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Aus dem Tagebuch einer Narzisstin

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etcetera

Guest
Dezember, nach Weihnachten: endlich habe ich mein Glück gefunden. Ausgesetzt den Blicken, die mich nach meiner Brauchbarkeit sondieren und mir ab und zu so etwas wie Wohlwollen zukommen lassen, werde ich zuerst zurückgeworfen auf meine Scham, danach von ihr befreit. Dorthin wollte ich gelangen, hier wartet meine Leichtigkeit und Stärke, brauche ich keine Fragen und Ängste mehr, sie haben sich mit mir aufgelöst.

Anfangs war es schwierig vor Publikum zu tanzen. Ich dachte sogar nicht mehr meine Füße heben zu können, sie gerieten zu Bleigewichten und lähmten mich. Aber dann sah ich einige Augen aufleuchten und spürte, dass sie mich meinten oder wenigstens einen Teil von mir, jenen, der sich sehen lassen kann…
Die Nachrichten der Männer, die seitdem täglich bei mir eintreffen, machen mich glücklich. Endlich ist meine Idee von mir wahr geworden und wird begehrt, das erspart mir weitere Zweifel. Wie ich mich denke und die Entwürfe in Bewegungen umsetze, ist in Ordnung. Manch einer möchte mich umarmen, aber natürlich verweigere ich mich, es soll die Distanz zwischen Publikum und Darbietender gewahrt bleiben.

Januar, Schneefall: mir ist so kalt ohne seine Liebe, ich friere erbärmlich, krieche unter das Fell, jemand hat es für mich zurückgelassen, träume meine Gliedmaßen warm und lebendig. Ich war stets bemüht ihm zu gefallen, was hätte ich nicht alles für sein anerkennendes Nicken getan. Nur so schien mir seine Zuneigung sicher - wenn alles an mir glatt und biegsam war und kein Argwohn meine Stirn versehrte. Jedoch war ihm eines Tages das schöne Bild von mir genug, er fragte nicht mehr nach meinen Gefühlen oder Träumen, betrachtete mich ausgiebig und lächelte zufrieden.

Das ist mir zu wenig, schrie ich ihn während einer gemeinsamen Mahlzeit an, verblüfft hielt er mitten im Kauen inne, immerhin war ich zum ersten Mal laut geworden, deutlich hörbar. Ich bemerkte, dass mich seine Fassungslosigkeit in Frage stellte und sein nagender Zweifel zerfraß mich.
Was ist mir dir los, fragte er angewidert, nachdem er endlich seinen angefangenen Bissen zerkaut und geschluckt hatte.
Ich möchte mich unterhalten, gestand ich traurig.
Okay, stimmte er zu und begann einen Monolog, breitete seine Ansichten, angeeignetes Wissen aus, bis ich vollends verschwamm.
Hau ab, flüsterte ich enttäuscht und er ging tatsächlich.

Seitdem tanze ich nur mehr für Fremde.
 
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AW: Aus dem Tagebuch einer Narzisstin

Dezember, nach Weihnachten: endlich habe ich mein Glück gefunden. Ausgesetzt den Blicken, die mich nach meiner Brauchbarkeit sondieren und mir ab und zu so etwas wie Wohlwollen zukommen lassen, werde ich zuerst zurückgeworfen auf meine Scham, danach von ihr befreit. Dorthin wollte ich gelangen, hier wartet meine Leichtigkeit und Stärke, brauche ich keine Fragen und Ängste mehr, sie haben sich mit mir aufgelöst.

Anfangs war es schwierig vor Publikum zu tanzen. Ich dachte sogar nicht mehr meine Füße heben zu können, sie gerieten zu Bleigewichten und lähmten mich. Aber dann sah ich einige Augen aufleuchten und spürte, dass sie mich meinten oder wenigstens einen Teil von mir, jenen, der sich sehen lassen kann…
Die Nachrichten der Männer, die seitdem täglich bei mir eintreffen, machen mich glücklich. Endlich ist meine Idee von mir wahr geworden und wird begehrt, das erspart mir weitere Zweifel. Wie ich mich denke und die Entwürfe in Bewegungen umsetze, ist in Ordnung. Manch einer möchte mich umarmen, aber natürlich verweigere ich mich, es soll die Distanz zwischen Publikum und Darbietender gewahrt bleiben.

Januar, Schneefall: mir ist so kalt ohne seine Liebe, ich friere erbärmlich, krieche unter das Fell, jemand hat es für mich zurückgelassen, träume meine Gliedmaßen warm und lebendig. Ich war stets bemüht ihm zu gefallen, was hätte ich nicht alles für sein anerkennendes Nicken getan. Nur so schien mir seine Zuneigung sicher - wenn alles an mir glatt und biegsam war und kein Argwohn meine Stirn versehrte. Jedoch war ihm eines Tages das schöne Bild von mir genug, er fragte nicht mehr nach meinen Gefühlen oder Träumen, betrachtete mich ausgiebig und lächelte zufrieden.

Das ist mir zu wenig, schrie ich ihn während einer gemeinsamen Mahlzeit an, verblüfft hielt er mitten im Kauen inne, immerhin war ich zum ersten Mal laut geworden, deutlich hörbar. Ich bemerkte, dass mich seine Fassungslosigkeit in Frage stellte und sein nagender Zweifel zerfraß mich.
Was ist mir dir los, fragte er angewidert, nachdem er endlich seinen angefangenen Bissen zerkaut und geschluckt hatte.
Ich möchte mich unterhalten, gestand ich traurig.
Okay, stimmte er zu und begann einen Monolog, breitete seine Ansichten, angeeignetes Wissen aus, bis ich vollends verschwamm.
Hau ab, flüsterte ich enttäuscht und er ging tatsächlich.

Seitdem tanze ich nur mehr für Fremde.

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