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AW: Auf der Suche nach den Wurzeln des Antisemetismus




Moralische Kommunikation hat immer auch die Funktion, sich selbst auf die moralisch richtige Seite zu stellen. Diese tritt umso mehr hervor, wenn der eigentliche Gegenstand des Diskurses ("die Juden") kaum konkret vorhanden sind, sondern nur als ferne Institution (die israelische Regierung) oder abstrakter Begriff (das Judentum) einfließt. Je weiter weg und umso abstrakter, wird der Begriff frei, um mit Bedeutungen aufgeladen zu werden oder moralisch funktionalisiert zu werden. Der Begriff ähnelt dann einem Stein in einem Reversi-Spiel, der je nachdem auf die eine oder andere Seite gedreht wird, und dann der einen oder anderen Seite als moralischer Gewinn dient.

Ein weiteres Beispiel wäre "er macht es fürs Geld" als moralischer Vorwurf. Diese Floskel offenbart sofort, dass sie rein funktional ist, da praktisch jeder irgendetwas fürs Geld macht. Je wohlfeiler ein Begriff moralisch benutzt wird, desto stärker der Verdacht, dass es nur um die moralische Abgrenzung geht, und nicht um Sachverhalte.

Wenn man das Augenmerk auf die Funktion von Begriffen legt, hat man vielleicht eine Chance, dem moralischen Diskurs zu entkommen; denn wenn man den Reversi-Stein nur wieder umdreht ("kritikverbot an Israel ist antisemtisch"), bleibt man ja in dem Spiel drin.

An sich ist es sicher nicht falsch, nach Wurzeln von Begriffen und ihren historischen Umständen zu suchen; aber man muss wirklich schauen, ob man die Begriffe durchgehend aus heutiger Sicht einordnen kann. So hörte ich von einem Wissenschaftler, der die Islamophobie historisch untersuchte und nachweisen wollte, dass unsere Islamangst auf uralten islamfeindlichen Denkmustern beruhe. Hier wird jedoch sofort konnotiert, dass ein Großteil islamkritischer Menschen archaisch, primitiv und reflexhaft in seinen Urteilen ist. Ich bezweifle jedoch die Sinnhaftigkeit einer solchen Übertragung ins Heutige, außerdem ist sie spekulativ.

Beim Antisemitismus kommt hinzu, dass durch die Ermordung der Juden und die Gründung des Staates Israel, die Bedeutung heutigen Antisemitismus von der Bedeutung früherer Judenfeindlichkeit doch ziemlich abgeschnitten wurde.


Natürlich will ich die inhaltlichen Bemühungen zum Thema historischer Antisemitsismus hier nicht torpedieren!


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