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Gesetze sind nicht praktikabel

fusselhirn

Well-Known Member
Registriert
16. Februar 2005
Beiträge
1.702
Dieser Thread soll eine Offtopic-Diskussion aus einem Philosophie-Thread weiterführen.

Ursprungsthread
@psbvbn1
psbvbn1 schrieb:
aber ich glaube nicht, dass eine willkürherrschaft der richter einer anarchie entspricht, wo sie dann über andere leute mit urteilen herrschen. ich will damit keine anarchistische theorie entwerfen.
Ich habe deinen Gedanken versucht weiter zu denken. Wie entstehen bei dir Herrschafthierachien bzw. was heisst bei dir Herrschaft? Muss ich mich dem Urteil der Richter beugen oder sprechen diese auch nur Empfehlungen aus?
Wer gibt diese Empfehlungen?

fussel
 
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AW: Gesetze sind nicht praktikabel

@psbvbn1
Ich habe deinen Gedanken versucht weiter zu denken. Wie entstehen bei dir Herrschafthierachien bzw. was heisst bei dir Herrschaft? Muss ich mich dem Urteil der Richter beugen oder sprechen diese auch nur Empfehlungen aus?
Wer gibt diese Empfehlungen?

fussel

herrschaftshierarchien entstehen aus dem willen mindestens zweier menschen! einer, der willig ist, beherrscht zu werden, um dafür andere vorteile zu erlangen, und einer der herrschen will, um andere vorteile zu erlangen und um vor allem macht auszuüben. herrschaft ist so bei mir, das besitzen von macht.
macht richtet sich bei mir nach der klassischen definition von max weber: "macht bedeutet jede chance, innerhalb einer sozialen beziehung den eigenen willen auch gegen widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese chance beruht."

nein, du musst dich nicht dem urteil der richter beugen, allerdings solltest du es nicht versuchen, da dann ihr urteil wahrscheinlich härter ausfallen würde, denn sie handeln nach empfehlungen, wie schon gesagt als richtlinien, wie sich bisher verhalten wurde und es auch moralisch vertretbar ist.

jetzt kommen wir zum knackpunkt der ganzen sache: die empfehlungen kommen von zwei quellen:
1. der erfahrung, wie es bisher gehandhabt wurde.
2. dem moralkodex, der zu jeder zeit bei jeder person unterschiedlich ist.
die zweite quelle dient auch zur ständigen überprüfung von althergebrachten empfehlungen, ob man sie denn in einer anderen zeit noch befolgen könnte.
um bei 2. zu subjektiv geprägte urteile zu vermeiden, würde ich vorschlagen immer mehrere richter in einem fall urteilen zu lassen.
 
AW: Gesetze sind nicht praktikabel

Hallo in die Runde.

Ich erlaube mir, meinen Beitrag von heute vormittag zum besseren Verständnis hier nochmal reinzustellen:

Der Richter ist prinzipiell zu 100 % dem Gesetz unterworfen. Das entspricht schon dem Prinzip der Gewaltenteilung, denn nicht er entscheidet über das Bestehen der Gesetze, sondern der Souverain bzw. die Legislative. Folglich muß er seine Ermessensentscheidungen, sofern er die im Einzelfall hat (vornehmlich im öffentlichen Recht) immer einer sog. teleologischen Auslegung unterziehen. Das heißt er muß sie immer vor dem Hintergrund beurteilen, was der Gesetzgeber mit der Schaffung der Norm bezwecken wollte.

Das kann freilich zu gewaltigen Gewissenskonflikten führen, denn es gibt nicht nur gute, sondern auch weniger gute und teilweise auch lückenhafte Gesetze. Deshalb hat sich in der Praxis so etwas wie eine richterliche Rechtsfortbildung entwickelt, die oft auch zu Korrekturen (z.B. Analogien) führen kann. Oft führt dies dazu, daß die Legislative reagieren muß. Trotzdem sollen auch diese sich im Rahmen der Zweckrichtung bewegen.

Zudem füllt ein Richter natürlich die Rechtsnormen im gesellschaftlichen Kontext aus, er sollte es jedenfalls. Da die gesellschaftlichen Wertvorstellungen sich stetig verändern, verändert sich oft auch die Anwendung der Rechtsnormen (Beispiel: sittliche Vorstellungen).
Zugleich muß er aber auch die Normen schützen.

Fazit: Ich bekenne mich als Legalist, wohlwissend der Grenzen der Gesetzestreue. Aber ein besseres System gibt es nicht.

Viele Grüße
Zwetsche
 
Also, liebe Zwetsche,

wenn Du nicht Jus studierst oder Juristin bist - fresse ich einen Besen.


Du hast klassisch nach dem Lehrbuch geantwortet - und meiner Meinung nach - auch für jeden Staatsbürger einsichtig ist, der sich als einen Teil vom Ganzen versteht, und versteht,dass das demokratische Prinzip eben auch völlig legal Minderheiten und ihre Ansprüche oft außen vor lassen muss, bei allem subjektiven Rechtsbewusstsein des Rechtsuchenden. ( Stichwort: Michael Kohlhas )


Nun: als Abschluss eine etwas - nur etwas - spaßige Bemerkung:

Wozu/zerwos gibt es denn Gesetzesnovellen ?

Marianne
 
AW: Gesetze sind nicht praktikabel

Es ist der Riesenirrtum aller Herrschsüchtigen, dass es diesen Menschen gibt.

Zeili

hallo zeili, weil ich so herrschsüchtige ansichten habe, will ich euch nach meiner betrachtungsweise anführen:)

es ist kein besonderer typus von mensch zur herrschaft notwendig. alle menschen versuchen nach dem besten zu streben, sein eigenes persönliches wohl zu erreichen. da dabei interessen aufeinanderprallen, entstehen konfliktsituationen. ob bewusst oder unbewusst jeder versucht eine möglichst günstige position für sich zu erreichen. manche ziele kann man besser verwirklichen, indem man nachgibt, sich unterordnet. das bedeutet ja nicht, dass wenn man sich einmal jemandem unterordnet, sich immer unterordnen muss. im extremfall kann es so kommen wie heinrich mann an diderich heßling gezeigt hat: "nach oben buckeln, nach unten treten."
 
AW: Also, liebe Zwetsche,

Nun: als Abschluss eine etwas - nur etwas - spaßige Bemerkung:

Wozu/zerwos gibt es denn Gesetzesnovellen ?

Marianne

Nun, um die Auflagenzahl der juristischen Verlage zu erhöhen, nehme ich an:)

Viele Grüße
Der Zwetsche

PS: Meine Kunst-Leistungskurs Lehrerin hat seinerzeit, unmittelbar nach dem Abitur die Hände über den Kopf geschlagen, als sie hörte, was ich zu studieren beabsichtigte...Geht mir seit vielen Jahren nicht recht aus dem Kopf, diese Geste....
 
AW: Gesetze sind nicht praktikabel

Es ist der Riesenirrtum aller Herrschsüchtigen, dass es diesen Menschen gibt.

Zeili

Es ist ein Riesenirrtum der Menschen, zu glauben, dass es Prototypen von Menschen gibt.

Das Interessante am Gesetz in westlichen Gesellschaften ist doch, dass es sich unabhängig von moralischen Normen versteht. Es macht keine Aussage über die Menschen oder ihre Verfasstheit, es reguliert lediglich ihr Zusammenleben. Wer sich dagegen streubt, tritt aus der Gesellschaft aus (versucht es) oder versucht seinerseits Machts zu erlangen.

Trotzdem und gleichzeitig werden Gesetze pädagogisch vermittelt, bis zu einer gewissen Grenze werden sie zu gesellschaftlich anerkannten Handlungsnormen. Diese Verquickung aus Rechtspragmatismus und Sozialisation machen das Konzept "Gesetzt" erfolgreich. Das Gesetz ist mehr als ein bloßes Sanktionsszenario, es ist eben auch ein empfindlicher Bestandteil des Selbstverständnisses eines Menschen, der im "Glauben" an dieses herangezogen wurde.
 
AW: Gesetze sind nicht praktikabel

Ich nehme einmal an, dass mit praktikabel vollziehbar gemeint ist.

Ein Gesetz ist dann (relativ leicht) praktikabel, wenn die Mehrheit der Menschen, für die es gemacht wurde, die Notwendigkeit dieses Gesetzes einsieht.

Sonst muss eben die Exekutive gestärkt werden.

Liebe Grüße

Zeili
 
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AW: Gesetze sind nicht praktikabel

Ich nehme einmal an, dass mit praktikabel vollziehbar gemeint ist.

Ein Gesetz ist dann (relativ leicht) praktikabel, wenn die Mehrheit der Menschen, für die es gemacht wurde, die Notwendigkeit dieses Gesetzes einsieht.

Sonst muss eben die Exekutive gestärkt werden.

Liebe Grüße

Zeili

Ja, dem würde ich zustimmen. Wäre eine gute Überlegung zur Entbürokratisierung...
Allerdings werden die Lebenssachverhalte auch immer komplizierter, wodurch eine Regelungsflut entsteht. Ein Irrglaube ist es allerdings, man könne alle Dinge durch immer mehr Gesetze regeln. Ein Besipiel ist die ständige in meinen Augen augenwischende Diskussion über härtere Strafmaße. Kein Straftäter setzt sich vor Begehung der Tat vor das StGB und überprüft detailliert das Strafmaß. Das Entdeckungsrisiko ist dagegen idR. sehr wohl maßgebend für seine Entscheidung.


Gruß
Zwetsche
 
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