AW: Gottlosigkeit?
dissidentin schrieb: im hinblick auf deine ausführungen, also den vielen botschaften darin und auch in bezug auf das, das mir als christlich getauftes kind beigebracht wurde im religionsunterricht der grundschule frag ich mich, wie der mensch dazu kommt, dass er glaubt, dass durch den mord an jesus alle seine sünden vergeben wurden. wenn jesus gott in menschengestalt gewesen sein sollte, der kam um den menschen zu prüfen, hat der mensch doch gnadenlos verkackt. nichtmal die ganzen wunderdinge (gelieferte beweise) haben ihn davon abgehalten jesus zu ermorden.
Richtig dissidentin!
Die durchaus berechtigte Frage muss lauten dürfen: Wie kann das Leid und der Tod eines Menschen, der vor zweitausend Jahren hingerichtet wurde, für uns heute irgendeine Bewandtnis haben, wie kann dieses Geschehen für uns hier und jetzt irgendetwas bedeuten oder gar bewirken? Vom historischen Standpunkt aus betrachtet, waren ja weder die Person Jesu noch sein Tod etwas Außergewöhnliches. Ein unbedeutender Wanderprediger aus Galiläa gerät in politische Händel, wird zum Tod verurteilt und stirbt einen damals durchaus üblichen Verbrechertod. Was also war Besonderes an diesem Menschen, seiner Botschaft, seinem Selbstverständnis? Betrachten wir die Art und Weise, in der Jesus seinem Schicksal bewusst entgegenging, so lag die Besonderheit dieses Menschen in seiner unerhörten Geisteshaltung, dass er sich in der Lage sah, in allen Ereignissen, die seine Person unmittelbar betrafen, eine Bedeutung für sich zu suchen und zu finden. Dem Anspruch des Messias, des Christus, wird er insofern gerecht, als er sein Leben in ausnahmslos allen Teilen als notwendig betrachtete und daher auch die beschwerlichen Seiten als etwas Bedeutsames annahm. Messias (mashiach) ist ja der alte hebräische Titel des Gottgerechten und bedeutet diesem Verständnis nach, dass Jesus durch seine selbstlose und integrative Haltung seinem Leben (d.h. seinem Gott) gerecht wurde – gerecht insofern, als er auch die Bedeutsamkeit dessen, was ihm durch die Hand seiner Feinde angetan wurde, nicht in Zweifel zog, sondern auf die Bedeutung, die Notwendigkeit und damit die Sinnhaftigkeit seines leidvollen Schicksals vertraute. In diesem ungeheuren gedanklichen Akt, der alles eigene menschliche Wollen ganz bewusst zurückstellt, wurde die große Ungerechtigkeit, die ihm zweifellos widerfuhr, zu einer neuen transzendenten Form der Gerechtigkeit.
Ich persönlich denke, dass es das ist, was uns Jesus durch seine Bereitschaft, Leid und Tod auf sich zu nehmen, vermitteln wollte und bis heute vermittelt. Eine Kernaussage seiner Botschaft übrigens, auf die bereits Meister Eckhart hinwies:
Wir rufen alle Tage und schreien im Vaterunser: Herr, dein Wille geschehe! Wenn aber dann sein Wille geschieht, so wollen wir zürnen und ergeben uns nicht in seinen Willen. Was er auch tut, das müsste uns (aber) das Beste dünken und am allerbesten gefallen. Die es so zum Besten nehmen, die bleiben allewege in ganzem Frieden. Ihr aber sprecht manchmal: Ach, wäre es anders gekommen, so wäre es besser, oder wäre es nicht so gekommen, so wäre es vielleicht besser gekommen. Solange dich das dünkt, gewinnst du nimmer Frieden. Du sollst es zum Allerbesten nehmen. Meister Eckhart
Dass in ausnahmslos allen Geschehnissen eine Notwendigkeit liegt, und uns in aller Realität immer auch die Wahrheit selbst (Gott) begegnet, diese Erkenntnis vermittelte aber auch der jüdische Philosoph Baruch Spinoza:
Jede Erscheinung beweist ihre Notwendigkeit durch ihr Dasein. Baruch Spinoza
Liebe Grüße
Elmar