Man muss sich vor Augen halten, dass Antisemitismus, so wie er heute die Debatte beherrscht, ein reines Konstrukt innerhalb intellektualisierter Kommunikation darstellt. Es ist eine Judenfeindlichkeit ohne Juden; denn wer kennt den schon Juden, oder wenn er einen kennt, weiß er kaum, dass es einer ist. Was Juden sind und machen, wissen die meisten nur aus den Medien - es erinnert ein bisschen an die Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland, die lange fast ohne Ausländer funktionierte.
Ich würde daher die Frage von Wurzel auf Funktion umstellen. Denn selbst wenn der Antisemitismus historische Wurzeln hat, tritt er doch heutzutage fast nur funktionalisiert auf.
Dabei wird er von beiden Seiten funktionalisiert - und damit paradoxiert. In diesem Zitat findet sich die Paradoxie sehr schön wieder. Der Antisemitismus-Vorwurf wird einfach umgedreht und siehe da - er funktioniert dennoch.
In diesem entspannten Interview wird deutlich, dass der Antisemitismus in der funktionalisierten Form eine spezielle regionale Ausprägung hat, vieleicht sogar ein spezielle bilaterale, was das Verhältnis Israel-Deutschland betrifft.
Sicher hat der Antisemitismus eine lange Tradition - doch der Verweis auf Kant oder Wagner oder wen auch immer ist m.E. sekundär. Der Holocaust und die Gründung Israels haben das Thema völlig neu bestimmt.