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Zarathustras Mitleid

Bernd

Well-Known Member
Registriert
3. Mai 2004
Beiträge
8.643
Liebes Forum,

ich würde gern mit euch ein bisschen darüber reden, dass Nietzsches Zarathustra immer wieder das Mitleid so verabscheut. Bis heute bin ich mir nicht sicher, was genau er damit meint und warum. Hab ihn nun zum 2. Mal gelesen, aber er erklärt es nicht richtig, warum er Mitleid so verwerflich findet.

Ihr könnt auch gern riskante Erklärungsversuche schreiben, ich will das gar nicht schlecht machen. Aber vielleicht ist etwas dabei, was bei mir endlich den Groschen fallen lässt.

Könnte er Mitleid als eine Voraussetzung für das „ich will dass es dir besser geht“ und „dich darum zum guten verändern“ , sehen?
Meint er vielleicht, dass es ohne Mitleid kein „am anderen herumverbessern“ gäbe, da das m.E. primäre (auch ohne Persönlichkeit bereits existierende) Mitgefühl kein Motiv hat?

Empfindet Zarathustra in Mitleid einen heuchlerischen Vorwand, beispielsweise für Macht, da Mitleid nur als kopfgeborenes Mitgefühl zu verstehen wäre? Mitgefühl ist m.E. ein echtes Gefühl, was aus dem Gefühl für seinen eigenen Körper entsteht. Mitleid könnte das in Verdrängung des tierischen/körperlichen vom Kopf ersetzte Mitgefühl sein und damit eher von einem Motiv abhängig, was möglicherweise nie die Wahrheit des Körpers, sondern nur die Wahrheit der Persönlichkeit beinhaltet.

Warum sieht Zarathustra hier drin nun DAS große menschliche Problem?

Ich seh hier nicht durch. Für den, der Zarathustra nicht kennt, ist das Problem vielleicht wieder etwas unklar, auf Wunsch suche ich auch gern ein paar begleitende Textstellen heraus. Aber auch ohne ihn zu kennen, würde eine Meinung vielleicht helfen.

Viele Grüße
Bernd
 
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AW: Zarathustras Mitleid

Hallo Bernd!
Ich kenne Zarathustras Mitleid nicht, habe mich jedoch schon öfter mit dem Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl beschäftigt.

Mitleid als Vorwand für Macht zu sehen, das entspricht auch meiner Sichtweise. Mitleid, das ich für jemanden in einer misslichen Lage empfinde, erfordert ja erst einmal eine Beurteilung der Lage des "armen Menschen". Aus der Position dessen, der meint, es besser zu wissen oder auch, in einer besseren Situation zu sein, erscheint einem der Bemitleidenswerte als Bedürftiger, der Hilfe benötigt.

Indem ich ihm helfen will - egal ob ich es tue oder nicht - nehme ich ihm auch die Eigenverantwortung für sein Schicksal weg.

Es erscheint mir hochmütig davon auszugehen, dass meine Art zu leben und Erfahrungen zu machen, die "einzig richtige" ist. Doch genau das liegt der mitleidigen Haltung zugrunde. Wie sonst käme ich auf die Idee, dem anderen müsse es unter gewissen Umständen, unter denen es mir schlecht ginge, auch schlecht gehen?

Mitgefühl bedeutet hingegen ein Sich-Hineinversetzen-Können in die Lage eines anderen, nachzuempfinden, wie er sich fühlt, Verständnis zu haben, ohne seine Lage zu beurteilen. Das kann jeder nur in dem Ausmaß, wie er schon eigene Erfahrungen gemacht hat.

herzlich
lilith
 
AW: Zarathustras Mitleid

Hallo Bernd,

ich bin kein Experte und kann hier auch nur meine bescheidene Vermutung äußern.

Ich denke für Nietzsche ist Mitgefühl nichts schlechtes, sondern nur das Mit-Leid.
Mitleid hemmt dich "richtig" zu leben. Es wirkt positiven, kreativen, wachsendem Leben entgegen. Wenn du leidest, ist das Leid (etwas destruktives) im Vordergrund deines Lebens.

Persönlich finde ich gehört ein gewisses Maß an Mitleid auch zum positiven Leben dazu.

Hoffe es hilft.

lg,
fussel

Nachtrag=>
aus Nietzsche Online schrieb:
War Nietzsche gegen Mitleid ?

Persönlich ist Nietzsche ein Mensch, der unter einem Übermaß von Mitleid und Mitgefühl leidet. Er sieht jedoch das Mitleid in scharfem Kontrast zum Mitgefühl. Mitleid (das nicht auf Mitgefühl basiert), erregt - vor allem, wo es als "Religion des Mitleids"1 gepredigt wird - seinen Verdacht. Dieses "Mitleid" ist ein christlich sanktioniertes Überlegenheitsgefühl, und die Forderung nach Mitleid eine Forderung nach dem Primat der Moral als der zentralen Lebensaufgabe des Menschen. Es ist verwandt mit dem Ressentiment: ein Selbstgenuss der Schwachen, der Kranken, der "Schlechtweggekommenen" und es verrät sich durch das Fehlen von "Mitfreude"2.

Da Nietzsche das Leiden in der Welt nicht als etwas sieht, das zu eliminieren ist oder eliminiert werden kann, sieht er im "Mitleiden" eher eine "Verdoppelung des Leids"3 als dessen Reduzierung.
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Zarathustras Mitleid

Hallo ihr zwei.

von lilith:
Mitleid, das ich für jemanden in einer misslichen Lage empfinde, erfordert ja erst einmal eine Beurteilung der Lage des "armen Menschen". Aus der Position dessen, der meint, es besser zu wissen oder auch, in einer besseren Situation zu sein, erscheint einem der Bemitleidenswerte als Bedürftiger, der Hilfe benötigt.
Ja, das ist ein interessanter Gedanke, lilli (lilith spricht sich so schwer aus, ohne den gegenüber vollzuspritzen).

Mitgefühl bedeutet hingegen ein Sich-Hineinversetzen-Können in die Lage eines anderen, nachzuempfinden, wie er sich fühlt, Verständnis zu haben, ohne seine Lage zu beurteilen.
Ja, so seh ich es auch. Mitgefühl ist m.E. nichts, um das man sich bemühen muss, es ist da. Und manchmal hilft es eher, wenn man nur da ist, nicht auch noch herumzerrt, am Leidenden. Vielleicht ist Mitleid das Mitgefühl um das sich der Mensch bemüht? Nietzsche hat etwas gegen das sich bemühen "gut" zu sein. Er mag Tugend nicht, weil sie zum Gegenteil führt, wie das Zölibat oder Verurteilung des Körperlichen z.B. zur sexuellen Perversion.


von Fusselhirn:
Dieses "Mitleid" ist ein christlich sanktioniertes Überlegenheitsgefühl
Das ist auch interessant!

von Fusselhirn: ein Selbstgenuss der Schwachen, der Kranken, der "Schlechtweggekommenen" und es verrät sich durch das Fehlen von "Mitfreude"2.

Und das auch!! Das Fehlen von Mitfreude. Ausgezeichneter Gedanke!

Dankeschön, lilith und Fusselchen, das hift ersteinmal...da muss ich drüber nachdenken. :guru:

Viele Grüße
Bernd
 
AW: Zarathustras Mitleid

Hallo Bernd!
Ich wollte gerade etwas über den Gegensatz von "Mitleid" und "Mitgefühl" schreiben, als ich gerade was von fusselhirn las, was meine Zeilen mehr als erübrigt.
Daher nur noch eines: ich habe mir irgedwann mal "Also sparch Zarathustra" zugelegt und konnte es damals nicht lesen, weil es mir zu schwierig war und ich denke, man braucht dazu vielleicht auch etwas an Lebenserfahrung, um sich mit diesen weisen Worten besser auseinander setzen zu können.

Ich habe es vor 2, 3 Jahren wieder probiert und ich fand tatsächlich einen wesentlich besseren Zugang.
Aber es verlangt außerordentlich viel Konzentration und Zeit, für mich jedenfalls, und konnte immer noch nur einige Auszüge lesen ud überdenken. Und manchmal freute ich mich sogar ein wenig, wenn ich das Gefühl hatte, ich hätte Nietzsche verstanden.

Ich glaube und habe es auch schon so gehört, dass dieses Werk wahrscheinlich das schwierigste von Nietzche ist. Aber ich bin nun angeregt, das Buch wieder mal in die Hand zu nehmen und nach dem "Mitleid" zu suchen.
Wenn ich es tatsächlich tue und glaube, etwas dazu sagen zu müssen, werde ich mich rühren. ;)

Bis dahin
lg
Andreas
 
AW: Zarathustras Mitleid

Ja, das ist ein interessanter Gedanke, lilli (lilith spricht sich so schwer aus, ohne den gegenüber vollzuspritzen).
Lilli heißt unser Hund, darum habe ich "Lilith" mal irrtümlich mit "ll" geschrieben. Ich bitte nachträglich um Verzeihung, Lilith. :rolleyes:
Ich will Dir mit dem Hundenamen nicht zu nahe treten, Lilith, aber wir haben ihn sehr gern, wie Du vielleicht schon mal mitgelesen hast.
Es ist halt wie es ist, sagt die Liebe.
(Und Du weißt wer das sagt)

lg
Andreas
 
Off Topic: Lilli

Hallo Bernd und Andreas61!

Ich habe gar nichts dagegen, ab und zu auch mit "Lilli" angesprochen zu werden. Sehr gute Freunde von mir nennen mich auch im RL manchmal so. Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen, wenn ich mich dann auch ein wenig zärtlich gestreichelt fühle.

:kuss1:
lilith
 
AW: Zarathustras Mitleid

Ich war doch zu neugierig und konnte es - sehr zum Leidwesen anderer - nicht erwarten, bei Zarathustra nachzulesen. Du wolltest einige Zeilen bringen, Bernd, und ich glaube, das ist keine schlechte Idee, weil es da einiges zum Nachdenken darüber gibt und vielleicht zum besseren Verständnis beiträgt, was Nietzsche, der Zarathustra, meinen könnte. Aus "Von den Mitleidigen", in "Also sprach Zarathustra", 2. Teil (man vergleiche nebenbei auch den einmaligen Rhythmus der Sprache, wie Experten dazu meinen):

"O meine Freunde! So spricht der Erkennende: Scham, Scham, Scham - das ist die Geschichte des Menschen!
Und darum gebeut (veraltet für: gebietet, Anm.) sich der Edle, nicht zu beschämen: Scham gebeut er sich vor allem Leidenden.
Wahrlich, ich mag sie nicht, die Barmherzigen, die selig sind in ihrem Mitleiden: zu sehr gebricht es ihnen an Scham.
Muß ich mitleidig sein, so will ich's doch nicht heißen; und wenn ich's bin, dann gern aus der Ferne.
Gerne verhülle ich auch das Haupt und fliehe davon, bevor ich noch erkannt bin: und also heiße ich euch tun, meine Freunde!"
...
"Seit es Menschen gibt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut: Das allein, meine Brüder, ist unsere Erbsünde!
Und lernen wir besser uns freuen, so verlernen wir am besten, andern wehe zu tun und Wehes auszudenken.
Darum wasche ich mir die Hand, die dem Leidenden half, darum wische ich mir auch noch die Seele ab.
Denn dass ich den leidenden leiden sah, dessen schämte ich mich um seiner Scham willen; und als ich ihm half, da verging ich mich hart an seinem Stolze."

Und noch etwas aus dem gleichen Kapitel:
"Ach, meine Brüder! Man weiß von jedermann etwas zu viel! Und mancher wird uns durchsichtig, aber deshalb können wir noch lange nicht durch ihn hindurch.
Es ist schwer mit Mneschen zu leben, weil Schweigen so schwer ist.
Und tut dir ein Freund Übles, so sprich: "ich vergebe dir, was du mir tatest; dass du es aber dir tatest - wie könnte ich das vergeben!"

Der Abschluss:
"Merket aber auch dies Wort: alle große Liebe ist noch über all ihrem Mitleiden: denn sie will das Geliebte noch -schaffen!
'Mich selber bringe ich meiner Liebe dar, und meinen Nächsten gleich mir' - so geht die rede allen Schaffenden
Alle Schaffenden aber sind hart. -
Also sprach Zarathustra."

Danke, Bernd, ich habe jetzt echt Lust auf noch mehr Nietzsche bekommen!

lg
Andreas
 
AW: Zarathustras Mitleid

von Andreas:
Daher nur noch eines: ich habe mir irgedwann mal "Also sparch Zarathustra" zugelegt und konnte es damals nicht lesen, weil es mir zu schwierig war und ich denke, man braucht dazu vielleicht auch etwas an Lebenserfahrung, um sich mit diesen weisen Worten besser auseinander setzen zu können.

Hallo Andreas.

Er ist schwierig. Ich habe den Zarathustra eigentlich erst beim 2. Mal langsam durchdrungen, seit ich mich durch die östliche Philosophie und die verschiedenen Lehren und Religionen arbeite. Es ist aber kein rein intellektueller Akt, es erfordert praktische Arbeit, eigene „Forschung“ und Experimente, sonst wirkt das manchmal ideotisch. Nietzsche ist für mich eigentlich DAS Bindeglied von Osten und Westen. Es ist deshalb m.E. günstig, sich mit dem östlichen Verständnis der Persönlichkeit (ICH) zu beschäftigen, ob man mit der westlichen Sicht den Zarathustra überhaupt erreichen kann, weiß ich nicht. Der jüngste prominente deutsche "Europa"-Politiker der dreiziger und vierziger, Hitler, hat den „Übermenschen“ von Nietzsche m.E. auch in einem völlig schwachsinnigen Sinne verstanden. Leider scheint Nietzsche dieser Makel anzuhaften, aber das soll uns mal nicht abschrecken. *schmunzel * Heidegger steht in viel besserem Ruf, obwohl der sogar mit Hitler gebuhlt hat...und das ist m.E. schon ein schwerwiegenderer Makel. Keine Ahnung, ob die Leute sowas überhaupt wissen. Dass Nietzsche doof ist, wissen sie aber genau. :)

Ich glaube und habe es auch schon so gehört, dass dieses Werk wahrscheinlich das schwierigste von Nietzche ist.
Ja, das seh ich auch so. Deshalb muss ich hier fragen, um überhaupt jemanden zu finden, der ihn kennt oder mit diesem Gesülze etwas anfangen will. Versuch mal mit einem Bekannten über die Rache des Verstandes zu reden, der füllt dir gleich die Einweisungsformulare aus. Sicher les ich es auch noch mal...die Sache mit dem Mitleid scheint mir wichtig... und irgendwann versteh ich es hoffentlich. :sabber:

Viele Grüße
Bernd *der mit dem großen Badspiegel vom Balkon aus die Sonne nach Österreich umlenkt*
 
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AW: Zarathustras Mitleid

Hallo Bernd!
....
Er ist schwierig. Ich habe den Zarathustra eigentlich erst beim 2. Mal langsam durchdrungen, seit ich mich durch die östliche Philosophie und die verschiedenen Lehren und Religionen arbeite. Es ist aber kein rein intellektueller Akt, es erfordert praktische Arbeit, eigene „Forschung“ und Experimente, sonst wirkt das manchmal ideotisch.
....

Auch ich habe viele Texte erst verstanden, als ich die östliche Sichtweise mit der westlichen zusammengeführt hatte.
Die Erkenntnisse wollen allerdings auch ins alltägliche Leben integriert werden, sonst bleiben sie Schall und Rauch.

Viele Grüße
Bernd *der mit dem großen Badspiegel vom Balkon aus die Sonne nach Österreich umlenkt*
Es hat gewirkt. Heute abend hab ich die Sonne schon wieder genießen können. Und morgen solls sogar heiß werden.

:danke:
lilith
 
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