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Wie die Medien auf den Emsdetten-Vorfall reagierten

deep7

New Member
Registriert
27. November 2006
Beiträge
11
Hallo. Ein sehr netter Mensch (den ich im Folgenden aus Anonymitätsgründen einfachkeitshalber P. nennen werde) aus einem anderen Forum, in dem ich ebenfalls angemeldet bin, hat mir die Erlaubnis erteilt, seinen E-Briefwechsel mit dem Focus-Magazin zu verbreiten, in dem er die Objektivität der Systemmedien in ihrer Berichterstattung über den Emsdetten-Vorfall in Frage stellt. Die Interpretation bleibt euch selbst überlassen. Viel Vergnügen jedenfalls!

1. Schreiben von P.:

Sehr geehrte Damen und Herren,

seit dem Amoklauf von Emsdetten verfolge ich sämtliche Berichterstattungen zu diesem Thema. So also auch gestern dem 24.11.2006 ihre Sendung.

Der Grund weshalb ich Ihnen heute schreibe ist der, dass es mich zunehmends aufregt, dass in jeglichen Medien nur noch Halbwahrheiten und "Schreckensszenarien" zu sehen sind. Wenn man die Medien nach den Hintergründen für die Tat von Sebastian Bosse fragt, sind die schuldigen schnell gefunden. Denn anstatt Lehrer, Mitschüler, Eltern, Politiker und Medien dort anfangen zu suchen wo man es immer als erstes tun sollte, nämlich bei sich selbst, ist es heute ja viel bequemer nach Gründen zu suchen, die sich gegen die Schuldzuweisungen nicht wehren können. So fallen dann blitzschnell kreativ erdachte Kunstworte wie "Killerspiele". Auf diese kann man sich dann wunderbar einschießen bis sie einfach verboten werden, weil sie den meisten schon vor solchen Taten ein Dorn im Auge waren, aus welchen Gründen auch immer.

Sucht man dann beim Täter direkt nach Gründen schließt man dann einfach auf dessen "geistiges Defizit" und zensiert kurzerhand Websites, Abschiedsbriefe in voller Länge und andere Sachen die in Verbindung mit dem Täter standen. Denn wenn Sie den Abschiedsbrief von Sebastian in voller Länge lesen, und ich denke mal das haben Sie getan, dann wird Ihnen auffallen, dass man die Beweggründe für eine solche Tat schon nachvollziehen kann. Zumindestens dann, wenn man noch ein Fünkchen unmanipulierten Geist in seinem Kopf hat.

Sebastian Bosse bekam von seinen Lehrern sein ganzes Leben lang erzählt, dass aus ihm nichts wird und er der geborene Verlierer sei. Auch seine Mitschüler stießen in das selbe Horn, und sei es nur deswegen, weil sich Sebastian eben nicht für die neusten Trends, Klatsch und Tratsch, die neusten Popstars und ähnlichen Schwachsinn interessierte. Nicht er isolierte sich aus dem Leben, sondern seine Umwelt isolierte ihn. Kurz und Knapp gesagt, er geriet in einen immer größeren Konflikt mit unserem System. In der Schule galt er als Verlierer, in seinem Elternhaus durch diese Tatsache bedingt vermute ich mal auch und wenn er in die Medien guckte, sah er auch ständig Leute die ihm erzählten was gut und was schlecht ist. Seien es nun irgendwelche überkandidelten Prominenten oder irgendwelche Schreckensbotschaften in den Nachrichten.

Wenn man heute, als perspektivloser Jugendlicher in der Welt umschaut öffnet man schnell die Augen. Mehr und mehr erkennt man das verkettete Lügennetz des Systems, welches aufrecht erhalten werden muss um die mächtigsten Männer und Frauen dieser Welt vor der winzigen und sogenannten (auch ein sehr kreativer Begriff welcher gebildet wurde) "Unterschicht" (wie sie schon seit Jahrzehnten existiert, aber ihr Schrei erst jetz laut genug wurde) zu schützen. Aber glauben Sie mir, eines Tages wird dieses Geflecht zerbersten und jegliche schreckliche Wahrheiten ans Tageslicht treten.

Jetzt meinen Sie bestimmt ich sei genauso verhaltensgestört wie Sebastian Bosse und behaupten Sie decken in Ihren Sendungen immer die volle Wahrheit auf. Was wäre nun, wenn ich Ihnen sagen würde, dass ich Ihnen das Gegenteil beweisen könnte. Das kann ich nämlich, und zwar anhand des Beitrages vom 24.11.2006 um 22:05 Uhr. Dort zeigten Sie eine Video-Sequenz die einen erst 14 jährigen Jungen beim "Computer spielen" zeigt und er sein Tastatur in viele kleine Einzelteile zerlegte. Sie behaupteten dann, dass diese Bilder enstanden sein, als der Vater des Jungen diesen heimlich filmte und das dies wohl die Folgen des Spielen sein.

Schon als ich die Szene zum ersten mal sah war mir mehr zum Lachen als nach Angst zu Mute. Als die Sendung dann vorbei war, begab ich mich selbst auf die Suche nach diesem Video. Schon nach wenigen Versuchen auf www.youtube.de wurde ich fündig und schaute mir das Video nochmals in voller Länge an und mir wurde noch bewusster, dass dies zwar ein äußerst lustiger Scherz eines Hobbyfilmers war, aber keines Falls ernst zu nehmen. Spätestens nach den ersten Schlägen hätte die Tastatur ihren Geist aufgegeben, aber der Junge konnte ja bis zum Schluss weiter spielen. Wenn Ihnen das jetzt noch nicht Beweis genug ist, dann hab ich noch einen. Heute nämlich fand ich ein weiteres Video des selben Jungen und ich denke mal spätestens wenn man das gesehen hat, wird einem klar, dass es sich hierbei um einen Scherz handelt. Hier können sie sich das Video anschauen: http://www.youtube.com/watch?v=rx6URtAaCPs (bitte kopieren Sie die URL in Ihren Webbrowser, da die Link-Funktion von Web.de nicht funktioniert).

Jetzt fragen Sie sich, was ich Ihnen mit dieser Mail zu einem Scherz-Video sagen will?!? Das kann ich Ihnen beantworten. Ich möchte endlich Wahrheit. Wahrheit in vollendeter Form. Ich bitte Sie inständig Ihre Recherchearbeiten zu Emsdetten und Killerspielen noch einmal zu überdenken. Ich bitte Sie den Menschen die Ihnen Vertrauen entgegenbringen nicht einfach nach Strich und Faden zu belügen. Ich bitte Sie diese Gründe, wie ich Sie Ihnen nannte anzusprechen anstatt ständig auf die Tränen- und Angstknöpfe der Menschen zu drücken. Ich bitte Sie diese Mail, sowie den kompletten und unzensierten Abschiedsbrief Sebanstians auszustrahlen. Ich bitte Sie von Ihrem Recht auf Pressefreiheit gebrauch zu machen und den Menschen auch die andere Seite zu zeigen. Ich bitte Sie Sebastian Bosse nach seinem Tod mit dem selben schäbigen Respekt zu behandeln, wie es seine Mitmenschen vor seiner Tat getan haben. Sebastian war kein böswilliger Killer. Er war ein verzweifelter, perspektivloser, unverstandener Jugendlicher, der sich keinen anderen Ausweg mehr wusste als einen spektakulären Selbstmord zu inszenieren. Ich möchte, dass die wahren Schuldigen in der Kritik stehen.

Wenn Sie auch nur einen Funken Anstand besitzen, und ich denke mal das tun Sie, dann stellen Sie bitte in einer Ihrer nächsten Sendungen lang und ausführlich klar, dass man den letzten Brief eines Menschen zensiert (die Bild-Zeitung sogar ausgeschmückt), den Menschen das Recht auf vollste Informationen genommen und den Einschalt- sowie Verkaufsquoten einen ordentlichen Schub versetzt hat. Erklären Sie den Menschen, wie man zukünftige dieser Taten wirklich verhindern kann, denn ein bloßes Verbot für Ego-Shooter tut dies mit Sicherheit nicht. Sagen Sie den Menschen, dass jeder ein Recht darauf hat in Würde und Ruhe zu leben und nicht von den Druckmitteln unserer Zeit zerdrückt zu werden.

Im Voraus besten Dank dafür.

Antwortschreiben des Focus:

Sehr geehrter Herr Pantheist (name ma wieder fürs forum geändert),

vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme zu unserem Beitrag. Eine kurze Anmerkung zu Ihren konkreten Kritikpunkten an dem Beitrag sei mir gestattet.
Zu dem fraglichen Video ist folgendes zu sagen: Wir haben nicht behauptet, das Video sei authentisch, wir wissen auch, dass mehrere Videos des Jungen existieren. Allerdings haben wir die Zweifelhaftigkeit des Videos im Text unseres Beitrags allem Anschein nach nicht zur Genüge betont. Übrigens haben wir im Beitrag auch kein Verbot der "Killerspiele" gefordert. Es ging uns im Beitrag nur darum, die mögliche verstärkende Wirkung von solchen "Killerspielen" (dass wir diesen Begriff benutzen, liegt darin begründet, dass er sich nun einmal im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt hat - natürlich durch die Medien, zu denen wir auch gehören, insofern natürlich auch nicht völlig ethisch korrekt, das ist Sprache allerdings selten) auf schon psychisch labile Jugendliche zu erörtern.
Sie haben natürlich recht, dass eine solche Berichterstattung, wie wir sie geleistet haben, nicht die eigentliche Motivation von Sebastian Bosse rekonstruiert, auch nicht rekonstruieren kann. Das war auch nicht Ziel und Zweck unserer Berichterstattung, das kann nicht Ziel und Zweck sein, weil es nicht innerhalb von 15 Minuten geleistet werden kann. Wir können nur einen kleinen Ausschnitt der Gemengelage um diesen Amoklauf herum aufgreifen, unsere Wahl fiel auf die Computerspiele, die Sebastian Bosse auch spielte, wie gesagt nicht um diese als Ursache des Amoklaufs darzustellen, sondern nur um der Frage nachzugehen, ob solche Spiele verstärkend wirken können.


Mit freundlichen Grüßen

Joachim Endmann
Zuschauerredaktion
Focus TV

2. Schreiben von P., in dem er auf die Focus-Antwort eingeht:

Sehr geehrter Herr Endmann,

vielen Dank für Ihre schnelle Antwort. Dieser kann ich entnehmen, dass Sie durchaus einräumen, das die Betonung Ihrer Aussage nicht ausreichend war. Jetzt frage ich mich warum dies so ist? War es gewollt oder unbeabsichtigt? Aber viel wichtiger als den zugegeben kleinen Teil dieser Sendung, ist mir die Berichterstattung ansich. Sie meinten, dass Sie mit dieser Sendung kein Verbot für Ego-Shooter fordern, sondern diese evtl. ein Grund sein kann. Gut, aber warum dann nur diese einseitige Berichterstattung. Dort brachten Sie das Argument, dass die Sendezeit mit 15 Minuten knapp bemessen sei. Auch in diesem Punkt gebe ich Ihnen durchaus Recht, nur frage ich mich dann, warum man für ein solch umfangreiches Thema nicht mehr Zeit einplanen konnte bzw. eine Sondersendung? Aber anstatt 15 Minuten auf ein und demselben Feindbild herumzuhacken, hätte man noch mehr Aspekte anschneiden können, die auch und durchaus wahrscheinlicher als Ursprungspunkt der Tat in Frage kommen. Meine Kritik richtet sich ja nicht nur auf Ihre Sendung, Sie hatten nur das "Glück", dass ich bei Ihrer endgültig die Nase von Halbwahrheiten in den Medien voll hatte. Egal in welche Sendung man geschaut hat, überall hieß es nur "Blutbad" und als Hintergrund "Killerspiele". Diese Wortwahl begründen Sie damit, dass Sie sich nun einmal im Sprachgebrauch durchgesetzt hab, aber warum müssen Sie den Massen folgen? Denn immer wenn irgendjemand ohne zu überlegen jemandem folgt, wurde und wird es gefährlich. Auch ist mir völlig Gleichgültig ob gewisse Bezeichnungen "ethisch" korrekt sind. Es geht hier nicht um richtig oder falsch, es geht darum, dass den Menschen die von solchen Spielen noch nie etwas gehört haben, einfach eine heiden Angst eingejagt wird. Es hätte mir in den Nachrichtensendungen dieses Landes aber deutlich besser gefallen, wenn man die wirklichen Hintergründe einer solchen Tat gebracht hätte. Aber wahrscheinlich hätten Sie dadurch keine Einschaltquoten erhalten, da es sich um Gesellschaftskritik handeln würde, die ja nunmal keiner hören will und sei sie noch so wahr. Auch räumen Sie in Ihrem Antwortschreiben ein, dass Ihre Berichterstattung nicht die Motivation von Sebatian Bosse darstellt. Dann frage ich Sie, warum denn nicht? Die Leute brauchen keine Spukgeschichten sondern die wirklichen Fakten. Diese hätte man schon gezeigt, indem man den kompletten und nicht zensierten Abschiedsbrief ausstrahlt. Allerdings wäre dieser ohne Zensur schlichtweg eine Kritik an unserer Gesellschaft und Kritik vertragen nunmal die Wenigsten wie mir scheint.

Mit freundlichen Grüßen
 
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AW: Wie die Medien auf den Emsdetten-Vorfall reagierten

Zitat von Angela Merkel, Bundestagsdebatte vom 3. Juli 2002:
Wir müssen nicht verstehen und nachvollziehen, warum ein 19-Jähriger 16 Menschen und anschließend sich selbst erschossen hat. Aber wir müssen Konsequenzen ziehen, um ein weiteres Erfurt wenn nicht unmöglich, so doch weniger wahrscheinlich zu machen.

Und noch etwas Amüsantes:
Ja, ja die Bildzeitung mal wieder. Auf www.bildblog.de findet man viele weitere Beispiele für die Unfähigkeit dieser Zeitung. Nur mal so als Beispiel: In einem Artikel wird gegen das Videospiel Counter Strike gehetzt und es werden Bilder aus einem ganz anderen Videospiel gezeigt. Bestellen kann man das Spiel übrigens im Bild-Shop im Internet.
 
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