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Der Wanderer über dem Nebelmeer

hyperion

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1. März 2011
Beiträge
67
Da steht er nun auf der Felsspitze, hoch über dem Nebelmeer, gedankenschwer, allein in sich selbst, dem Betrachter keine Gelegenheit bietend, irgendwelche Regungen seelischer Art aus seinen Gesichtszügen zu entnehmen und zu deuten. Er hat sich abgewandt.

Denkt er an das, was da fernab seiner utopischen Träume unter ihm, von statten geht?
Sind es nicht Wölkchen aus Pulverdampf, die sich, von unten kommend, den Weg ins Reine bahnen?
Hört er das Schreien der Menschen und Schüsse derer, die sich bekämpfen, um einander zu töten?

Unerschütterlich steht er fest mit beiden Beinen auf der Felsspitze mit nach vorne gerichteten Blick.
Er ist nicht bereit abzusteigen in das Schlammbett der Niederungen.
Sie waren ihm zu viele geworden, die Gutmenschen und die Gerechten, die nichts mehr zu verkünden hatten, nur ein Ziel kannten: Geld und Macht.
Sie waren ihm so zuwider geworden, dass er die Strapazen des Aufstiegs über verschlungene steile Rinnen, Grate und Eisfelder nicht scheute, um ihrem Dunstkreis zu entkommen.
Seine Seele drohte zu ersticken, die Luft zum Atmen war dünn geworden.
Immer wieder hemmten die Schatten der Vergangenheit seinen Aufstieg und sein Weggehen, doch er wusste, dass ihm irgendwo das Licht ewiger Erkenntnis einen neuen Sinn an Stelle seiner bisherigen sinnlosen Existenz erschließen werde.
Er konnte es nicht erwarten, und oft vermeinte er das Licht zu sehen, doch dann waren es bloß Irrlichter, denen er gefolgt war.
Sirenen gleich, hörte er die verführerischen Stimmen:
Kehr doch um, komm zurück, geh doch zurück in dein Schloss und wandle zufrieden im Garten beglückender irdischer Gefühle.

Solange es keine neue Welt gibt, die frei ist von all den Gefahren, denen die alte erliegen musste, wird er nicht zurückkehren.
Erst wenn das einst goldene Zeitalter wieder eingezogen ist, frei von den Feinden, die es vernichteten, gibt es ein zurück.
Sind die Kräfte des Untergangs stärker, dann wird er für ewig hier bleiben:
Am Ende seiner Tage ist er nicht gestorben, sondern lebend in dem Berg entrückt worden, so wie Kaiser Friedrich im Kyffhäuser mit seinem Heer.
Es sind nicht die Raben, die um den Berg fliegen, es sind seine Freunde, die Adler.
Erst wenn diese den Berg verlassen, dann weiß er dass seine Zeit gekommen ist, um zurückzukehren.
Dann zieht er mit seinem Heer dorthin, von wo er einst seine Wanderung aufgenommen hatte.
 
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AW: Der Wanderer über dem Nebelmeer

Die Adler fliegen um den Berg,
den Menschen sehen sie als Zwerg,
nicht als Ziel der Interessen,
weil Adler lieber Mäuse essen. :lachen:
 
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