Ganz genauso geht es mir auch. Was als "das Normale" gilt - in jedem Falle noch das uns von anderen vorgegebene kollektiv erwünschte Verhalten - bleibt häufig genug schwer auszumachen und unterscheidet sich je nach gesellschaftlicher Gruppe ganz erheblich. Es würde in den Wahnsinn führen, sich stets immer aufs Neue daran anpassen zu wollen.
Ja, das ist wohl normal, wohingegen es für mich genauso normal ist, daß andere Leute eine völlig andere Sicht der Dinge haben als ich. Deswegen ja die ewigen (oft auch nur der Selbstvergewisserung dienenden) Gespräche und Diskussionen: bestenfalls um die Differenzen ein bißchen miteinander abzugleichen, schlechtestenfalls, um keinen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden.
Dennoch muß es einen Rahmen geben, in dem das ganze sich abspielt; da möchte ich mal den etwas anrüchigen politischen Begriff der Leitkultur anführen, der als übergeordnetes, aber diskretes Normensystem letztlich auch eine extreme Vielfalt verschiedenen Für-Normal-Haltens nebeneinander ermöglichen sollte.
So kann sich mithilfe dieses Begriffes jedenfalls auch die Bedeutung des "Normverstoßes" in einer hochdiversifizierten Gesellschaft relativieren, wo bei geringerer Toleranz jeder dem anderen entgegenhalten könnte, er wäre ja wohl nicht ganz normal bzw. nicht ganz dicht.
Nur wenn man den sozialen Zwangscharakter der Normalität als Vernunft deklariert
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Diese Art der Vernunft kann man ja lernen; ich würde den "vernünftigen", weil persönliches Leiden in der Gemeinschaft angeblich verringernden Hang/Drang/Zwang zur Rollenkonformität/Normalität allerdings eher als Opportunismus charakterisieren. Die Dosis macht das Gift.
Meine Vision ist immer noch eine Gesellschaft, in der jeder nach Herzenslust verschieden sein kann, ohne Nachteile erfahren zu müssen - also ohne diese Deformation durch "Verdrängung, Verleugnung, Isolierung, Projektion, Introjektion und anderen destruktiver Aktionen gegen die Erfahrung" (R.D.Laing, s.o.), die gemeinhin als "vernünftig" gewertet werden - erleiden zu müssen. Normal wäre dann, daß nichts mehr "normal" ist - außer eben jenem notwendigen Minimum an demokratischer "Leitkultur", das den kunterbunten Laden zusammenhält. Sind wir dahin schon auf dem besten Wege? Ich weiß es nicht?