Sollte man das nicht einmal in der Politik aufarbeiten ? Gerade vor dem Hintergrund des ewigen nazifizieren könnten sich die Parteien doch v.a. selbst mit ihrer "Nazivergangenheit" beschäftigen.
Wer wird das schon wollen? Am Ende müsste man sogar schon wieder Straßen umbenennen ...
Die 50er Jahre waren "die bleierne Zeit", in der man alles totgeschwiegen und unter den Teppich gekehrt hat. Seit den 60ern hat man Prozesse gegen die schlimmsten Auschwitz-Verbrecher geführt, die kleineren Fische hat man nicht verfolgt. Um dann seit 2015 auch diese zu Prozessen vorzuladen - Scheintote in ihren 90ern und mit ebenso alten Zeugen ... grotesk im Grunde und m.E. schwach in den Möglichkeiten jeder Beweisführung, nach so vielen Jahren.
Die Beteiligten der Zeit sind nunmehr fast alle tot. Eine Aufarbeitung der Taten dieser Personen könnte nur nach Aktenlage, schriftlichen Zeugenaussagen von Verstorbenen usw. erfolgen. Das meiste ist sowieso bekannt, denn sonst stünden die Beteiligten ja gar nicht erst in der Wikipedia.
Die Parteien würden eh abwinken. Als einzige Partei der Zeit gab es die SPD, und die waren verboten und ihre Mitglieder verfolgt. Die anderen Parteien dürften sich darauf berufen, dass sie erst nach dem Krieg entstanden. Es käme dann wahrscheinlich nur dabei heraus, dass man zwar eingestehen würde, dass die Politiker selbst zwar eine Nazivergangenheit hatten, die Parteien selbst aber in keiner historischen Kontinuität zur Nazizeit stehen.
Der Umgang mit der deutschen Geschichte ist schwierig. Wir haben sicher mehr aufgearbeitet als andere Völker mit ihren jeweils eigenen problematischen Teilen ihrer Geschichte. Das schweigen sie dann ganz tot oder glorifizieren es, z.B. der Kolonialismus oder die Indianerkriege.
Von einer ausgewogenen Betrachtung ihrer eigenen Geschichte sind die Deutschen dennoch weit entfernt. Es gibt heiße Eisen, die in Deutschland niemand anfassen will, selbst wenn sie von anderen kommen und weil sie nicht in die Klischees einer Nazizeit passen, die ausschließlich negativ besetzt zu sein hat.
Zum Beispiel veröffentlichte der amerikanische und anerkannte Wissenschaftshistoriker Robert N. Proctor 1999 sein Buch
The Nazi War on Cancer. Es behandelt die umfangreichen Anti-Krebsprogramme, die die Nazis durchgeführt haben. In Vielem in diesem und anderen Zusammenhängen waren sie damit anderen Industrienationen um Jahrzehnte voraus. Auch die meisten Arbeitsschutzgesetze, vor allem für Jugendliche, Frauen und Mütter, zum Schutz vor schwerer Arbeit, Giften und Strahlung fanden hier ihren Anfang. Im Deutschland der Nazizeit wurde der Zusammenhang von Lungenkrebs und Rauchen festgestellt und die Nazis verboten Tabakwerbung und das Rauchen in öffentlichen Räumen - Maßnahmen, die nach der Nazizeit als "diktatorisch" wieder aufgehoben wurden. Auch eine ganze Reihe von Lebensmittelgesetzen fiel in diese Zeit.
Die Maßnahmen wurden von Proctor keineswegs glorifiziert, sondern in den Zusammenhang gestellt, in dem sie in der Nazizeit auch waren: Der Schutz nicht des Individuums, sondern eines "Volkskörpers", der nun einmal aus Individuen besteht, die sich selbst nicht gehören.
Proctor wollte das Buch auch in Deutschland in deutscher Übersetzung veröffentlichen, zumal seine ganzen im Buch verwendeten Materialien, Aufrufe, Propaganda, Zitate usw. usf. ja ohnehin deutsch waren.
Mehr als 23 renommierte deutsche Verlage lehnten eine Veröffentlichung ab. Es war schwierig, überhaupt einen deutschen Verlag zu finden, der das zu veröffentlichen bereit war. Es fand sich schließlich einer, der das Werk in kleiner Auflage veröffentlichte, aber bis heute bekommt man in Deutschland eher die amerikanische Fassung zu Gesicht als die deutsche.
Dass es auch "positive" Entwicklungen während der Nazizeit, vor allem aber durch die Nazis veranlasst, gab: Das ist in Deutschland nach wie vor ein Tabu, an dem sich niemand die Finger verbrennen will. Zu leicht wird es als Revanchismus gewertet, als eine unzulässige Aufwertung der Nazizeit - und wer es dennoch tut, wird nur zu leicht als Nazi diffamiert.