AW: Abhandlung Traurigkeit
Als kleines Mädchen habe ich es geliebt, mir abends vor dem Einschlafen meine eigene Beerdigung vorzustellen. Ich stellte mir vor, wie meine Schulfreunde und Lehrer weinend an meinem offenen Grab stehen, natürlich nur gut über mich redend, und wie der Direktor, um Fassungs bemüht, eine ergreifende Trauerrede hält......Dass ich dann, zwar tief traurig weinend, aber dennoch befriedigt über meinen gekonnten "Abgang" einschlief, war klar.
In dieser kindlichen Spinnerei jetzt nach Konstruktivität oder Destruktivität zu suchen wäre natürlich albern, aber ich muss zugeben, dass mich dieses Bad in Traurigkeit regelrecht erfrischte, weil mir jederzeit die Möglichkeit blieb, aus dieser selbstgewählten und selbsterzeugten Traurigkeit wieder aufzutauchen.
Ich kann Lilith nur beipflichten, wenn sie sagt, dass künstlich erzeugte Trauer nur ein Suhlen in Selbstmitleid ist, und damit destruktiv, es sei denn, man würde durch dieses Gesuhle das Positive der realen Lebenssituation erkennen. In diesem Fall könnte man evtl. von Konstruktivität sprechen.
Wahre Trauer kann man nicht künstlich erzeugen. Es wäre nichts anderes als ein sich Hineinsteigern in fiktive Situationen, das vielleicht nur der genießen kann, der noch nie den furchtbaren Schmerz, den nur echte Trauer erzeugen kann, gespürt hat. Die echte Trauer anzunehmen, zu akzeptieren, so wie man auch freudige Emotionen gerne annimmt und akzeptiert, ist immer konstruktiv, weil wir nur so das Traurige verarbeiten können.
Den Melancholiker zu spielen, krampfhaft nach Traurigem zu suchen und zu glauben, daraus zu lernen, ist nicht nur, sorry, bescheuert, sondern auch in höchstem Maße ungesund.
Rhona