(Fortsetzung)
Gewaltmarsch
Narr, der, zu Boden sinkend, aufsteht, sich neu entlangbringt,
als wandelnder Gelenkschmerz kaum Fuß und Knie in Gang bringt,
Sich trotzdem aufrafft, dem gleich, der leicht beflügelt geht,
und ruft der Graben, "bleib doch", dem Lockruf widersteht,
denn eben, ihn erwarte die Frau, antwortet er,
und auch ein Tod, sinnvoller und würdiger als der.
Der fromme Narr, - wo Menschen daheimgewesen sind,
dort kreist seit langem nur noch der brandversengte Wind,
Hauswand und Pflaumenbaum sind dem Boden gleichgemacht,
und Angst zerrauht den Sammet der heimatlichen Nacht.
O wenn ich glauben könnte, daß ich, was noch von Wert ist,
nicht nur im Herzen trage, nein, daß es unversehrt ist,
die Heimkehr einen Sinn hat, und in den Laubengängen
im Schatten, wo das Mus kühlt, des Friedens Bienen sängen,
Spätsommer still sich sonnte im ungestörten Traum
der Gärten, blanke Früchte sich schaukelten im Baum,
und Fanni würde warten blond, vor dem roten Hag,
und Schatten schiebe langsam der träge Vormittag,-
noch kann's ja sein! so rund läuft der Mond heut seinen Lauf!
Halt ein und schrei mich an, Freund! und ja, ich stehe auf!
Bor, 15.September 1944
Miklós Radnóti war bereits zweimal zur Zwangsarbeit einberufen worden, in 1940 und in 1942. Er kehrte jedoch danach nach Budapest zurück, dank der Bemühungen seiner Schriftstellerfreunde, die wussten, dass er erschöpft und krank war.
Nun widmete er sich erneut seiner Schriftstellerei, bzw. seiner Übersetzer Tätigkeit.
Da seit Anfang April 1944, das Tragen des gelben Sternes für Juden in Ungarn Pficht wurde, verlässt Miklós Radnóti seine Wonung nichtmehr. Er arbeitet an der Übersetzung von Shakespeares "Was Ihr wollt".
Der Befehl zum Tragen des gelben Sterns ist wahrscheinlich der Auslöser der Feststellung, dass nun "Kein Blick zurück, kein Zauber" mehr besteht. Denn am 30 April schreibt er das Gedicht mit diesem Titel.
Bis jetzt beschützte ihn noch ein Schwert-Engel "vor Widrigkeit und Tücken". Dem folgt nun das Gefühl, nein die Sicherheit, "daß alles eingestürzt ist". Er fühlt sich nackt, ausgeliefert, und dennoch schleicht sich in seinem Herzen die Demut ein.
Für mich, ist eben dies der Ausdruck, dass er im Grunde genommen, sein Schicksal angenommen hat.
Die Demut ersetzt nun den Groll, von dem er am Anfang des Gedichtes noch schreibt.
Auch löst er sich von allem was noch Besitztum bedeuten kann: "Ich hatte nichts, und nichts mehr wird mir gehören..."
Und doch noch dies: die Hoffnung auf eine neue Welt, "doch wird aus neuem Stein die neue Welt..." und :
"ihr klingt dann im Fundament mein Wort..."
Sein Blick ist nun nach innen gekehrt, ihn behütet "kein Blick zurück, kein Zauber".
Und so nimmt er Abschied von den Freunden, "kehr mir den Rücken" - denn wo einst der Engel noch stand, steht "gar niemand mehr..."
"Kein Blick zurück, kein Zauber" von Miklós Radnóti (Originaltitel: "Sem emlek, sem varazslat") ist zweisprachig im Kirsten Gutke Verlag erschienen.
ISBN: 3-928872-32-X
(Letzter Teil folgt)