Hallo Lilith,
ich kann mir in etwa vorstellen, was da alles in dir vorgeht, denn ich war auch schon mal als Mutter in der gleichen Situation. Mein Sohn, damals Anfang 20, litt auch immer öfter unter Depressionen, nachdem er einige Niederlagen hatte einstecken und verarbeiten müssen – weil er vieles nicht so umsetzen konnte, wie er es gewollt hätte. In guten Phasen war er voller Ideen und Vorhaben und hat sich immer wieder selbst unter Druck gesetzt, in dem Versuch alles auch umsetzen zu können. Aber es ging oft nicht so wie er es sich vorgestellt hatte – vor allem nicht schnell genug. Eines Tages musste ich ihn in die Psychiatrie begleiten und da brach für mich, als Mutter, erst mal eine Welt zusammen – nicht weil wir in einer sogenannten „heile“ Welt gelebt hatten, aber ich war total erschüttert. Ich ging zunächst aus der Klinik heraus mit einem Gefühl wie „plötzlich ist alles anders“. Ich suchte nach Gründen, nach Ursachen, dass es soweit hatte kommen können – fragte mich, was ich falsch gemacht hatte, hätte ich es verhindern können, würde er jemals wieder gesund werden, würde ich in der Lage sein ihn zu unterstützen usw.
Die Klinik war in der Nähe und ich habe ihn jeden Tag besucht, wir haben endlose Gespräche geführt, die mich, wie du auch schreibst, aber zum Teil auch irgendwann sehr erschöpft haben. Ich hatte schon länger eine Woche Urlaub geplant, gerade in der Zeit und wollte den Urlaub erst absagen. Die Therapeuten haben mir aber zugeraten, ich sollte mir die Woche nehmen – es wäre wichtig, dass ich auch für mich selbst sorgen würde, sonst würde ich mich erschöpfen und ich können ihn dann auch nicht „richtig“ unterstützen. Ich bin dann auch schweren Herzens weggefahren und habe die „Fürsorge“ anderen überlassen.
In dieser ganzen Zeit während des Klinikaufenthalt und auch danach musste ich lernen einzusehen, dass ich als Mutter, oder andere Angehörige, auch nur bedingt unterstützen und „helfen“ kann. Letztendlich konnte ich „nur“ begleiten... Das habe ich spätestens dann verstanden, als er nach der Entlassung einen Selbstmordversuch unternahm. Aber nach der Genesung sprudelte er wieder vor Gedanken und Plänen, was er nun machen möchte – versuchte das Eine nach dem Anderen und hatte schnell wieder neue Pläne. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich nicht mehr so einfach auf diese widerkehrende Gespräche einlassen konnte. Ich hatte das meiste schon immer wieder mal gehört und ich hatte keine Worte mehr – ich hatte das Gefühl, alles schon gesagt zu haben. Und das habe ich ihm dann auch eines Tages gesagt.
In den Jahren danach hat er immer wieder Neues versucht – hatte mal Erfolg aber auch Misserfolge bei seinen Vorhaben, hatte Phasen in denen er sich zurückzog, aber er kam immer wieder selbst auf die Beine. Die depressiven Phasen ließen immer mehr nach. In mir blieb noch nach Jahren eine gewisse Angst, dass wieder etwas „passieren“ könnte, aber das habe ich im erst später erzählt. Es war meine Angst, nicht seine.
Ich habe auch, wie du, mit Freunden und Familie geredet, aber irgendwie ist man doch allein damit. Andere, die das gleiche nicht erfahren haben, können sich nun mal nicht so hineinversetzen und einem wirklich „helfen“. Jeder Betroffene geht auch unterschiedlich mit solchen Situationen um, je nach Lebenserfahrungen und Lebensumstände. Diese Zeit liegt nun fast 10 Jahre zurück und er lebt nun seit einigen Jahren eigentlich recht zufrieden mit dem was er macht. Er scheint erst mal einen Weg gefunden zu haben, auf dem er sich wohl fühlt.
Lilith, das alles hilft dir nun sicher auch nicht weiter – ist nur einen, nun doch zu lang gewordenen, Erfahrungsbericht und alles doch verkürzt erzählt. Ich kann aber auch als Betroffene keine wirklichen Ideen und Ratschläge an Andere geben. Dafür sind die jeweiligen Hintergründe und Umstände einfach zu unterschiedlich von Fall zu Fall. Aber ich denke, es ist wichtig, dass man sich mit anderen Menschen austauscht. Ich habe damals auch eine Weile an einem Gesprächskreis für Angehörige teilgenommen, was mir aber nur in der ersten Zeit etwas geholfen hat. Dort konnte ich nur feststellen, dass ich zwar nicht allein war – aber doch allein ;-)
Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Kraft – und ich kann Fusselhirn nur Recht geben, achte auch auf dich selbst!
Viele Grüße,
Britt