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AW: die Burka in Europa




Jahre später. Halef ist verheiratet, Scheik geworden, hat einen Sohn Kara ben Halef.


Kara Ben Nemsi besucht ihn. Dabei kommt es zu folgendem Gespräch zwischen Hanneh, Halefs Frau und Kara Ben Nemsi:


Sie holte tief Atem, faltete die Hände und fuhr fort: 


   »O Allah, sei mir gnädig; laß mich wissen, daß in dieser wandelnden Figur auch etwas lebt, was ein Recht auf deine Liebe und auf deine Gnade hat! Warum darf der Mann allein durch Ewigkeiten leben? Was hat das Weib gethan, daß sie der Tod so ganz vernichten darf? Das hab ich oft, so oft gefragt und doch kein tröstend Wort darauf gehört. Antworte du, Effendi, sag die Wahrheit! Nicht ich allein frag dich; im Namen aller Frauen, deren Geist der Islam stiehlt, will ich wissen, ob wir wirklich keine, keine Seelen haben!« 


   Ich war mehr als überrascht, denn ich hatte zwar Fragen dieser Art, aber keine solche seelische Eruption erwartet. Ich glich einem Menschen, vor welchem plötzlich und ganz unerwartet in ebener Gegend von unterirdischen Gewalten ein Geiser emporgetrieben wird. Was mußte diese Frau im tiefsten Innern durchgefühlt und durchgebangt, durchgehofft und durchgefürchtet haben, daß die Schreie, von denen sie sprach, aus dieser Tiefe nun auch zu meinen Ohren drangen! Ich wollte anders, ganz anders antworten, aber es floß mir die Frage über die Zunge: 


   »Warum wendest du dich an mich, an keinen andern?« 


»Weil du ein Christ und nicht ein Moslem bist.« 


   »So brauche ich eigentlich gar nichts zu sagen, denn du hast dir die Antwort selbst gegeben. Du fragst den Christ, weil du meinst, daß nicht der Islam, sondern das Christentum die Wahrheit lehre. Damit hast du euern Muhammed verworfen und dich zu Isa Ben Marryam (*Jesus, Mariens Sohn) gewendet.« 


   »Hab ich das? Hab ich das wirklich, Sihdi?« 


   »Ja.« 


   »So sage mir: Hat die Christin eine Seele?« 


   »Nicht nur die Christin, sondern auch die Muhammedanerin, die Jüdin, die Heidin, jedes Weib hat eine Seele.« 


   »Also ich auch?« 


   »Ja, natürlich, ja!« 


   »Hamdulillah! Sprich weiter!« 


   »Unser heiliges Buch sagt: Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbilde, und er schuf sie, einen Mann und ein Weib. Gott ist allmächtig, allwissend, allweise; er ist auch gnädig, barmherzig und von ewiger Güte. Der Mann soll ein Bild der göttlichen Allmacht, das Weib ein Bild der göttlichen Güte und Liebe sein. Sind beide das, dann sind sie Mensch im wahren Sinne, sonst nicht! Kann ein Wesen, welches ein Ebenbild der göttlichen Liebe ist, ohne Seele sein?« 


   »Nein, denn grad die Liebe erfordert mehr Seele als alles andere auf der Erde.« 


   »Hat also das Weib eine Seele oder nicht?« 


   Sie blickte mir eine Zeit lang stumm in das Gesicht, dann sank sie langsam auf die Kniee nieder, schlug die Hände zusammen, holte lange, tief und laut Atem und sagte dann im innigsten Tone: 

»Sie hat eine! Oh Allah, ich habe eine Seele, eine Seele! Und davon hat dieser Effendi mich durch so wenige Worte überzeugt. Ich habe gezweifelt und gekämpft so viele Jahre hindurch, und nun kommt dieses Glück so plötzlich und so strahlend über mich! Ich bin kein hohles Gefäß, welches keinen Inhalt hat. Ich wurde nicht bloß für den Mann geboren, um dann wieder nichts zu sein. Ich habe eine Seele, welche lebt, solange es einen Gott und einen Himmel giebt! Nicht wahr, so ist es, Sihdi?« 


   Sie weinte vor Wonne, indem sie diese Frage an mich richtete. 


   »Ja, so ist es,« antwortete ich. »Wie Maria, die seligste der Frauen, im Himmel thront, so steht auch dir und allen Frauen, welche ihr nachfolgen, das Thor zu allen Seligkeiten offen. So lehrt das Christentum. Es lehrt auch, daß Christus auf die Welt gekommen ist, damit alle, die an ihn glauben, alle, Mann und Weib, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Also sollst auch du nicht verloren sein, sondern du bist für das ewige Leben bestimmt.« 


   Da stand sie wieder auf, hob wie zum Schwure die Hand empor und sagte: 


   »Effendi, ich glaubte, daß auch ich eine Seele habe; heut hab' ich sie endlich und wirklich gefunden und werde sie mir nicht wieder nehmen lassen. Wenn der Islam sie mir rauben will, so werfe ich ihn von mir und gehe zu Isa Ben Marryam, bei dem sie sicher vor Gefahren ist. Glaubst du, daß ich das thun werde?« 


   »Ich glaube es, denn du befindest dich bereits bei ihm.« 


   »Ja, ich verehre ihn, denn er hat, wie du oft schon sagtest, den Menschen die Liebe vom Himmel gebracht.

Die Wogen in mir sind ruhig geworden, und es giebt keine Wolken mehr. Es ist klar und hell in meinem Innern. Wie danke ich Allah, daß er mir den Gedanken eingegeben hat, noch heut mit dir zu sprechen! Ich mußte mit dir allein sein, denn in Gegenwart anderer konnte ich nicht sagen, was ich sagen wollte. Nun habe ich nur noch einen Wunsch an dich.« 


   »Welchen? Sag es mir!« 


   Sie zögerte ein wenig; dann aber folgte sie doch meiner Aufforderung: 


   »Halef, der Mann meines Herzens, wollte auch nicht glauben, daß wir Frauen Seelen haben. Kannst du wohl erraten, warum?« 


   »Ja.« 


   »Nun, warum?« 


   »Es scheint mir, daß er sich zuweilen ein wenig vor der deinigen gefürchtet hat.« 


   »Maschallah! Du hast es getroffen! Er ist der beste Mann, soweit die Erde reicht; er ist sehr klug und auch sehr tapfer, aber er bedarf zuweilen eines guten Rates und eines Kopfes, der ihn zwingt, diesen Rat zu befolgen. Gerade dadurch, daß ich seine Beraterin und Helferin wurde, begann ich zu ahnen, daß wir Frauen auch nicht ohne Geist und Seele sind, denn wenn die Frau den Geist des Mannes zu lenken und zu beherrschen vermag, so kann sie doch nicht bloß ein Körper ohne Inhalt sein. Nun bitte ich dich, ihm mit Vorsicht und Sanftmut beizubringen, daß ich meine Seele gefunden habe und daß er sich aber ja nicht vor ihr fürchten soll. So oft er versuchte, sie mir abzusprechen, mußte ich sie gegen ihn verteidigen, und da hat er sie wohl nicht in ihrer großen Freundlichkeit und Güte kennen gelernt. Er liebte mich, aber meine Seele nicht. Jetzt nun, da ich sie in Wirklichkeit und mit voller Ueberzeugung besitze, kann sie nicht mehr Gegenstand des Zweifels und des Streites sein; sie wird ihm also stets ihr lieblichstes Angesicht zeigen, denn ich wünsche, daß er sie recht lieb gewinnt. Willst du ihm das sagen?« 


   »Oh, sehr gern, Hanneh, du liebe Tochter der Ateïbeh!« 


   »Und sprich nicht viel von Muhammed mit ihm! Denn nur dieser falsche Prophet ist schuld an dem Glauben meines Halef, daß nur die Männer Seelen haben. Sprich lieber mit ihm von Isa Ben Marryam und vom heiligen Buche der Christen! Das wird sein Gedächtnis und seine Liebe stärken und ihn nicht in Gedanken fallen lassen, welche das Weib seines Herzens nur betrüben können. Willst du auch das thun?« 


   »Ich verspreche es dir, du allerklügste und überlegenste aller Frauen.« 


   »Und ferner weißt du doch, daß er zuweilen verwegener ist, als ihm die Vorsicht, es zu sein, erlaubt. Dulde das nicht; dulde es ja nicht! Beweise es ihm! Zanke ihn aus! Ich bitte dich darum. Das Weib eines furchtlosen Mannes ist stolz auf ihn; aber wenn der Mut sich in Tollkühnheit verwandelt, kann dem Stolze leicht die Trauer folgen. Ich will sein Weib, aber ja nicht seine Witwe sein! Du bist doch überzeugt, Sihdi, daß du ihn mir wiederbringst?« 


   »So viel an mir liegt, soll er keine Ursache finden, sein Leben unnötig auf das Spiel zu setzen.« 


   »Ich danke dir! Mein Dank gehört dir auch dafür, daß du ihm seine Bitte, Kara Ben Halef, meinen Sohn, mitzunehmen, abgeschlagen hast. Mein Herz wäre vor Sehnsucht nach dem Liebling krank geworden. Halef meinte, weil euch der Knabe damals gegen die Bebbeh-Kurden begleiten durfte und jetzt gar einen Löwen geschossen hat, würdest du ihm auch jetzt erlauben, mitzureiten.« 


   »Jener Ritt war ein ganz anderer, ein viel kürzerer, als derjenige, den wir jetzt vorhaben. Es giebt da höchst wahrscheinlich Anstrengungen und Entbehrungen, denen der jugendliche Körper deines Sohnes nicht gewachsen ist. Seine Begleitung würde uns wohl mehr hinderlich als förderlich sein. Meine Weigerung hatte also nur einen Klugheitsgrund; du bist mir keinen Dank schuldig.« 


   »Oh, Effendi, du willst überhaupt nie, daß man dir danke. Was seid ihr Christen doch für ganz andere Menschen als die Moslemin! Sag, sind auch die Frauen bei euch besser als bei uns?« 


   »Hm! Es giebt überall gute und nicht gute Menschen.« 


   »Auch Frauen?« 


   »Ja.« 


   »So werde ich darnach trachten, von dir zu den Guten gezählt zu werden. Jetzt muß ich fort, denn Halef, der Gebieter meines Herzens, könnte ungeduldig werden. Ich sage dir nochmals Dank. Du hast mir ein ganz neues, schöneres Leben gegeben; das werde ich niemals vergessen. Leïltak sa'ide - Gute Nacht!« 


   »Allah behüte und bewahre dich! - Leïltak mubarake -Gute Nacht!« 


   Sie ging. Ich sah ihr nach, bis sie hinter den Zelten verschwand, und kann sagen, daß es mir jetzt leid that, daß ich gekommen war, ihr ihren Halef für so lange Zeit zu entführen. Welche Tiefe des Gefühles und zugleich welch kindliches Empfinden! Wie schwer hatte das verneinende Urteil des Islam auf ihr gelegen, und wie hatte sie gerungen, diese Last abzuwerfen! Wie fern lag ihr die Indolenz jener unzähligen Orientalinnen, welche den ganzen Zweck und Inhalt ihres Lebens nur darin suchen, in der geistigen Oede des Harems körperlich möglichst rund und schwer zu werden! Und was für ein kluges und energisches Frauchen war diese kleine Hanneh geworden! Ich glaube, es könnte manchem sehr intelligenten Europäer nichts schaden, wenn die Herrin seines Salons eine solche Hanneh wäre. 


   So oder ähnlich waren meine Betrachtungen, als ich langsamen Schrittes in das Duar zurückkehrte.


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