AW: Ich suche nach gesellschaftlichen Umbrüchen, die die Kunst verursacht/angedeutet
Hallo zusammen! Ich habe euch in einem anderen Beitrag schon um ein Zitat gebeten, jetzt würde ich mich nochmal freuen, wenn ihr mir ein paar Denkanstößen geben könntet: Welche gesellschaftlichen Veränderungen in der Geschichte fallen euch ein, die schon vorher durch sich ändernde Kunst (Art des Malens oder so) oder erst durch die Kunst angestoßen wurden bzw. zumindest in der Kunst erkennbar waren? Ein Beispiel: Zur Zeit der franz. Revolution wurde bestimmt voll oft in der Kunst auf Missstände hingedeutet und es hat sich bestimmt schon dort dieses "Brodeln" in der Gesellschaft gezeigt!? Ein eigenes Beispiel, was ich gefunden hab, ist die aktuelle Entwicklung in der chinesischen Kunst:
http://www.essl.museum/frame.htm?/deutsch/ausstellungen/archiv/china.html Wenn ihr mir bestimmte Ereignisse + Künster und Gemälde oder natürlich auch in der Literatur einen Autor + Schrift nennen könntet, wäre ich euch wirklich sehr sehr dankbar!!!
Hallo Dominator,
meines Wissen verursacht die Kunst keine Umbrüche in der Gesellschaft, sondern sie drückt den Zeitgeist aus. Die Umbrüche sind durch den Fortschritt in der Wissenschaft erfolgt und dieses wird in der Kunst umgesetzt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es jemals anders gewesen ist.
In der Renaissance ist Europa aus seinem Jahrhunderte andauernden Denkschlaf erwacht. Man besann sich auf die alten Griechen und die römische Kultur. Nicht nur in geistiger Form der Philosophie, sondern auch die Theologie, die durch Luther reformiert wurde. Gerade im Mittelalter war die Kirche der einzige Auftraggeber für die Kunst, neben den Königshäusern und die Kunst hatte sich streng nach den kirchlichen Vorgaben zu richten. Nur wenige Künstler konnten sich von der Kirche und ihren Erwartungen lösen. Bei Michelangelo war es die Altarwand in der Sixtinischen Kapelle, welches auch unter den Namen "Das jüngste Gericht" bekannt ist. Es zeigt den Umbruch jener Zeit an. Es ist bis heute das größte Kunstwerk (13 x 15 m), welches aus nur einer Hand gefertigt wurde und zeigt die Figuren, in bis dato nie dar gewesener Weise, nämlich nackt. Zu dieser Zeit herrschte nicht nur der Reformationsgedanken im Norden Europas, sondern die Pest wütete, Hungernöte und Elend breiteten sich überall in Europa aus.
Zuvor hatte er das Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle gemalt und bei der "Erschaffung Adams" wo Gott mit seiner Fingerspitze Adam berührt und zum Leben erweckt, entsteht der Eindruck, als wäre Gott aus dem Gehirn selbst entsprungen. Diese These ist oft diskutiert worden, konnte aber nicht endgültig bewiesen werden. Ich gebe zu, ein bisschen Phantasie braucht es schon dazu, aber die Form des Gehirns ist recht gut zu erkennen und auch die Tücher und Beine der Figuren, die aus diesem Bild herausragen, könnte man als weiterführende Nervenbahnen, die über den Hirnstamm zum Zentralkanal des Rückenmarks führen, interpretieren. Vergessen wir nicht, dass Michelangelo, wie im Übrigen auch Leonardo da Vinci, menschliche Leichname zu anatomischen Studien nutzte und so über die innermenschlichen Bauteile recht gut bescheid wusste.
Unbestritten und zweifellos ist Michelangelo der größte alle Künstler den die Welt je hervorgebracht hatte. Er hat die wohl bedeutsamsten Plastiken erschaffen (David, Bacchus, Pieta, Moses und seine unvergleichlichen Reliefarbeiten der Kentaurenschlacht usw.), das oben bereits erwähnte bis heute größte Kunstwerk aus einer Menschenhand, "Das jüngste Gericht", ja die ganze Bemalung der Sixtinischen Kapelle ein Wunderwerk, gerade für die damalige Zeit und nicht zu vergessen der Umbau des Petersdom, insbesondere die Kuppel und die Gestaltung des Kreuzes sowie viele andere Gebäude, Grabmäler, Skulpturen und Fresken, die auf sein Konto gingen. Er war Bildhauer, Maler, Architekt und Visionär von Weltrang und seiner Zeit sehr weit voraus. Er hat sich immer selbst zurückgenommen und die Kunst, die er erschaffen hat, stets über dem eigentlichen Sein seiner selbst erhoben. Ich bewundere ihn dafür.
Die Renaissance hat eine Vielzahl von hervorragenden Kunstwerken hervorgebracht. Um nur einige zu nennen, deren Betrachtung man sich auf gar keinen Fall enthalten darf: Hieronymus Bosch mit "Der Garten der Lüste", Rafaels "Schule von Athen", welches auf die Philosophie der alten Griechen anspielt, die zu der Zeit wieder entdeckt wurden, Andrea Mantegna mit dem "Heiligen Sebastian", Albrecht Dürer, der wohl beste Grafiker und Zeichner aller Zeiten mit nahezu fast allen seiner Kunstwerke, ebenso wie die Gebrüder Cranach und Holbein haben die bis dato sehr oft profane Darstellung zu einem neues Kunststil, mit Charaktereigenschaften und unglaublicher Lebendigkeit der Figuren hervorgebracht, weit über dem Maß, des von der Kirche üblicherweise erlaubten. Die Liste ist noch viel länger, aber ich belasse es mal bei diesen Namen.
Ich springe jetzt mal in die Zeit Moderne in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, wo Diego Rivera sich den politischen und wirtschaftlichen Geschehnissen widmete. Er male den Kommunismus, der durch Lenin erstmals als Gesellschaftssystem an sich zu Wirklichkeit wurde, genauso wie er sich der Industrialisierung und der Einführung des Fließbandes von Henry Ford widmete. Rivera malte stets in einer politischen Art, die seinen Auftraggebern nicht immer gefiel.
Seine Frau, Frieda Kahlo, widmete sich den Surrealismus, eine neue Kunstrichtung, die zu jener Zeit sich aus den Gegebenheiten der Wissenschaft herleitete. Freud Psychoanalyse und der Sittenverfall in den 20ger Jahren sowie die neue Freizügigkeit machten den Geist und die Seele selbst zum Ausdrucksmittel. Es ging um die totale Befreiung, um eine Revolution, denn die Welt konnte nunmehr nicht durch die Dogmen der Kirche und den Aberglauben zusammengehalten werden. Der Surrealismus ist quasi der Aufschrei des Geistes und der Seele und zeigt das Auge der Kontemplation, eine Welt, die über dem verstandesgemäßen Erfahren und Erleben weit hinausgeht. Psychedelik, Mystik und meditative Transzendenz zeigen keine andere Welt, sondern sie zeigen neue Aspekte unserer Welt an.
Ludwig Klages schrieb in seinem Hauptwerk "Der Geist als Widersacher der Seele" über den kosmologischen und transzendenten Aspekt jener Zeit. Um nur kurz einige der wichtigsten Vertreter des Surrealismus zu nennen: Max Ernst, Salvador Dalí, René Magritt...
Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, der Bewusstwerdung, dass wir Deutschen mit der Vernichtung von über 6 Mio. Juden, Sinti und Roma und über 25 Mio. Toten in Europa, dem Abwurf der beiden Atombomen in Hiroschima und Nagasaki durch die USA, und dem weltweiten Nachkriegselent, erschütterte die Welt. Jackson Pollock führte zu einer bis dato noch unbekannten und neuen Sichtweise der Malerei. Er verzichtete auf Staffelei und Pinsel und goss die Farbe direkt auf die Leinwand, die auf dem Boden lag. Er sagte selbst, dass er sich dessen, was er da mache, gar nicht bewusst ist, er macht es einfach und ist die Verbindung selbst, zwischen dem Künstler und der Kunst.
Wo ist heute der Umbruch der Gesellschaft in der Kunst zuspüren?
Ist es der magische Realismus, der den Zeitgeist von heute beschreibt?
Sind es die Phantasten, als Weiterentwicklung des Surrealismus?
Oder doch die moderne Funktionsgesellschaft zwischen Technik, Elektronik und Kommunikation, die sich in diversen Installationen widerspiegelt?
Ich weis es nicht, weil die Zeit zu schnell davon eilt. Man hetzt von einem Termin zu anderen und es ist kaum zum Luft holen und Innehalten Zeit, sich über die Gesamtheit als solche Bewusstsein zu verschaffen und die Dinge in uns und um uns herum zur Wirkung zu entfalten.
Aber eins ist Gewiss, die Kunst hat immer schon den richtigen Ausdruck des Zeitgeistes gefunden, auch wenn man sie erst Jahre und Jahrzehnte später wertschätzt und versteht, wird die große Kunst uns alle überleben und immer lebendig sein.
Lieben Denkergruß
Axl