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AW: Gemeinsame Novembergeschichte


An diesem Tag las er alle Briefe Ernestines noch einmal.

Anfangs hatte er Mühe, durch den Tränenschleier vor seinen Augen ihre ordentliche, fast ein wenig kleinmädchenhafte Schrift zu entziffern. Aber nach und nach wurde seine Sicht klarer, die Tränen trockneten. Er tauchte ab in Ernestines Worte, in die keinen Alltagsgeschichten, die sie ihm zwischen ihren Liebesbeteuerungen schilderte und irgendwann begann er durch diese Worte hindurch ein neues Bild Ernestines zu sehen, einer Ernestine die auch dann lebendig war, wenn sie ihm nicht schrieb oder an ihn dachte.

Sie hatte ihm so viel von sich geschrieben, aber er hatte es eigentlich nie so genau gelesen. Er wollte immer nur lesen, dass sie ihn liebte und auf ihn wartete. Und es gab diese Briefe, in der es alleine darum ging. Wie den ersten, den er zur Hand genommen hatte.

Aber es gab auch die anderen, in denen sie einfach nur plauderte, ihn aus der Distanz an ihrem Leben teilnehmen liess.

Und unter jedem Brief von Ernestine war die Aufforderung gestanden, er solle ihr doch bald schreiben.

Er hatte ihr geschrieben. Sicher nicht so häufig, wie sie das getan hatte, aber immer wenn er Zeit fand und in der richtigen Stimmung war, hatte er versucht, ihr zu schreiben.

Und zwischen all seiner neuerwachten Traurigkeit fragte er sich plötzlich, wo sie wohl heute war, was sie machte und wie es ihr ging.


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