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Ich habe mich entschlossen dieses Thema hier einzubringen, nachdem ich erst über Rádnoti unter Politik schreiben wollte. Stellvertretend für die Millionen Tote der Konzentrationslager, wollte ich über diesen ungarischen Dichter jüdischer Abstammung, als politisches Symbol, schreiben. Das wird er auch weiterhin sein, aber Radnóti, soll hier auch als bedeutender Dichter das Interesse an sein Werk erwecken.


Den Anfang soll hier ein Gedicht von Miklós Radnóti machen. Es ist eines der Gedichte, die man bei seiner Exhumierung, anderhalb Jahre nach seiner Erschiessung, in seiner Manteltasche fand.


Die letzten Gedichte von Miklós Radnóti, gehören heute zu den wichtigsten der modernen ungarischen Poesie.


Die Übersetzung ins Deutsche verdanken wir den Berner Pfarrer Markus Bieler. An diese hervoragende Persönlichkeit, werde ich hier auch noch erinnern.



Kein Blick zurück, kein Zauber


Wie in des Apfels Kernhaus der braune Kern, so schwoll

bis jetzt in meinem Herzen all der geheime Groll,

ich wußte, ein Schwert-Engel geht mit in meinem Rücken,

paßt auf und schützt mich notfalls vor Widrigkeit und Tücken.

Wer eines wilden Morgens jedoch erwacht darüber,

daß alles eingestürzt ist, sich aufmacht wie ein trüber

Spuk, weg von seinem Krimskram, und ist mehr nackt als nicht,

in dessen schönem Herzen mit leichten Sohlen bricht

nachdenklich, reif und wortkarg die Demut auf, geläutert,

empört er sich und meutert, dann nicht mehr seinetwegen,

dem Fernglanz freier Zukunft eilt er nun schon entgegen.


Ich hatte nichts, und nichts mehr wird mir gehören, kein

Besitz, im reichen Leben ein Weilchen Träumer sein

genüge, hier, nicht Zorn mehr, nicht Rache fällt mir ein,

wird mein Gedicht verboten, - doch wird aus neuem Stein

die neue Welt, ihr klingt dann im Fundament mein Wort,

was hinter mir liegt, lebe ich schon inwendig fort,

ich schaue nicht mehr rückwärts, wohl wissend, mich behütet

kein Blick zurück, kein Zauber, - ein Unheilsmittel brütet

ob mir, winkt ab, Freund, kehr mir den Rücken, sieh nicht her.

Jetzt ist, wo einst Engel mit dem Schwert stand,

vielleicht gar niemand mehr.


(30. April 1944)

 


Biographische Daten des Dichters Miklós Radnóti



Miklós Radnóti (1909-1944) verlor bei seiner Geburt die Mutter und den Zwillingsbruder. Als er 12 Jahre alt war, starb der Vater.

An der Universität von Szeged erwarb er 1935 das Diplom als Gymnasiallehrer.

In den späten dreißiger Jahren war er als freischaffender Schriftsteller und Übersetzer (Rilke, Shakespeare, La Fontaine, Appolinaire) sowie als Mitarbeiter der renommierten Literaturzeitschrift "Nyugat" (=Westen) tätig.


Während des Krieges wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung zur Zwangsarbeit einberufen. Nachdem er diese Zwangsarbeit auf ungarischen Staatsgebiet geleistet hatte, wurde Radnóti im Mai 1944 nach Bor/Serbien verschleppt.


Während eines "Gewaltmarsches" durch Ungarn (Anfang November 1944) wurde der kranke und extrem geschwächte Dichter in Abda bei Györ von einem Mitglied der Aufsehergruppe erschossen.


Seine letzten Gedichte wurden nach seiner Exhumierung, anderthalb Jahre später, in der Tasche seines Mantels in einem Heft mit der Aufschrift "Avala" gefunden.


Diese Gedichte gehören heute zu den wichtigsten der modernen ungarischen Poesie.


Die letzten Gedichte von Miklós Radnóti, sollten nicht als die Reflexionen eines Holocaustopfers betrachtet werden.

Vielmehr handelt es sich dabei um die Begegnung eines genialen Dichters mit seinem Schicksal, welches, historisch bedingt, von ihm bewußt erlebt wird.


(Text geschrieben in Anlehnung an den Klappentext des Gedichtsbandes:


Kein Blick zurück, kein Zauber

 


Wurzel


Kraft geheimnißt in der Wurzel,

Regentrank, Erdbodenbrot,

Schneeschlaf steht ihr zu Gebot.


Drunten ist sie, aufwärts bricht sie,

klimmt ins Licht hoch und ist schlau,

wirft den Arm aus wie Tau.


Würmer schlafen, Würmer sitzen

ihr im Arm, ans Bein geschwellt,

es verwurmt die ganze Welt.


Doch die Wurzel lebt tief weiter,

nicht die Welt geht sie was an,

nur der Ast, der grünen kann.


Den bewundert sie, verpflegt sie,

ihm verschafft sie holdes Naß,

Labsal aus dem Himmelsfaß.


Wurzel bin ich jetzt auch selber,

lebe unter Würmern, dort

forme ich dies Dichterwort.


(August-Sept. 1944)


(Fortsetzung folgt)


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