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Alptraum (2. Teil)

wirrlicht

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26. Juni 2003
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..."Endlich mal eine intelligente Äußerung von Dir, das zeigt doch, daß auch Riesennacktschnecken über ein Fünkchen Hirn verfügen, warte, ich zeig´s Dir am besten, erklären läßt sich mein Dienst nicht so gut!" - und mit geradezu unheimlicher Geschwindigkeit hüpfte mir das Kerlchen mit einem großen Satz direkt auf die Stirn. Das gefiel mir aber gar nicht! Ich setzte schon an, ihn unwirsch abzuschütteln, aber er war schneller als ich: in Nullkommanix hatte er mir seine spinnendünnen Hände links und rechts flach auf die Stirn gedrückt, und was soll ich sagen -

Die Welt war verschwunden. Ich befand mich plötzlich in einem hell erleuchteten, gekachelten Bassin mit viel zu warmem Wasser. Ein Mensch hielt mir einen toten Hering vor die Nase und forderte mich auf, nach diesem zu schnappen. Bösartige kleine Haie bissen in meine Schwanzflosse, während ein Walfänger durch´s Becken auf mich zusteuerte und bedrohliche Gestalten darauf ihre Harpunenspitzen auf mich richteten. "Als Lebertran wird das jämmerliche Vieh schon noch verwertbar sein!" dröhnte eine gesichtslose Stimme in mein Ohr, und als ich mich verzweifelt zur Flucht abwenden wollte, merkte ich, daß das Wasser aus dem Bassin abfloß - ich lag mit dem bloßen Bauch auf Kacheln und konnte nicht fliehen! HiiiiiiiiiLFE!!! schrie ich, als übermächtig große, eiserne Harpunen auf mich zujagten - in der Gewißheit, nun mein Leben so abrupt und schrecklich beenden zu müssen, schloß ich die Augen -

und sah Alptraum triumphierend und mit vor Stolz leuchtenden roten Äuglein auf dem U-Bahnsteig auf- und abmarschieren. "Na?" krähte er begeistert, "wie fandest Du das? War das nicht ein super-beängstigender, herzbeklemmender, aufrüttelnder Traum? Hast Du schon einmal etwas Schrecklicheres erlebt?"

Mir fehlten die Worte. Noch immer raste mein Herz, ich konnte kaum atmen - und starrte diesen irrwitzigen Handelsvertreter nur stumm aus weit aufgerissenen Augen an. Das schien ihm zu mißfallen, denn schlagartig verschwand das flackernd-stolze Glitzern aus Alptraums Äuglein und in anklägerischem Ton warf er mir vor: "Dir hat´s nicht gefallen! Gib´s zu, Du bist genauso ein ignoranter Banause wie die Nacktschnecken auf der Erde, Du weißt meine Kunst nicht zu schätzen!" Und dann brach er zu meiner großen Verwunderung in Tränen aus. Noch immer fiel mir nichts ein, was ich sagen sollte, aber nach einigem Räuspern konnte ich immerhin fragen: "Sag mal, Alptraum, wenn Du Bilder in Köpfe machen kannst - warum sind die denn so schrecklich? Hast Du keine schönen Bilder auf Lager?" Ebenso plötzlich, wie das Männchen in Tränen ausgebrochen war, hörte es da wieder auf und rief mit zornbebender Stimme: "Da merkt man, daß Du eben nicht vom Fach bist! Woher bitteschön sollte ich schöne Bilder nehmen? Schöne Bilder - HA! Die hat doch dieser vermaledeite Mond alle hinter seiner Stirne gehortet - genau dort, wo Du mich vorhin hingeschleudert hast! Keine Chance, da was abzukupfern, niente, nix, nada - hast Du nicht das metallische 'Kloink' gehört, als ich dagegengeprallt bin? Der reinste Tresor ist das, no Chance, da ist nix zu machen! Und alles wegen eines einzigen, dummen Fehlers! Ungerecht ist das, unfair, da kann ich ackern und rödeln und werkeln, die Erde bereisen, meine bösen Träume fast kostenlos verschenken - keine Nacktschnecke will die, und ich kann zusehen, wie ich mein Traumköfferchen Nacht für Nacht gelehrt kriege und ach wie gut daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen..."

Also ehrlich, ich verstand nur Bahnhof! Ich wurde aus dem Gekeife von Alptraum einfach nicht schlau, und als ich einen ratlosen Blick zur U-Bahnstation warf, zuckte auch die nur resigniert die Gleise und seufzte. Es dauerte ein ganzes Weilchen, bis Alptraum wieder ruhiger wurde und sich schließlich mit hängenden Schultern auf seinen Hosenboden mitten auf dem U-Bahnsteig plumpsen ließ. So schwiegen wir eine ganze Weile, ich, weil ich nichts zu sagen wußte, Alptraum hing seinen frustrierten oder traurigen Gedanken nach - so genau konnte ich das nicht erkennen, als plötzlich eine dünne Stimme zu hören war: "Also - wenn ich etwas Erhellendes dazu sagen dürfte..." Zuerst konnte ich nicht erkennen, woher diese Stimme kam, aber dann sah ich weit oben eins der Sternenäuglein um Aufmerksamkeit heischend blinzeln, und als es bemerkte, daß ich es entdeckt hatte, erklärte es:

"In der Nacht, in der im Traumdepot die Aufgabengebiete verteilt wurde, hatte Alptraum das Pech, ausgerechnet die Alps zu ziehen. All die anderen Träume zogen so lukrative Gebiete wie Erotik, Sehnsucht, Zukunft, Liebe, Vision, Erinnerung, Lach- und Spaß usw. Klar, daß diese Träume sich leicht damit tun, ihre Dienste an den Menschen zu bringen, sie sind alle mehr oder weniger willkommen, bloß der gute Alptraum hier hatte von Anfang an Schwierigkeiten, seine Träume loszuwerden und sein Umsatzsoll zu erfüllen. Damals war er noch ein junger Idealist und wohnte mit seiner Liebsten - Kindertraum war das - zusammen in der Kolonie hinter der Mondstirn, aber je mehr die Zeit verging und je weniger seine Dienste gemocht wurden, umso verbitterter wurde Alptraum. Und - na ja, sieh ihn Dir an - er veränderte sich, wurde eine richtig böse Nervensäge. Deshalb hat Kindchen ihn irgendwann vor die Tür gesetzt, und die anderen Träume waren nicht bereit, ihn bei sich aufzunehmen. Seitdem arbeitet Alptraum wie besessen und ist erstaunlich erfolgreich dabei - ich glaube, er hat den meisten anderen Träume schon erhebliche Umsatzeinbußen beschert, er ist derjenige, der mittlerweile die meisten Träume absetzt. Nur: in der Kolonie hat er schon lange Hausverbot, er hat kein Zuhause mehr - deshalb bereist er Nacht für Nacht die Erde, plagt die Menschen, die er für Nacktschnecken hält, mit seinem Überangebot und ist nirgendwo mehr willkommen. Na ja," schloß das Sternauge, "um ehrlich zu sein: so wie er inzwischen drauf ist, würde ich ihn auch nicht mehr als Gast haben wollen, geschweige denn als Mitbewohner!"

Mit wachsendem Mitgefühl hatte ich Sternauge gelauscht, und als ich Alptraum jetzt so als heulendes Elend vor mir sah, fiel mir nichts Tröstliches für ihn ein. Außer ihm anzubieten, ihn auf meinem Rücken nach Hause zu bringen - aber dieser Vorschlag ließ Alptraums Tränen nur erneut fließen. "Zuhause, Du dumme Riesennacktschnecke, ein Zuhause habe ich keins! Warum, glaubst Du denn, reise ich wie ein Besessener durch´s Universum, hä? Egal wo ich hinkomme: bis jetzt sind noch in jeder Kolonie, der ich mich genähert habe, sofort die Türen zugeworfen worden, man will sich die Wohngegend nicht verhunzen, ich würde als schlechte Nachbarschaft gelten und die Mietpreise drücken - zur vermaledeiten Nacktschnecke aber auch: mich duldet niemand in seiner Wohngegend!"

Das war allerdings eine traurige Geschichte, und obwohl ich Alptraum noch immer nicht gerade sehr gerne mochte: daß der Ärmste so ganz ohne Zuhause leben sollte, ging mir nicht in den Kopf. Fieberhaft überlegte ich, und dann hatte ich eine Idee: "Hast Du denn wirklich schon überall nachgefragt wo Du wohnen könntest? Ich meine - nicht nur im Universum und auf der Erde oder in der Milchstraße?" Mürrisch knurrte Alptraum: "Natürlich, Schnecke, hältst Du mich etwa für dumm? Überall habe ich nach einem Häuschen gesucht - erfolglos!"

"Aber ganz bestimmt nicht unten im Ozean, dort wo die Tsunamihexe und ihre bebenden Töchter wohnen - die wohnen in einer Höhlenkolonie, in der es jede Menge freie Wohnhöhlen gibt. Dort hast Du ganz sicher noch nicht nachgefragt, stimmt´s?" erklärte ich ganz aufgeregt und stupste Alptraum mit meiner Nase so aufgeregt in die Seite, daß sein Kopf vom Hals kollerte und ins Wasser fiel. "Entschuldige bitte" unterband ich sein empörtes Schreien und schnellte den nassen Kopf wieder auf den Hals, und noch bevor sich Alptraum seinen Kopf wieder korrekt aufgeschraubt hatte, bot ich ihm meinen Rücken zum Aufsteigen an und schlug vor, daß wir die alte Tsunami doch gleich mal besuchen tauchen könnten. Nun ja - Alptraum war erstaunlich gefügig oder vielleicht vom Heulen einfach nur müde, er stieg jedenfalls fast kommentarlos auf, klammerte sich an meine Rückenflosse ("So ein albernes Nacktschneckengehäuse habe ich ja noch nie gesehen!" konnte er sich allerdings nicht verkneifen) und schwupps - in Waleseile waren wir auf dem Weg zur Seebebenkolonie.

Hier ist die Geschichte fast zu Ende. Alptraum bekam eine Wohnhöhle - sogar eine sehr geräumige, schöne. Er bekam sogar wieder eine Braut - eine der bebenden Töchter der Tsunamihexe. Und er ist richtig häuslich geworden, seit er dort wohnt. Wenn Alptraum nicht Alptraum hieße, könnte man sogar sagen, daß er jetzt glücklich ist - aber das würde wohl zu viel des Guten sein. Er ist zufrieden - und auf seine alten Tage ein wenig behäbig geworden. Oft packt er natürlich noch sein Köfferchen und reist wie früher zur Erde, um ein paar Alps zu verkaufen - wer möchte schließlich sein ehemals erfolgreiches Geschäft so gänzlich aufgeben? - das sind dann die Nächte, in denen mir der merkwürdige kleine Wicht gelegentlich das Kielwasser kreuzt. Immer häufiger jedoch streift er nur ein wenig durch´s Universum, läßt sein Köfferchen geschlossen - und wenn wir uns unterwegs zublinzeln, kann´s schon mal passieren, daß er seinen Kopf verliert und vergißt, daß er als Handlungsreisender Alps unter´s Volk zu bringen hat.

Wir Zahnwale sind für unsere Korrektheit bekannt. Aber ich muß gestehen: wenn Alptraum seinen Kopf verliert und dabei vergißt, daß er als Dienstleister unterwegs ist, erinnere ich ihn nicht daran.
 
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