AW: ENDE der AUFKLÄRUNG!?
Hallo Micha!
Danke für Deine Geduld! 
Du meinst:
Sicherlich wäre auch mit Chardin noch einiges hinsichtlich des Versuches "der Formulierung des konstruktivistischen Imperativs" zu sagen. Es gilt aber für mich festzustellen, dass ein Chardin auch nur ein Kind seiner Zeit war und von daher sich denkerisch im Paradigma der naturwissenschaftlich orientierten kritischen Aufklärung bewegte. Teilhard kann man aber nicht nur mit "Wissen" interpretieren, sondern es bedarf dazu des (christlichen) "Glaubens". Die vernünftige Verbindung von "Wissen" und "Glauben" wird uns also noch weiterhin beschäftigen. Aber wenn wir die Epoche der kritischen Aufklärung endgültig hinter uns lassen wollen, dann müssen wir in der Tat nicht unbedingt weiter auf Teilhard de Chardin eingehen, sondern wir können uns zuerst einmal auf das blosse "Wissen" beschränken und den "Glauben" außen vor lassen.
Aber es bedarf hinsichtlich eines "Entwicklungsautomatismus" im alten Paradigma, in dem es nur um ein "Wissen" ohne zu "Glauben" geht, noch ein paar aufklärerischer Gedanken:
Erklären wir also einmal diese Welt für gott-los, das heißt es gibt kein Jenseits. Es gibt also nur noch das (materialistische) Diesseits, das von der (Natur)Wissenschaft immer mehr durchdrungen wird - auch das bisher unergründliche Geheimnis des Lebens (vgl. Zellforschung). Sehen wir das mal positiv, bereichernd und befreiend.
Es gibt also kein Jenseits mehr, d.h. keine guten und bösen Geister oder Dämonen mehr, keinen Krishna, keinen Wotan und keinen Zeus, keinen Jahwe, keinen Jesus Christus, keinen Allah und auch keinen Buddha, … keine Tempel und Kirchen, keine Altäre, keine Gebete, keine Gottesdienste, keine Heiligen Bücher, keine Zehn Gebote, keine Offenbarungen und Prophezeiungen, keine Wunder, keine Priester und Bischöfe, keine Gurus, keine Heiligen, keine Frommen, keine Christen, keine Juden, keine Muslime, und damit auch keine Taliban und so auch keine Ungläubige und keine Ketzer. Es gibt keine Stammesreligionen, keinen Ahnenkult noch Gräber. Es gibt weder den Glauben an Reinkarnation noch den Glauben an Auferstehung. Die Antwort auf den "Tod" heißt in Zukunft sowohl in Benares wie auch in Jerusalem:
Du bist Sternenstaub und was es wirklich gibt,
das ist einzig und allein das Diesseits, das es zu gestalten gilt! -
nicht mehr und nicht weniger.
Was die zukünftige Entgötterung der Natur durch weitere kausale naturwissenschaftliche Einsichten betrifft, so können wir uns – um unnötigen Ängste beispielsweise hinsichtlich der Entzauberung von Leben durch moderne Zellforschung vorzubeugen – ganz auf die Feststellung von Konrad Lorenz verlassen: „Noch nie hat …[die Natur], nach natürlicher Erklärung eines ihrer wunderbaren Vorgänge, als ein entlarvter Jahrmarkts-Scharlatan dagestanden, der den Ruf des Zaubernkönnens verloren hat, stets waren die natürlichen ursächlichen Zusammenhänge großartiger und tiefer ehrfurchtgebietend als selbst die schönste mythische Deutung“.
Seien wir also getrost, dass der Sternenstaub da noch so einiges an faszinierenden Überraschungen für uns bereithält, wenn wir erst einmal die wesentlichen Hindernisse aus dem Weg geräumt haben und zu den wahren Tiefen der geheimnisvollen Natur vorgedrungen sind.
Vor allem die Religionen behindern den Menschen, beim freien Wühlen im Sternenstaub. Nach Ansicht der neuen (und doch so alten) "kritischen Aufklärer" (= der so genannte "Neue Atheismus") handelt es sich bei Religion nur um eine bedauerliche Fehlleistung der Evolution, d.h. aus der Sicht des (Natur)Wissenschaftlers ist Religion nur eine Art von überdimensional entzündetem Blindarm in der Anatomie der Menschheit. Diesen gefährlichen Wurmfortsatz gilt es zu entfernen. Der Evolutionsbiologe Dawkins hofft z.B. ja sehr, dass Religion irgendwann der Vergangenheit angehört. Für ihn, als Naturwissenschaftler, ist ja Religion nichts als eine riesige Verschwendung von Zeit und Menschenleben und ein Witz mit kosmischen Ausmaß, der letztlich zu rein gar nichts gut ist. Für Dawkins ist das Austrocknen von Religion keine ganz unrealistische Hoffnung, denn es gibt Hinweise darauf, dass Menschen mit größerer Bildung seltener religiös sind und eine konsequente "kritische Aufklärung" würde noch das übrige dazu tun. Die moderne (Natur-)Wissenschaft vermag nun endlich diese äußerst diffizile Operation vorzunehmen, denn früher oder später wird sie endlich die letzten Geheimnisse des (biologischen) Lebens aufklärt haben. Wir können dann mittels Nano-, Bio- und Gentechnologie uns eines schönen Tages all das selbst erschaffen, was wir als Menschen so brauchen und noch viel mehr. Diese durchaus verheißungsvolle Entwicklung der Menschheit findet natürlich innerhalb der durch die Evolution vorgegebenen Zuchtwahl statt. Darwin zitierend, meint Dawkins, dass „die natürliche Zuchtwahl täglich und stündlich durch die ganze Welt beschäftigt [ist], eine jede, auch geringste Abänderung zu prüfen, sie zu verwerfen, wenn sie schlecht, und sie zu erhalten und zu vermehren, wenn sie gut ist.“
Wenn wir uns von der Krankheit "Religion" und ihren hinderlichen Werten endlich verabschiedet haben, dann werden wir schnell feststellen müssen, dass nach der endgültigen „religiösen Befreiung“ dennoch das Folgende auch weiterhin gilt: Am meisten brauchen wir uns Menschen selbst! (selbst oder gerade auch für den "Konstruktivismus"). Von daher ist es mehr als nahe liegend, dass wir auch alles daran setzten werden, möglichst bald den vollkommenen Menschen zu schaffen. Warum? Die Menschwerdung ist ja das eigentliche Ziel der ganzen evolutionären Zuchtwahl – und diese natürliche Menschwerdung sucht Vollkommenheit, den sogenannten „Übermenschen“. Das (natur)wissenschaftliche Dogma ist dann auch die nicht mehr zu hinterfragende Grundlage für die zukünftige Freiheit in der Forschung und die Schaffung und Ausbau effektiver Technologien, um die Menschwerdung ohne Gott voranzubringen. So errichtet die Menschheit (mittels eines "konstruktiven Prinzips"?)eine Schöne neue Welt!?
Aber ist der vollkommene Mensch nun ein Mann? Oder ist es er doch eher eine Frau? Oder ist der vollkommene Mensch weder Frau noch Mann? – Ist er gar geschlechtslos? (... die verschiedenen Menschenrassen sind für uns "aufgeklärte Menschen" ja nicht mehr das eigentliche Problem!)
Ja, an was werden wir uns wohl während unseres rastlosen Wühlens im Sternenstaub hinsichtlich der Menschwerdung ohne Gott orientieren? Wird die zukünftige Naturwissenschaft eine Antwort darauf finden? Kann ein konstruktivistischer Imperativ dann der aufgewühlten Menschheit Orientierung geben? Welcher "Wissenschaftler" vermag uns in Zukunft wohl die Wahrheit über Menschwerdung im gottlosen Sternenstaub – jenseits von Mann und Frau – allgemeinverbindlich offenbaren?
... aber lassen wir einmal die ganze Polemik, die sich da zwischen "Wissen" und "Glauben" auftut und versuchen einen vernünftigen Weg zu gehen.
Von daher ein Vorschlag:
Meiner Einsicht nach gibt es ohne "Glauben" für das "Wissen" des Menschen nur eine oder zwei große Einheiten, die da wären:
Die sogenannte "Naturheit" (das was ich mit dem Wort "Sternenstaub" versuche auf den Nenner zu bringen) und die "Menschheit".
Ist für Dich, Micha, nun
die "Menschheit" ein Teil der "Naturheit"
oder ist die "Menschheit" neben der "Naturheit" eine eigenständige Metaeinheit?
... ich hoffe, dass dies für Dich jetzt keine "Glaubensfrage" ist! - oder doch?
Ist in der ganzen "Superveranstaltung" diese, von mir gesetzte grundsätzliche Unterscheidung, von der wir hier reden wollen, nachvollziehbar und ist die Abhängigkeit, Zugehörigkeit, Eigenständigkeit zwischen "Naturheit" und "Menschheit" (endgültig) vernünftig zu klären?
"Naturheit" ist nicht gleich "Menschheit"!
Ist diese Aussage wahr?

LG Franz