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Das Thema Geburtenkontrolle ist wirklich interessant.

Da ich nicht so gut formulieren kann, will ich hier den Kommentar eines bedeutenden österreichischen Soziologen einstellen. Seine Meinung teile ich weitestgehend.


Kolumne: Bevölkerungsbalance?

Warum darf nicht passieren, dass nichts passiert, wenn wir weltweit so weitertun wie bisher? Von Bernd Marin



Zuletzt wurde an dieser Stelle gezeigt, wie die bloße Fortsetzung heutiger demografischer Realitäten - was die zwischen Weltregionen und einzelnen Ländern gewaltig differierende Fruchtbarkeitsrate betrifft - über längere Zeiträume ganz und gar irreale Konsequenzen hätte. Und zwar teils so absurde Folgen, dass sie nicht eintreten werden: Europa wäre fast entvölkert, Österreich überwiegend türkischstämmig, 90 Prozent der Franzosen lebten in Übersee, während sich fast die gesamte Weltbevölkerung in Afrika und Asien drängte. Doch auch die trotzig-romantische Gegenutopie einer Rückkehr zur Babyboomwelt der 50er- und 60er-Jahre bedeutete nur eine unlebbar übervölkerte Welt.

Die völlige Irrealität einer Fortführung heutiger Realitäten zeigt die wahre Funktion mechanischer Trendvorhersagen als wirksame "self-destroying prophecy" auf: Warum darf nicht passieren, dass nichts passiert, wenn wir weltweit so weitertun wie bisher? Was muss sich ändern, damit wir überleben? Und was wären neue demografische Gleichgewichte, ohne die Wirtschaft und Gesellschaften aus der Balance gerieten?

Tatsächlich: Wird die einfache Extrapolation des Status quo zum bevölkerungspolitischen Horror-Game, so zeigt das nicht nur das Ausmaß der

 Nichtnachhaltigkeit gegebener Lebensweisen, sondern auch die Richtung eines neuen demografischen Gleichgewichts: rasche Geburtenkontrolle in Ländern wie Niger mit immer noch acht Kindern pro Frau oder Afghanistan (6,8), wie sie zuletzt erfolgreich in Lateinamerika, Bangladesch oder im Maghreb praktiziert wurde; höhere Kinderzahl nach Kinderwunsch in den Niedrigfertilitätsländern Europas; sowie gesteuerte, begrenzte Wanderungen.

Geburtenkontrolle: Ohne Aufklärung und Bildung unmöglich

Effektive Geburtenkontrolle ist nicht ohne ein Mindestmaß an Emanzipation, sexueller Aufklärung, Familienplanung, Bildung und Berufstätigkeit von Frauen möglich. Soweit die eheliche Fertilität in islamischen Gesellschaften unverändert blieb, sind allein längere Ausbildung der Mädchen, damit Anstieg des Alters bei Heirat und Erstgeburt sowie strikte Kontrolle vorehelicher Sexualität Faktoren der Geburtenbeschränkung. Erst mit weiterer Säkularisierung und "Verwestlichung" von Bildung, Beruf und Selbstbestimmung weiblicher Sexualität auch außerhalb der Ehe und der Begrenzung der Kinderzahl aus elterlicher Sorge um bessere Lebenschancen für die Nachkommen wird umfassende Geburtenkontrolle zur Normalität - der sich als einzige Weltreligion allein der Katholizismus feindselig, aber gottlob immer erfolgloser entgegenstellt.

Ob umgekehrt reiche Länder ihre Geburtenschwäche überwinden können, ist viel fraglicher. Denn Migrationen zwischen expandierenden und geburtenschwachen Bevölkerungen werden sowohl innerhalb Europas wie auch nach Europa herein erfolgen. Während EU-Länder wie Ungarn, Polen und Bulgarien bereits schrumpfen, sind wachsende Populationen aus der Türkei, Albanien, Kosovo, von Roma und Sinti aus den Balkanländern, aus den Krisenregionen des Mittleren Ostens bis Zentralasien und vorab Afrika zu erwarten.

Die unmittelbaren 25 Nachbarstaaten der EU-25, bis vor Kurzem noch halb so bevölkert wie Europa, werden bis 2050 mit 1,26 Milliarden Menschen (einschließlich Afrika 2,4 Milliarden) eine vergleichsweise dreimal so hohe Einwohnerzahl aufweisen - und die demografische Relation zwischen Europa und seinem Umland im Verhältnis 1:6 bis 1:12 radikal verschoben haben. Europas Anteil an der Weltbevölkerung wird dann von 22 Prozent im Jahr 1950 bzw. von derzeit 12 auf sieben Prozent gesunken sein - das ist so gut wie sicher. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.1.2006)


Marianne


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