Psalm 137:
"An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande. Denn die uns gefangenhielten, hießen uns dort singen und in unserm Heulen fröhlich sein: «Singet uns ein Lied von Zion!» Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande? Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.
Hallo, Stephanos!
Erst mal sei in diesem Forum begrüßt!
Deine überaus bildenden Beiträge werden ja - so hoffe ich - auch in Zukunft unser Forum bereichern.
zum Text:
Psalm 137:
"An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten. Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande. Denn die uns gefangenhielten, hießen uns dort singen und in unserm Heulen fröhlich sein: «Singet uns ein Lied von Zion!» Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande? Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein."
Wie sehr viele Psalmen ist auch dieser - mEs. - parabelhaft zu verstehen für jede Art von Heimweh und für jede Strafandrohung, die "dem Entfernen von den Wurzeln" folgt.
Celan überträgt diese Parabel, die er als Mensch mosaischen Glaubens ja bewusster erlebte als wir, auf die aktuelle Situation in Hitlerdeutschland. Ich erinnere an das mich noch viel beeindruckendere Gedicht "Todesfuge" von ihm, in dem er das auch tut.
Nur, lieber Stephanos, es ist zu eng gefasst, wenn man es nur auf die Asylierung und Vernichtung der Juden im 3. Reich anwendet. Im Psalm nimmt der Psalmist sicher nur das babylonische Exil zum Anlass einen Text zu verfassen, der die Juden daran erinnern soll,"Jerusalem nicht zu lassen", am Monotheismus festzuhalten.
Auch Celan hat - das ist meine feste Überzeugung - nicht nur die Anprangerung im Sinne gehabt.
"Wieder an dunkelnden Teichen " Hier deutet er die geschichtliche Wiederholung des Geschehens an.
"Den Lehm erlös ..."
Hier deutet er mEs. auch eine Ursache der Trauer und Vernichtung an. Wie heißt es im mosaischen Glauben "Aus Staub bist Du und zu Staub sollst du wieder werden".
Anfangs des 20. Jahthunderts waren viele, v.a. gebildete Juden auf dem Wege in die Assimilierung. Sie entfernten sich von ihren religiösen Ursprüngen.
Die Methapher "erlöster Lehm" deute ich in diese Richtung. Begründung: 1. Der Anklang an den berühmten Psalm ist schon mit dem Titel gegeben.2. Die Warnung, Jerusalem nicht zu vergessen, steht in ihm genau so am Schluss wie diese Methapher in Celans Gedicht.
Und meine ganz persönliche Rezeption beider Texte:
Erst wenn der Mensch seine Wurzeln verloren hat, ist er ganz verloren. (Existenzielle Deutung)