Helmfried
Well-Known Member
- Registriert
- 12. Mai 2021
- Beiträge
- 924
An dieser Stelle möchte ich ein Erlebnis schildern, das etwa 35 Jahre zurückliegt und, als wäre es gestern gewesen, in mir immer noch präsent ist.
Es war Herbst, ich lief durch eine der Geschäftsstraßen der Stadt. Es war ein Freitag und der letzte Tag einer Urlaubswoche. Sonne und milde Luft verhalfen zu einer angenehmen Wohlfühlstimmung. Was ich erledigen wollte hatte ich erledigt und so war ich ohne Eile unterwegs; meine Gedanken kreisten schon um das bevorstehende Wochenende. Es waren viele Menschen unterwegs, jedoch hatte ich kaum ein Auge für sie. Auf einmal fühlte ich mich als wäre ich gegen einen Prellbock gelaufen. Ich stand plötzlich wie angenagelt auf der Stelle, schaute in die Augen einer Frau, Augen, die eine - für mich bis dahin nie gesehene - Tiefe hatten. Weder kannte ich diese Frau, noch hatte ich sie kommen sehen. Sie stand etwa anderthalb Meter vor mir und schaute mich an. In diesem Moment geschah etwas, was ich noch nie erlebt hatte. Ich hatte das unbeschreibliche Gefühl, diese Frau sei in mein Innerstes eingedrungen, als lese sie in mir und schlimmer noch hatte ich den Eindruck, sie wisse ohnehin alles. Die schockierende Empfindung, in meiner Haut nicht mehr alleine zu sein und auch keine Kontrolle mehr über mich zu haben, versetzte mich regelrecht in Panik. Ich spürte sie ganz deutlich in mir und ich war handlungsunfähig. Wir standen wortlos und bewegungslos; es waren etwa zwei endlos erscheinende Minuten. Ich war wie in einem Bann gefangen. Ich fühlte mich nackt und hilflos. Die anfängliche Erregung schlug in pure Angst um. An ein souveränes Handeln war nicht zu denken. Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke: ´Nur weg hierˋ. Ich riss mich mit aller Macht aus dieser Starre und lief mit schnellen Schritten davon. Ich muss es deutlicher sagen, ich floh. Nach vielleicht fünfzehn Metern gewonnener Distanz, sah ich mich noch einmal um. Die Frau stand immer noch an der gleichen Stelle und sah mir nach und ich setzte meine Flucht fort. Es dauerte einige Zeit bis sich mein Puls wieder in einen normalen ˋDrehzahlbereich´ bewegte. Ich war in der Zeit danach, mit reichlich Abstand, nicht gerade glücklich über soviel Hilflosigkeit und Unvermögen. Ich habe es sehr bereut, dass ich es nicht hinbekam, diese Frau anzusprechen. Nur so hätte ich vielleicht erfahren können, was und warum in diesem Moment geschah. Während des Geschehens, sah ich in meinem Gegenüber eine Bedrohung. Mit etwas Abstand konnte ich es natürlich auch anders sehen. Möglicherweise war ja die Frau genauso unvorbereitet in diesen Bann geraten und war ähnlich verwirrt. Ja, es ist wohl so, dass eine Chance, der sehr seltenen Art, vertan wurde. Es handelt sich hier ja auch nicht um die Schilderung eines Jugendlichen. Ich war damals 35 Jahre alt, unsere Tochter war gerade fünf. Ich war ein rational denkender Mensch und Erlebnisse dieser Art waren da nicht im Repertoire und konnten eigentlich gar nicht sein. Nun ist mir schon klar, dass nicht jeder solche Erlebnisse hatt und es vielen schwer fällt, sich da reinzudenken. Nur war dieses Erlebnis kein „Streich“ meines Gehirns, zumal es mit der Situation auch völlig überfordert war. Zu dem war eine zweite Person beteiligt, die ähnlich tief im Ereignis verfangen war. Wo war die Verbindung? Rational komme ich der Sache kaum näher. Auf welcher Ebene öffnen sich derart starke Kanäle? So angstbesetzt dieses Erlebnis damals auch war, betrachte ich es heute als einen Schlüsselmoment. Mittlerweile sehe ich die Fähigkeit, zu solchem Erleben, damals noch durch eine erst halboffene Tür, als ein Geschenk an. So wurden diese „Schockminuten“ im Nachgang, wie einige andere Anstöße auch, Wegweiser zu anderen Räumen. Ich bin in der DDR geboren und großgeworden. Dass, wie in der ´Staatsbürgerkundeˋ gelernt, das ´Sein´ das ´Bewusstsein´ bestimmt, stand für mich nie in Frage. So sah ich die Welt rein materialistisch und für Erlebnisse, wie das hier beschriebene, gab es keinen Platz. So war, zumindest erst einmal, keine befriedigende Verarbeitung möglich. Ich sah keinen Grund über Existenz und Bedeutung einer Seele nachzudenken. Heute bin ich überzeugt, dass ich in erster Linie ein seelisches Wesen bin. Das war keine schnelle Wandlung und auch nicht nur auf das beschriebene Ereignis zurückzuführen. Ich habe auch volles Verständnis für alle, die dies hier als Blödsinn abtun (hätte ich vor vielen Jahren auch bemacht).
Danke für die Mühe, dies bis hier unten zu lesen.
und viele Grüße * Helmfried
Es war Herbst, ich lief durch eine der Geschäftsstraßen der Stadt. Es war ein Freitag und der letzte Tag einer Urlaubswoche. Sonne und milde Luft verhalfen zu einer angenehmen Wohlfühlstimmung. Was ich erledigen wollte hatte ich erledigt und so war ich ohne Eile unterwegs; meine Gedanken kreisten schon um das bevorstehende Wochenende. Es waren viele Menschen unterwegs, jedoch hatte ich kaum ein Auge für sie. Auf einmal fühlte ich mich als wäre ich gegen einen Prellbock gelaufen. Ich stand plötzlich wie angenagelt auf der Stelle, schaute in die Augen einer Frau, Augen, die eine - für mich bis dahin nie gesehene - Tiefe hatten. Weder kannte ich diese Frau, noch hatte ich sie kommen sehen. Sie stand etwa anderthalb Meter vor mir und schaute mich an. In diesem Moment geschah etwas, was ich noch nie erlebt hatte. Ich hatte das unbeschreibliche Gefühl, diese Frau sei in mein Innerstes eingedrungen, als lese sie in mir und schlimmer noch hatte ich den Eindruck, sie wisse ohnehin alles. Die schockierende Empfindung, in meiner Haut nicht mehr alleine zu sein und auch keine Kontrolle mehr über mich zu haben, versetzte mich regelrecht in Panik. Ich spürte sie ganz deutlich in mir und ich war handlungsunfähig. Wir standen wortlos und bewegungslos; es waren etwa zwei endlos erscheinende Minuten. Ich war wie in einem Bann gefangen. Ich fühlte mich nackt und hilflos. Die anfängliche Erregung schlug in pure Angst um. An ein souveränes Handeln war nicht zu denken. Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke: ´Nur weg hierˋ. Ich riss mich mit aller Macht aus dieser Starre und lief mit schnellen Schritten davon. Ich muss es deutlicher sagen, ich floh. Nach vielleicht fünfzehn Metern gewonnener Distanz, sah ich mich noch einmal um. Die Frau stand immer noch an der gleichen Stelle und sah mir nach und ich setzte meine Flucht fort. Es dauerte einige Zeit bis sich mein Puls wieder in einen normalen ˋDrehzahlbereich´ bewegte. Ich war in der Zeit danach, mit reichlich Abstand, nicht gerade glücklich über soviel Hilflosigkeit und Unvermögen. Ich habe es sehr bereut, dass ich es nicht hinbekam, diese Frau anzusprechen. Nur so hätte ich vielleicht erfahren können, was und warum in diesem Moment geschah. Während des Geschehens, sah ich in meinem Gegenüber eine Bedrohung. Mit etwas Abstand konnte ich es natürlich auch anders sehen. Möglicherweise war ja die Frau genauso unvorbereitet in diesen Bann geraten und war ähnlich verwirrt. Ja, es ist wohl so, dass eine Chance, der sehr seltenen Art, vertan wurde. Es handelt sich hier ja auch nicht um die Schilderung eines Jugendlichen. Ich war damals 35 Jahre alt, unsere Tochter war gerade fünf. Ich war ein rational denkender Mensch und Erlebnisse dieser Art waren da nicht im Repertoire und konnten eigentlich gar nicht sein. Nun ist mir schon klar, dass nicht jeder solche Erlebnisse hatt und es vielen schwer fällt, sich da reinzudenken. Nur war dieses Erlebnis kein „Streich“ meines Gehirns, zumal es mit der Situation auch völlig überfordert war. Zu dem war eine zweite Person beteiligt, die ähnlich tief im Ereignis verfangen war. Wo war die Verbindung? Rational komme ich der Sache kaum näher. Auf welcher Ebene öffnen sich derart starke Kanäle? So angstbesetzt dieses Erlebnis damals auch war, betrachte ich es heute als einen Schlüsselmoment. Mittlerweile sehe ich die Fähigkeit, zu solchem Erleben, damals noch durch eine erst halboffene Tür, als ein Geschenk an. So wurden diese „Schockminuten“ im Nachgang, wie einige andere Anstöße auch, Wegweiser zu anderen Räumen. Ich bin in der DDR geboren und großgeworden. Dass, wie in der ´Staatsbürgerkundeˋ gelernt, das ´Sein´ das ´Bewusstsein´ bestimmt, stand für mich nie in Frage. So sah ich die Welt rein materialistisch und für Erlebnisse, wie das hier beschriebene, gab es keinen Platz. So war, zumindest erst einmal, keine befriedigende Verarbeitung möglich. Ich sah keinen Grund über Existenz und Bedeutung einer Seele nachzudenken. Heute bin ich überzeugt, dass ich in erster Linie ein seelisches Wesen bin. Das war keine schnelle Wandlung und auch nicht nur auf das beschriebene Ereignis zurückzuführen. Ich habe auch volles Verständnis für alle, die dies hier als Blödsinn abtun (hätte ich vor vielen Jahren auch bemacht).
Danke für die Mühe, dies bis hier unten zu lesen.
und viele Grüße * Helmfried
Zuletzt bearbeitet: