AW: Eine Frage zu Jesus
Auch wenn ich nicht gläubig bin hat mich die Person Jesu und die unzähligen Auslegungen rund um ihm sehr interessiert. Meiner Meinung nach hat keine andere Instanz Jesus so sehr im Misskredit gebracht, als die Kirche selbst.
Die schönsten und humansten Texte über Jesus fand ich bei Martin Buber - und fluche furchtbar, dass ich heute mein schönes Martin Buber Buch vergebens gesucht habe. Da hat sich jemand angesichts meiner Bibliothek nicht an das siebte Gebot gehalten - Pfui!
Deswegen kann ich Euch nur die Gedanken Martin Bubers mit Zitaten die ich mir angegugelt habe, wiedergeben.
Martin Buber fasst seine Auffassung so zusammen:
Jesus ist mein älterer Bruder, aber der Christus der Kirche ist ein Koloß auf tönernen Füßen.
(Martin Buber an Schalom Ben-Chorin)
Martin Buber glaubt nicht an die Messianität Jesu, denkt auch, dass man eigentlich wenig über den historischen Jesu wisse, da die Evangelien keine historischen, biographischen Widergaben sind.
Und doch findet er manche überlieferte Sätze von Jesus erschütternd, er schreibt sie würden ihm ans Herz gehen.
"Von den messianischen Gestalten der jüdischen Geschichte, von Bar-Kochba bis zu dem infamen Lügner Jakob Frank, ist Jesus die erhabenste, die großartigste - aber der Messias ist er nicht.[...] Die Welt blieb auch nach ihm unerlöst, und wir spüren, wie diese Unerlöstheit uns direkt in die Poren dringt ... Inmitten einer unerlösten Welt mit einer erlösten Einzelseele herumzulaufen, wie es das Christentum lehrt, vorallem das Christentum abendländischer Prägung, lehnen wir ab."
Mir scheint dieser Gedanke der Unerlöstheit der Welt so bemerkenswert - und in diesem Zusammenhang auch der offensichtliche Widerspruch der Messianität Jesus.
Noch einen Abschnitt aus einem Brief von Martin Buber möchte ich hier wiedergeben - er ist an Hugo Bergmann gerichtet (1917):
Es kann somit niemals der Aufstieg eines Menschen zu Gott, die Wiedergeburt eines Menschen als messianisches Geschehen betrachtet werden, sondern nur die erlösende Funktion eines Menschen. In der erlösenden Funktion, der erlösenden Tat messianischer Menschen bereitet sich die absolute Zukunft in der Gegenwart, in aller Gegenwart. Ihre Vollendung ist unserem Bewußtsein entrückt - wie Gott; ihr Vollzug ist unserem Bewußtsein zugänglich - wie das Erlebnis Gottes im Menschen. Ich glaube an die Erfüllung am Ende der Tage, der nichts Vergänglichhes vorgreifen, aber alles Vergängliche vorbereiten darf und soll. Dies sind die "tausend Gestalten", in denen der Messias über die Sonnen, über die Erden wandelt"; "zerstreut in unsägliche Weite, hütet er allerorten das Wachsen der Seele, hebt er aus allen Tiefen die gefallenen Funken." Aber eben daraus geht hervor, daß die Vollendung nichts Geschehenes, nichts
Auch einem nichtgläubigen Menschen können solche Texte zutiefst berühren.
Den Jüngeren unter uns möchte ich die Lektüre von Martin Buber sehr empfehlen. Weil sie so reich an wahren Erkenntnissen ist - und auch weil sie immer wieder darauf hinweisen, wenn auch nicht vordergründig, wie oft die großen Kirchen die ursprünglichen Worte oder Lehren für sich uminterpretiert haben.
Grüße von Miriam