-skeptische Personen mühelos eine lange Litanei an Suren aufzählen können, in denen eine
Verfolgung und Tötung von Ungläubigen gewissermaßen befohlen wird, dürfte größtenteils auf das Fehlen
einer authorisierten Einheitsversion des Koran zurückzuführen sein.
a.1.2 Aussagen über die Trennung von Religion und Staat.
Auch in der Frage, ob sich Muslime an die sekularen Gesetze des jeweiligen Aufenthaltslandes,
oder an die Scharia gebunden fühlen sollen, gibt es stark divergierende Aussagen.
a.1.3 Aussagen zur Stellung der Frau in der islamischen Gesellschaft.
In der Frage, inwieweit muslimische Frauen am Bildungswesen teilhaben sollen / dürfen,
weichen die Aussagen verschiedener Islam-Anhänger stark voneinander ab.
Usw., usf..
Solange von der islamischen Glaubensgemeinschaft keine verbindliche Festlegung des Koran-Inhaltes erfolgt,
sodass Distanzierungen von höchst zweifelhaften Inhalten immer nur in eng begrenztem Rahmen glaubwürdig sind,
solange ist eben zu erwarten, dass dem Islam mit entsprechend großen zusätzlichen Vorbehalten begegnet wird.
a.2 Hoher Analphabeten-Anteil in islamischen Ländern.
In vielen islamischen Ländern ist ein ungewöhnlich hoher Anteil der Bevölkerung analphabetisch.
Das hat zur Folge, dass diese Bevölkerungsteile die religiösen Lehren und Gebote nicht selbst
aus einem Religions-Buch entnehmen können, sondern diese von einem Prediger vermittelt bekommen.
Diese mündliche Überlieferung macht die Inhalte der Lehre sehr stark abhängig von den subjektiven
Einstellungen und Intentionen des Predigers, was einer manipulativen Auslegung des Koran durch Hass-Prediger
Tür und Tor öffnet, bis hin zur Indoktrinierung von Selbstmord-Attentätern.
b) Probleme, die aus dem Umgang der nichtmuslimischen Gesellschaft mit Muslimen resultieren.
Dazu zählt allem voran die Vermischung von Religion und anderer kultureller Traditionen.
Probleme mit Muslimen werden häufig auf deren Religion zurückgeführt, obwohl die Wurzel der Probleme
garnicht in der Religion liegt. Zweifellos wirkt eine lange Zeit vorherrschende Religion in gewisser Weise
auch mitprägend für andere kulturelle Traditionen (wie z.B. das Christentum im "Abendland"), aber dennoch ist
unübersehbar, dass dieselbe Religion mit recht unterschiedlichen kulturellen Traditionen einhergehen kann.
So hat beispielsweise eine vom österreichischen Innenministerium in Auftrag gegebene Studie
über die Integrationsbereitschaft von zugewanderten Muslimen unter anderem zutage gefördert,
dass bei den aus Bosnien zugewanderten Muslimen eine sehr hohe Bereitschaft zur Integration gegeben ist,
wogegen von den zugewanderten Türken mehr als 40 % nicht integrationswillig sind.
Daraus muss geschlossen werden, dass nicht die Religion als Integrationshemmnis wirkt,
sondern andere kulturelle Traditionen.
Auch die mit großer Abscheu wahrgenommenen Ehrenmorde haben ihre Wurzel nicht in der Religion, sondern in
anderen türkischen oder albanischen/kosovarischen Traditionen (in der christlich mitgeprägten Mafia-Szene
scheint übrigens ein recht ähnlicher "Ehrenkodex" zu gelten).
c) Schlussfolgerungen
Wenn die Gesellschaft nicht auf einen "Clash of Civilizations" oder einen "Clash of Cultures" zusteuern will
(was jene Clique anscheinend aber sehr wohl will, der auch Samuel Huntington nahestand),
dann sollte der nichtmuslimische Teil meiner Meinung nach:
c.1 Die Stellung der moderaten Islam-Anhänger innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft bestmöglich stärken.
Das sollte sich nicht darauf beschränken, ihnen die volle gesellschaftliche Anerkennung zuteil werden
zu lassen, sondern auch materielle logistische und legistische Unterstützung einschließen.
Die wünschenswerte Eindämmung radikalfundamentalistischer Bestrebungen kann eben nur gelingen,
wenn die moderaten Islam-Anhänger fest in der Gesellschaft verankert sind.
c.2 Eine klare eigene Position beziehen, etwa einen Katalog von Mindestforderungen der Gesellschaft
an die Muslime erstellen, und unmissverständlich kommunizieren, welche Forderungen nicht verhandelbar sind.
Als Ausgangspunkt für eine Festlegung dieses Kataloges könnte die UNO-Deklaration der Menschenrechte dienen.
Eventuell wäre diese Deklaration dahingehend auf Herz und Nieren zu überprüfen, ob sie auch wirklich durchgehend
dem Prinzip der grundsätzlichen Gleichwertigkeit von Rassen, Geschlechtern, Religionen und Kulturen,
Rechnung trägt (ich denke dabei jetzt nicht an einen konkreten Artikel der Deklaration, will aber auch nicht
a priori ausschließen, dass sich in diese UNO-Deklaration eine kulturspezifische Schlagseite eingeschlichen hat).
Bei Erfüllung dieses Anforderungskataloges durch die zugewanderten Muslime dürfte es dann auch keine Probleme
mit der Staatsform und dem Gesellschaftssystem des jeweiligen Landes geben.
In Österreich ist beispielsweise der Islam bereits seit rund hundert Jahren eine staatlich anerkannte Religion.
Das Zusammenleben mit Moslems hat jahrzehntelang ohne große Probleme funktioniert.
Das musste auch einmal in aller Klarheit gesagt werden.