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In memoriam Miklós Radnóti

Miriam

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26. Juni 2005
Beiträge
9.722
Ich habe mich entschlossen dieses Thema hier einzubringen, nachdem ich erst über Rádnoti unter Politik schreiben wollte. Stellvertretend für die Millionen Tote der Konzentrationslager, wollte ich über diesen ungarischen Dichter jüdischer Abstammung, als politisches Symbol, schreiben. Das wird er auch weiterhin sein, aber Radnóti, soll hier auch als bedeutender Dichter das Interesse an sein Werk erwecken.

Den Anfang soll hier ein Gedicht von Miklós Radnóti machen. Es ist eines der Gedichte, die man bei seiner Exhumierung, anderhalb Jahre nach seiner Erschiessung, in seiner Manteltasche fand.

Die letzten Gedichte von Miklós Radnóti, gehören heute zu den wichtigsten der modernen ungarischen Poesie.

Die Übersetzung ins Deutsche verdanken wir den Berner Pfarrer Markus Bieler. An diese hervoragende Persönlichkeit, werde ich hier auch noch erinnern.


Kein Blick zurück, kein Zauber

Wie in des Apfels Kernhaus der braune Kern, so schwoll
bis jetzt in meinem Herzen all der geheime Groll,
ich wußte, ein Schwert-Engel geht mit in meinem Rücken,
paßt auf und schützt mich notfalls vor Widrigkeit und Tücken.
Wer eines wilden Morgens jedoch erwacht darüber,
daß alles eingestürzt ist, sich aufmacht wie ein trüber
Spuk, weg von seinem Krimskram, und ist mehr nackt als nicht,
in dessen schönem Herzen mit leichten Sohlen bricht
nachdenklich, reif und wortkarg die Demut auf, geläutert,
empört er sich und meutert, dann nicht mehr seinetwegen,
dem Fernglanz freier Zukunft eilt er nun schon entgegen.

Ich hatte nichts, und nichts mehr wird mir gehören, kein
Besitz, im reichen Leben ein Weilchen Träumer sein
genüge, hier, nicht Zorn mehr, nicht Rache fällt mir ein,
wird mein Gedicht verboten, - doch wird aus neuem Stein
die neue Welt, ihr klingt dann im Fundament mein Wort,
was hinter mir liegt, lebe ich schon inwendig fort,
ich schaue nicht mehr rückwärts, wohl wissend, mich behütet
kein Blick zurück, kein Zauber, - ein Unheilsmittel brütet
ob mir, winkt ab, Freund, kehr mir den Rücken, sieh nicht her.
Jetzt ist, wo einst Engel mit dem Schwert stand,
vielleicht gar niemand mehr.

(30. April 1944)


Biographische Daten des Dichters Miklós Radnóti


Miklós Radnóti (1909-1944) verlor bei seiner Geburt die Mutter und den Zwillingsbruder. Als er 12 Jahre alt war, starb der Vater.
An der Universität von Szeged erwarb er 1935 das Diplom als Gymnasiallehrer.
In den späten dreißiger Jahren war er als freischaffender Schriftsteller und Übersetzer (Rilke, Shakespeare, La Fontaine, Appolinaire) sowie als Mitarbeiter der renommierten Literaturzeitschrift "Nyugat" (=Westen) tätig.

Während des Krieges wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung zur Zwangsarbeit einberufen. Nachdem er diese Zwangsarbeit auf ungarischen Staatsgebiet geleistet hatte, wurde Radnóti im Mai 1944 nach Bor/Serbien verschleppt.

Während eines "Gewaltmarsches" durch Ungarn (Anfang November 1944) wurde der kranke und extrem geschwächte Dichter in Abda bei Györ von einem Mitglied der Aufsehergruppe erschossen.

Seine letzten Gedichte wurden nach seiner Exhumierung, anderthalb Jahre später, in der Tasche seines Mantels in einem Heft mit der Aufschrift "Avala" gefunden.

Diese Gedichte gehören heute zu den wichtigsten der modernen ungarischen Poesie.

Die letzten Gedichte von Miklós Radnóti, sollten nicht als die Reflexionen eines Holocaustopfers betrachtet werden.
Vielmehr handelt es sich dabei um die Begegnung eines genialen Dichters mit seinem Schicksal, welches, historisch bedingt, von ihm bewußt erlebt wird.

(Text geschrieben in Anlehnung an den Klappentext des Gedichtsbandes:

Kein Blick zurück, kein Zauber)


Wurzel

Kraft geheimnißt in der Wurzel,
Regentrank, Erdbodenbrot,
Schneeschlaf steht ihr zu Gebot.

Drunten ist sie, aufwärts bricht sie,
klimmt ins Licht hoch und ist schlau,
wirft den Arm aus wie Tau.

Würmer schlafen, Würmer sitzen
ihr im Arm, ans Bein geschwellt,
es verwurmt die ganze Welt.

Doch die Wurzel lebt tief weiter,
nicht die Welt geht sie was an,
nur der Ast, der grünen kann.

Den bewundert sie, verpflegt sie,
ihm verschafft sie holdes Naß,
Labsal aus dem Himmelsfaß.

Wurzel bin ich jetzt auch selber,
lebe unter Würmern, dort
forme ich dies Dichterwort.

(August-Sept. 1944)

(Fortsetzung folgt)
 
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Während in seiner Heimat Ungarn, Ende der dreissiger Jahre, die Zeichen der politischen Entwiklung immer deutlicher wurden, befand sich Miklós Radnóti für einen längeren Aufenthalt in Paris.

Radnóti wurde sich immer mehr bewusst der europäischen Tragödie die sich anbahnte.
Er verfolgte von Paris aus sorgenvoll die Nachrichten aus dem benachbarten Spanien.
Der Tod seiner Dichterkollegen, so die Ermordung von Garcia Lorca, die Selbstmorde von Attila Jozsef, Jiri Machen und Ernst Toller, wusste er als Signale zu deuten. Seit 1936 wurde der Tod zum Hauptthema seiner Dichtung.

Hauptsächlich die zehn letzten Gedichte, die bei seiner Exhumierung in seiner Manteltasche gefunden wurden (im Heft "Avala"), sind wie eine Zeugenaussage eines bewußt akzeptierten Todes.

Der Journalist Abel Köszegi hat den letzten Monaten im Leben von Miklós Radnóti, eine Art Chronik gewidmet.
Neben dem dichterischen Werk, sollte diese Chronik die Lücken in der Erinnerung der Zeitzeugen, die nur all zu gerne das Geschehene verdrängen wollten, ausfüllen.

"Die Chronik wirft einige Fragen auf, die außerhalb Ungarns erklärungsbedürftig sind. Anders als in Deutschland wandte das Regime in Ungarn andere, man könnte sagen: konservativere Methoden an, um das Judentum auszugrenzen. In Ungarn gab es weder eine Kristallnacht noch eine Wannsee-Konferenz; dafür beraubte eine gewaltige Bürokratie des deklassierten Adels den "Rassengegner" durch Berufsverbote, Arisierung und Enteignungen seiner existenziellen Grundlage und zog die auf diese Weise ausgelieferte Masse in die Kriegshandlungen mit ein. Als eine Form dieser "Integration" diente die Institution des unbewaffneten Arbeitsdienstes, den die Zeitgenossen als "sich bewegende Richtplätze" bezeichnet haben." (Zitat György Dalos - Schriftsteller)

Einer dieser "Richtplätze" war das Lager Bor.

Ursprünglich war dieses Lager, kein Vernichtungslager. Es sollte nur die hier inhaftierten, als Arbeitskräfte im Dienste des Krieges ausnützen.

Als die Sieger vordrangen, wurde das Lager aufgelöst, unorganisiert und kopflos trieben nun die Wachtkräfte die geschwächten und kranken Häflinge in eine sinnlose Flucht.
Dies waren die so genannten "Gewaltmärsche" die zu Todesmärschen wurden.

Die Häftlinge unterschieden sich insofern von den Typus der Juden die nach Deutschland deportiert wurden, als sie zum grössten Teil der ungarischen Armee angehört hatten.
Da sie sich als Ungarn fühlten, dachten sie, dass sie sich in ihrer "Heimat" in grösserer Sicherheit befinden würden, als auf serbischen Gebiet, wo sich ja Bor befand.

Zur Tragik der Person von Miklós Radnóti, sei hier noch erwähnt, daß er sich als gläubigen Christen verstand. Dabei spielte eine grosse Rolle sein Mentor, der katholische Dichter und Theologe Sandor Sik.
Radnóti war für seine sozialistischen Sympathien und für sein linkes Gedankengut bekannt.
Er hat jedoch eine förmliche Konversion zum Katholizismus abgelehnt, da er sich vorstellte, dass diese ihm Vorteile gebracht hätte.

Das Ende hatte ich bereits erwähnt. Radnóti wurde bei Györ, in Abda, also auf ungarischen Boden, von einem der Wachtkräften erschossen.
Dies geschah in November 1944.

(Fortsetzung folgt)
 
(Fortsetzung)

Gewaltmarsch

Narr, der, zu Boden sinkend, aufsteht, sich neu entlangbringt,
als wandelnder Gelenkschmerz kaum Fuß und Knie in Gang bringt,
Sich trotzdem aufrafft, dem gleich, der leicht beflügelt geht,
und ruft der Graben, "bleib doch", dem Lockruf widersteht,
denn eben, ihn erwarte die Frau, antwortet er,
und auch ein Tod, sinnvoller und würdiger als der.
Der fromme Narr, - wo Menschen daheimgewesen sind,
dort kreist seit langem nur noch der brandversengte Wind,
Hauswand und Pflaumenbaum sind dem Boden gleichgemacht,
und Angst zerrauht den Sammet der heimatlichen Nacht.
O wenn ich glauben könnte, daß ich, was noch von Wert ist,
nicht nur im Herzen trage, nein, daß es unversehrt ist,
die Heimkehr einen Sinn hat, und in den Laubengängen
im Schatten, wo das Mus kühlt, des Friedens Bienen sängen,
Spätsommer still sich sonnte im ungestörten Traum
der Gärten, blanke Früchte sich schaukelten im Baum,
und Fanni würde warten blond, vor dem roten Hag,
und Schatten schiebe langsam der träge Vormittag,-
noch kann's ja sein! so rund läuft der Mond heut seinen Lauf!
Halt ein und schrei mich an, Freund! und ja, ich stehe auf!

Bor, 15.September 1944



Miklós Radnóti war bereits zweimal zur Zwangsarbeit einberufen worden, in 1940 und in 1942. Er kehrte jedoch danach nach Budapest zurück, dank der Bemühungen seiner Schriftstellerfreunde, die wussten, dass er erschöpft und krank war.
Nun widmete er sich erneut seiner Schriftstellerei, bzw. seiner Übersetzer Tätigkeit.

Da seit Anfang April 1944, das Tragen des gelben Sternes für Juden in Ungarn Pficht wurde, verlässt Miklós Radnóti seine Wonung nichtmehr. Er arbeitet an der Übersetzung von Shakespeares "Was Ihr wollt".

Der Befehl zum Tragen des gelben Sterns ist wahrscheinlich der Auslöser der Feststellung, dass nun "Kein Blick zurück, kein Zauber" mehr besteht. Denn am 30 April schreibt er das Gedicht mit diesem Titel.

Bis jetzt beschützte ihn noch ein Schwert-Engel "vor Widrigkeit und Tücken". Dem folgt nun das Gefühl, nein die Sicherheit, "daß alles eingestürzt ist". Er fühlt sich nackt, ausgeliefert, und dennoch schleicht sich in seinem Herzen die Demut ein.
Für mich, ist eben dies der Ausdruck, dass er im Grunde genommen, sein Schicksal angenommen hat.
Die Demut ersetzt nun den Groll, von dem er am Anfang des Gedichtes noch schreibt.
Auch löst er sich von allem was noch Besitztum bedeuten kann: "Ich hatte nichts, und nichts mehr wird mir gehören..."

Und doch noch dies: die Hoffnung auf eine neue Welt, "doch wird aus neuem Stein die neue Welt..." und :

"ihr klingt dann im Fundament mein Wort..."

Sein Blick ist nun nach innen gekehrt, ihn behütet "kein Blick zurück, kein Zauber".
Und so nimmt er Abschied von den Freunden, "kehr mir den Rücken" - denn wo einst der Engel noch stand, steht "gar niemand mehr..."

"Kein Blick zurück, kein Zauber" von Miklós Radnóti (Originaltitel: "Sem emlek, sem varazslat") ist zweisprachig im Kirsten Gutke Verlag erschienen.
ISBN: 3-928872-32-X


(Letzter Teil folgt)
 
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Miklós Radnóti

(letzter Teil)

Am 18.mai 1944 erhällt Miklós Radnóti erneut einen Stellungbefehl zum Arbeitsdienst.
Er muss sich erst in Vac melden. Da trifft er am 20 Mai ein.
In Vac erfährt er, dass es nun nach Bor in Serbien geht. Seine Frau schickt ihm warme Kleidung und Geld nach. Radnoti sendet dies alles zurück mit folgenden Brief:

"Samstag Nachmittag. Mein Ein und Alles, ich fahre fort. Hermine, meine Mutti, ich küsse dich und alle anderen. Mit Jani habe ich etwas zurückgeschickt, laß es unberührt und verwende es im Notfall. Ich küsse dich mein Schatz. M.

Da man nach Serbien geht, hofften die Zwangsarbeiter auf die Befreiung durch Tito-Partisanen. Die Älteren der Zwangsarbeiter, die so genannten Uki's, (die waren schon in der Ukraine dabei) mahnen vor zu grosser Hoffnung.

Bor ist ein kleiner Marktflecken, bekannt geworden durch seine Kupferbergwerke.
Unter der Leitung der Organisation Todt wurde nun weiterhin das industriell wichtige Kupfer abgebaut.

Radnótis Gruppe kommt in Bor am 1. Juni an.
In fünf Baraken wurden die jüdischen Zwangsarbeiter mit gelber Armbinde, untergebracht.

Miklós Radnóti wird für eine Arbeit ausserhalb des Lagers eingeteilt. Er beschafft sich ein kleines Notizheft auf dessen erster Seite er schreibt:

"Dieses Notitzbüchlein enthält die Gedichte des ungarischen Dichters Miklós Radnóti. Er bittet den Finder, es nach Ungarn, an die Adresse von Privatdozent Gyula Ortutay, Budapest, VII. Bezirk, Horansky Str. 1 zu schicken."
 
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