AW: Ein Ort für die Philosophie in der Gesellschaft
Hallo EarlyBird,
also psychoanalytisch gesehen könnte man wohl sagen, dass man an deinem Widerstand gegen meine Argumente erkennen kann, dass sie etwas in dir treffen - und in gewisser Weise wohl auch von dir als zutreffend eingesehen werden.
Zum obigen Zitat: Dass das auf Dauer krank macht, glaub ich auch. Aber das scheint die Wirtschaft nicht groß zu stören. Sie macht weiter wie bisher und akzeptiert innere Kündigungen. Der Grund dafür ist auch leicht verständlich: Das Konkurrenzprinzip, das über alle Unternehmen regiert, ist viel zu mächtig. Und wenn meine MitarbeiterInnen innerlich gekündigt haben und diejenigen der Konkurrenz haben es auch, habe ich keinerlei Konkurrenznachteil!
"Würdest du aber genauer hingucken" - ich möchte meine Rolle als studierter Philosoph doch auch so auffassen, dass es meine Aufgabe ist, auf Diskurstricks hinzuweisen. "Würdest du genauer hingucken" - suggeriert ein besseres Wissen, bedeutet aber in Wirklichkeit nichts. Denn: Würdest du genauer hingucken, dann könntest du sogar die Kopfläuse in den Haaren der Bäckereiverkäuferin sehen. Aber: Wenn du genauer hinguckst, siehst du wieder nicht den Menschen. Wenn du ganz genau hinguckst, mit wissenschaftlichem Gerät etwa, siehst du vielleicht einen Tumor in der Lunge dieser Person, aber du siehst wieder nicht den Menschen. Philosophisch gesehen, bedeutet richtig hinzugucken also: die gesamte Situation angemessen zu beurteilen. Und da ist es dann vielleicht nicht richtig, zu genau hinzugucken.
Also, EarlyBird, es gibt einen Fall, indem du Recht hättest, dass dort in der Bäckerei ein Mensch steht, das ist folgender: Wenn das Schicksal dieses Menschen ausschließlich darin besteht, Bäckereiverkäuferin zu sein, sie in dieser Tätigkeit genau das tut, was sie will und sie in ihr alle ihre menschlichen Potentiale realisiert. Mit anderen Worten: Wenn es ihr schon ins Gesicht geschrieben steht, dass sie nichts anderes kann und will als Bäckereiverkäuferin zu sein.
Nein, Mensch ist man nicht immer. Wenn ich z.B. zum Arzt gehe oder auf ein Amt, so höre ich "klick" auf, ein Mensch zu sein - und wenn ich aus dem Gebäude wieder herauskomme, schaltet sich mein Menschsein langsam wieder ein, rebootet und fährt wie ein Computer langsam wieder hoch. Es ist wirklich interessant, z.B. zu beobachten, wenn man beim Arzt von der Ordinationsbediensteten (meistens ein Wauwau der Marke Bullterrier) in das Wartezimmer verwiesen wird, wie das eigene Zeitbedürfnis (was ist für mich zu lang, zu kurz, was würde ich als angebracht einschätzen) mit einem Schlag ausgeschaltet wird und nur noch die Regeln der Ordinationszeit gelten, wie also der Mensch an die Institution angepasst wird und genau in dem Maße aufhört, eine Einheit zu sein, mit der zu rechnen ist, die um ihre Zustimmung zu fragen ist, die auch noch zählt.
Liebe Grüße
philohof