maler76
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1. Textauszüge: Harry Popow - „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3
„Heimat ist dort, wo du bist,“ betonte Cleo von Anfang an. Und so waren sie sich einig: Sie wollten etwas Eigenes haben, etwas Bezahlbares, denn trotz gutem Verdienst in der DDR hätten sie sich auch damals kein Haus leisten können. Erst recht nicht nach der Rückwende. Und spontan wie die beiden manchmal sind, war es eine Bauchentscheidung, aus Deutschland abzuhauen und sogar blindlings zu kaufen, ohne jemals weder Schwedenland noch das Haus betreten zu haben. Nebenbei gesagt: In der Silvesternacht 1992/1993 sprach eine Wahrsagerin zu Cleo: „Zwischen ihrem jetzigen Leben und ihrer Zukunft liegt ein großes, dunkles Wasser.“ „So ein Quatsch“, dachte damals Cleo. Und tatsächlich – 1996 trafen die beiden ihre Entscheidung. Deren Kinder griffen sich, und nicht nur sie, an den Kopf. Als die verrückten Eltern dann endlich übers große Wasser davonschwammen mit der Fähre, saßen Irina, Patrick und Patricia in einer Kneipe beisammen und jammerten mit Tränen in den Augen: „Ja, ja, die Jungen bleiben zurück und die Alten kriegen Flügel ... !“ Aber sie akzeptierten ohne Wenn und Aber: Die Eltern kehrten nicht ihnen und den Enkeln, nicht der schönen deutschen Landschaft, nicht den Freunden und guten Bekannten den Rücken, sondern den „neuen“ Zuständen.
In die Stille, in die sie sich gerettet haben, ist Langeweile ein Fremdwort. Henrys Geburtstag zum Beispiel. Auf dem Vertiko im Wohnzimmer lachen ihn einige mit Sorgfalt ausgesuchte Dinge an. Auch eine „Rügenwalder“ Wurst, die er so gerne ißt und die es in Schweden nicht gibt. Cleo lacht ihn an, holt wenig später aus irgendeiner Ecke ihres erstaunlichen Gedächtnisses Verse aus Goethes Faust Teil II hervor, tanzt nach einer CD den Bolero (Ravel). Sie sprüht vor Energie: Er sieht ihre Augen, schön wie eh und je, ihr gestenreiches Artikulieren, das Temperament, da kommt was rüber, da geht die Post ab. Er kann seinen Blick nicht von ihr lassen. Sie: „Was guckst du mich so an?“ Da fällt ihm ein Vergleich ein: „Du hast eine Ausstrahlung auf mich – stärker als der Sonnenwind!“ Ehrlich, er weiß nicht, wie ein Sonnenwind auf ihn wirkt, aber Cleo lächelt. Das gefällt ihr, sagt sie. Dann spielt sie „Lucia" auf der Orgel, schimpft ihn Gewalttäter, weil er zu kräftig mit der Klappe eine Fliege tötet. Auch singt sie im schwedischen „Klamottenwald“ (Steine über Steine) Volkslieder, die sie schon mit vier Jahren im Luftschutzkeller sang aus Angst vor den Bomben.
Cleo – mit ihr ist jeder Tag ein Gewinn. Eine Frau mit Format: Schönheit, innere und äußere, gepaart mit Klugheit, ja, Scharfsinn, einem Urteilsvermögen in allen Lebenslagen, das Hellseherei vermuten läßt, also etwas sehen können, ohne suchen zu müssen. Dazu ein Rechtsgefühl und viel einfühlsame Menschlichkeit. Auch eine Selbstlosigkeit, die an Selbstaufopferung grenzt. Für die anderen da sein, ohne jemals nach Gegenleistungen zu fragen, das grenzt schon an ein Wunder. Cleo, Cleopatra – so wurde sie in ihrer Jugend von Gleichaltrigen genannt. Dabei waren und sind ihr Machtgier, Egoismus, übertriebener Ehrgeiz, Neid oder gar „Statusdenken“ ein Leben lang Fremdwörter geblieben. Und – sie läßt sich niemals gängeln, was sie zu denken und zu tun hat. Von wegen im politischen Gleichschritt mit ihrem Mann marschieren? So manche Versuche von durchaus klugen Leuten scheiterten, sie parteilich zu binden. Fehlanzeige. Sie wollte sich von keinem Statut etwas vorschreiben lassen. Sie ist halt ein oft rätselhaftes Phänomen. Sie hätte einen Prominenten an ihrer Seite verdient ... Nun aber hat sie den Henry. Ein lebenslanges Rätsel: Warum ihn? Hat er sie verdient? Diese Frage geht ihm manchmal durch den Kopf. Wie wurde er ihr gerecht in ihrem über vierzigjährigen Zusammensein? Hat sie ihn nur geduldet, etwa der Kinder wegen? Nein. Auch die wären für sie kein Bindungsgrund geblieben, wäre da nicht mehr, viel mehr! Es ist ihm, als hätte sich sein Lebensweg schon in jungen Jahren nur auf einen Punkt hin bewegt: Nämlich SIE zu finden und mit IHR zu gehen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Aber, aber – sie ist im Sternbild Widder geboren, er ist Schütze! Auch deshalb geht das gut, obwohl keiner von beiden abergläubisch ist. Das Leben hat es bewiesen.
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„Heimat ist dort, wo du bist,“ betonte Cleo von Anfang an. Und so waren sie sich einig: Sie wollten etwas Eigenes haben, etwas Bezahlbares, denn trotz gutem Verdienst in der DDR hätten sie sich auch damals kein Haus leisten können. Erst recht nicht nach der Rückwende. Und spontan wie die beiden manchmal sind, war es eine Bauchentscheidung, aus Deutschland abzuhauen und sogar blindlings zu kaufen, ohne jemals weder Schwedenland noch das Haus betreten zu haben. Nebenbei gesagt: In der Silvesternacht 1992/1993 sprach eine Wahrsagerin zu Cleo: „Zwischen ihrem jetzigen Leben und ihrer Zukunft liegt ein großes, dunkles Wasser.“ „So ein Quatsch“, dachte damals Cleo. Und tatsächlich – 1996 trafen die beiden ihre Entscheidung. Deren Kinder griffen sich, und nicht nur sie, an den Kopf. Als die verrückten Eltern dann endlich übers große Wasser davonschwammen mit der Fähre, saßen Irina, Patrick und Patricia in einer Kneipe beisammen und jammerten mit Tränen in den Augen: „Ja, ja, die Jungen bleiben zurück und die Alten kriegen Flügel ... !“ Aber sie akzeptierten ohne Wenn und Aber: Die Eltern kehrten nicht ihnen und den Enkeln, nicht der schönen deutschen Landschaft, nicht den Freunden und guten Bekannten den Rücken, sondern den „neuen“ Zuständen.
In die Stille, in die sie sich gerettet haben, ist Langeweile ein Fremdwort. Henrys Geburtstag zum Beispiel. Auf dem Vertiko im Wohnzimmer lachen ihn einige mit Sorgfalt ausgesuchte Dinge an. Auch eine „Rügenwalder“ Wurst, die er so gerne ißt und die es in Schweden nicht gibt. Cleo lacht ihn an, holt wenig später aus irgendeiner Ecke ihres erstaunlichen Gedächtnisses Verse aus Goethes Faust Teil II hervor, tanzt nach einer CD den Bolero (Ravel). Sie sprüht vor Energie: Er sieht ihre Augen, schön wie eh und je, ihr gestenreiches Artikulieren, das Temperament, da kommt was rüber, da geht die Post ab. Er kann seinen Blick nicht von ihr lassen. Sie: „Was guckst du mich so an?“ Da fällt ihm ein Vergleich ein: „Du hast eine Ausstrahlung auf mich – stärker als der Sonnenwind!“ Ehrlich, er weiß nicht, wie ein Sonnenwind auf ihn wirkt, aber Cleo lächelt. Das gefällt ihr, sagt sie. Dann spielt sie „Lucia" auf der Orgel, schimpft ihn Gewalttäter, weil er zu kräftig mit der Klappe eine Fliege tötet. Auch singt sie im schwedischen „Klamottenwald“ (Steine über Steine) Volkslieder, die sie schon mit vier Jahren im Luftschutzkeller sang aus Angst vor den Bomben.
Cleo – mit ihr ist jeder Tag ein Gewinn. Eine Frau mit Format: Schönheit, innere und äußere, gepaart mit Klugheit, ja, Scharfsinn, einem Urteilsvermögen in allen Lebenslagen, das Hellseherei vermuten läßt, also etwas sehen können, ohne suchen zu müssen. Dazu ein Rechtsgefühl und viel einfühlsame Menschlichkeit. Auch eine Selbstlosigkeit, die an Selbstaufopferung grenzt. Für die anderen da sein, ohne jemals nach Gegenleistungen zu fragen, das grenzt schon an ein Wunder. Cleo, Cleopatra – so wurde sie in ihrer Jugend von Gleichaltrigen genannt. Dabei waren und sind ihr Machtgier, Egoismus, übertriebener Ehrgeiz, Neid oder gar „Statusdenken“ ein Leben lang Fremdwörter geblieben. Und – sie läßt sich niemals gängeln, was sie zu denken und zu tun hat. Von wegen im politischen Gleichschritt mit ihrem Mann marschieren? So manche Versuche von durchaus klugen Leuten scheiterten, sie parteilich zu binden. Fehlanzeige. Sie wollte sich von keinem Statut etwas vorschreiben lassen. Sie ist halt ein oft rätselhaftes Phänomen. Sie hätte einen Prominenten an ihrer Seite verdient ... Nun aber hat sie den Henry. Ein lebenslanges Rätsel: Warum ihn? Hat er sie verdient? Diese Frage geht ihm manchmal durch den Kopf. Wie wurde er ihr gerecht in ihrem über vierzigjährigen Zusammensein? Hat sie ihn nur geduldet, etwa der Kinder wegen? Nein. Auch die wären für sie kein Bindungsgrund geblieben, wäre da nicht mehr, viel mehr! Es ist ihm, als hätte sich sein Lebensweg schon in jungen Jahren nur auf einen Punkt hin bewegt: Nämlich SIE zu finden und mit IHR zu gehen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Aber, aber – sie ist im Sternbild Widder geboren, er ist Schütze! Auch deshalb geht das gut, obwohl keiner von beiden abergläubisch ist. Das Leben hat es bewiesen.
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