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Weltseele

Niki94

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23. September 2017
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Hallo.

Kann mir jemand bitte den Sinn von Platons Theorie der Weltseele erklären? Ich hänge da nämlich leider und wäre für ein wenig Hilfe dankbar!

LG
Niki
 
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Platons Seelenlehre
von Hans G. Müsse



Zentrale Bereiche der Philosophie Platons wie die Ideenlehre, die Zweiweltenlehre und die Kosmologie stehen in engem Zusammenhang mit der Seelenlehre (Michael Erler: Platon, 2007, S. 378). Nicht nur Menschen haben eine Seele, sondern auch die Welt, die Götter, die Gestirne, die Dämonen, die Erde, die Tiere und die Pflanzen. Die Seele steht zwischen den Bereichen des Geistigen und des Sinnlichen, indem sie an beiden teilhat und zwischen diesen vermittelt. Sie ist ein dynamisches Bindeglied zwischen Sein und Werden (Jörn Müller: Psychologie, in: C. Horn u.a. (Hrsg.), Platon-Handbuch, 2009, S. 150). Nach Platon ist die Seele das Prinzip des Lebens. Die Seele ist die Bewegung, die sich selbst bewegen kann (Platon, Nomoi 895e-896a). Damit ist sie zugleich unsterblich, unvergänglich und unzerstörbar, denn das sich selbst Bewegende kann weder untergehen noch entstehen. Die Gegenwart der Seele ist das, was einem Körper das Leben einhaucht. Der Tod ist die Trennung der Seele vom Körper.

Diejenigen, welche die Psyche, Seele, so benannten, haben sich dieses dabei gedacht, daß sie, wenn sie sich bei, oder wie man sonst sagte, selb dem Leibe hält, die Ursache ist, daß er lebt, weil sie ihm das Vermögen des Atmens mitteilt, und ihn dadurch als ein Selbst hält und erfrischt, anapsychon, sobald aber dieses selbige fehlt, kommt der Leib um und stirbt, deshalb, glaube ich, haben sie sie Seele genannt (Platon, Kratylos 399e)

Die essentielle Aufgabe der Seele ist somit das Leben (Platon, Politeia 353d). Dabei unterscheidet Platon zwischen der Weltseele und der Einzelseele. Der Sache nach geht er dabei von einer Analogie zwischen Mensch und Kosmos aus: Der Körper des Menschen wird durch die Seele belebt, die Materie des Kosmos wird durch die Weltseele belebt. Zwischen der Weltseele und der Seele des Menschen besteht eine Wesensgleichheit (Platon, Timaios 41d - 42d; Michael Bordt: Art. Weltseele, in: Christian Schäfer (Hrsg.), Platon-Lexikon, 2007, S. 320).



Weltseele

Der Kosmos besteht aus Materie und wird von der Weltseele umgeben und durchdrungen (vgl. zur Herstellung der Weltseele Platon, Timaios 34a ff.). Als Bindeglied von immer Seiendem (Intelligiblem, nus) und Werdendem/Vergehendem hat die Weltseele an beidem Anteil. Beides ist vermittels der Seele zu der intelligiblen Ordnung des wahrnehmbaren Kosmos gestaltet (Platon, Timaios 30ac, 69aff.; Nomoi 899b), der als ein Lebewesen (zöon) alles Lebendige wie ein Ganzes seine Teile in sich umfasst und in unaufhörlicher Rotation begriffen ist (Wolfram Brinker: Art. Seele (psyche), in: Christian Schäfer (Hrsg.), Platon-Lexikon, 2007, S. 253). Die Vernunft des Kosmos hat ihren Sitz in der Weltseele. Die Weltseele ist von dem Demiurgen durch Mischung aus der unteilbaren, sich selbst gleichbleibenden Seiendheit der Ideenwelt und aus dem teilbaren, veränderlichen Sein der körperhaften Welt gebildet und in die Welt gepflanzt, um die Vernunft in das Weltganze zu bringen und es dadurch vollkommener zu machen. Sie ist die Kraft, die sich selbst und alles andere bewegt, ist durch das Weltganze verbreitet und wirkt in der Sphäre der Fixsterne und in der Sphäre der Planeten. Die kreisförmigen Gestirnbewegungen bilden das Vorbild für die innere Harmonie und Ordnung der menschlichen Seele (Jörn Müller, a.a.O., S. 145).



Menschliche Seele

Die Seele ist das, was das Selbst eines jeden von uns ausmacht. Das Wesen des Menschen verlegt Platon in die Seele. Sie ist wie die Weltseele unsterblich. Die Seele des Menschen ist einfach, geistig und göttlich. Die Einzelseele ist das belebende Prinzip des Körpers. Sie leitet sich von der Weltseele ab und ist wesensverwandt mit den Ideen des Wahren, Guten und Schönen. Das Wissen von diesen Ideen hat sie aus ihrem Vorleben, bevor sie in den konkreten Leib eingegangen ist (Anamnese). Die Seele ist das, was erkennt (Platon, Sophistes 248c-d). Sie ist das, wodurch der Mensch zu Wissen gelangt (Platon, Euthydemos 295e). Da die Seele mit den Ideen verwandt ist, werden diese erkannt, wenn der Mensch sich vom Sinnlichen abwendet und sie nur mit dem Denken selbst erfasst. „Dieser epistemische Modus bedingt eine Sammlung der Seele in sich selbst unter Verzicht auf den Gebrauch der Sinnesorgane, die [...] als eine epistemische Stör- und Fehlerquelle erscheinen. [...] Damit ist aber nicht gesagt, dass die Seele zu den Objekten der sinnlich wahrnehmbaren Welt in kein aktives kognitives Verhältnis treten kann. [...] Sinneswahrnehmung (aisthesis) ist eine genuin seelische Aktivität, die sich mittels der Werkzeuge der körperlichen Sinnesorgane vollzieht; die Seele ist auch der Ort, wo die Sinneseindrücke zusammenlaufen, die ansonsten bloß unvermittelt nebeneinander lägen (Tht. 184c-d). [...] Das Wesen der Lustempfindung ist die Wiederherstellung einer gestörten Harmonie bzw. die Beseitigung eines Mangels (Phlb. 31b-32a). Gemeinsam ist den über den Körper vermittelten Sinneswahrnehmungen und den sinnlichen Empfindungen von Lust und Unlust ihre Tendenz, die Seele ‚gewaltsam‘ mit Eindrücken der Außenwelt zu affizieren und in Unordnung zu bringen, indem sie von der (perfekten) kreisförmigen Bewegung abgebracht und zu (unvollkommenen) linearen Bewegungen veranlasst wird (Tim. 42a-43b) - sie wird unverständig (anous, 44b)“ (Jörn Müller, a.a.O., S. 143). Für die Seele besteht die Gefahr, dass sie befleckt und unrein wird, wenn sie sich zu sehr dem Körperlichen hingibt, indem sie den Leib pflegt, liebt und von ihm bezaubert ist. Die Seele hat etwas, was sie schlecht macht, nämlich Ungerechtigkeit, Unmäßigkeit, Feigheit und Unwissenheit. Sie sind die konträren Gegensätze der Kardinaltugenden. Die Seele soll sich nicht von Lüsten und Begierden leiten lassen. Sonst glaubt sie womöglich noch, nur das Körperliche sei wahr. Eine solche Seele wird sich nach dem Tod nicht rein für sich absondern können. Sie ist von dem Körperlichen durchzogen und mit dem Leib gleichsam zusammengewachsen. Sie ist unbeholfen, schwerfällig, irdisch und sichtbar.

Die Seele, die [das Körperliche] an sich hat, ist schwerfällig und wird wieder zurückgezogen in die sichtbare Gegend aus Furcht vor dem Unsichtbaren und der Geisterwelt, wie man sagt, an den Denkmälern und Gräbern umherschleichend, an denen daher auch allerlei dunkle Erscheinungen von Seelen gesehen worden sind, wie denn solche Seelen wohl Schattenbilder von denen darstellen müssen, welche nicht rein abgelöst sind, sondern noch teil haben an dem Sichtbaren, weshalb sie denn auch gesehen werden. [...] Und freilich leuchtet auch ein, daß dies nicht die Seelen der Guten sind, sondern die der Schlechten, welche um dergleichen gezwungen sind herumzuirren, Strafe leidend für ihre frühere Lebensweise, welche schlecht war. Und so lange irren sie, bis sie durch die Begierde des sie noch begleitenden Körperlichen wieder gebunden werden in einen Leib. Und natürlich werden sie in einen von solchen Sitten gebunden, deren sie sich befleißigt hatten im Leben. [...] Die sich ohne alle Scheu der Völlerei und des Übermuts und Trunkes befleißigten, solche begeben sich wohl natürlich in Esel und ähnliche Arten von Tieren. (Platon, Phaidon 81d-e)



Die drei Seelenteile

Platon schreibt der Seele drei Teile zu: das Begehrende, das Mutartige/Tatkräftige und das vernünftig Lenkende. Dementsprechend unterscheidet er in Politeia IX 580d-581e drei Arten von Menschen: Regiert das vernünftige Denken, ist der Mensch weisheitsliebend (philosophos), im Fall des Mutartigen/Tatkräftigen ist er siegliebend (philonikos, ehrgeizig, streitsüchtig), und wenn das Begehrende herrscht, ist er gewinnliebend (philokerdes, eigennützig, profitsüchtig). Das Begehrende (to epithymêtikon, Begierde) hat seinen Sitz im Unterleib. Es entspringt der Wahrnehmung und strebt nach der sinnlichen Lust. Es ist die Basis der elementaren Lebensvorgänge Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. Aufgrund seiner potentiellen Unersättlichkeit muss es zur Besonnenheit gezähmt werden wie ein wildes Tier (Platon, Politeia 589a-b; Timaios 70d-71a). Das Mutartige/Tatkräftige (to thymoeides, Agressionstrieb, das Sich-Empörende, das Sich-Ereifernde) hat seinen Sitz in der Brust und speist sich aus dem Vielerlei der Meinungen. Es strebt danach, dass der einzelne Mensch in der Gemeinschaft sich angemessen zu verwirklichen vermag, und ist auf den Erhalt einer gerechten Ordnung bedacht. Zugleich ist es die Basis des Machtstrebens. Der Hauptaffekt dieses ehrliebenden Seelenteils ist der Zorn. Thymoeides kann in Konflikt mit dem Begehrenden geraten, zum Beispiel wenn Begierden den eigenen vernünftigen Teil überwunden haben und man dann mit sich selbst schimpft und voller Zorn auf dieses Zwingende in sich ist. Das Mutartige wird dann zu einem Verbündeten der Vernunft (Platon, Politeia 440a-b).

Thymetisches Streben ist im Erkenntnisvermögen der Meinung verwurzelt. Das Erkenntnisvermögen der Meinung bezieht sich nach Platon auf etwas, das zwar Anteil an etwas mit sich Identischem hat, aber dieses nicht nur und allein ist, sondern ein Vieles. Platon grenzt daher das meinende Erkennen als Vermögen vom Erkennen des Logistikon ab, weil jenes im Unterschied zu diesem das Identische vom Verschiedenen nicht zu unterscheiden weiß. Das Meinen ist der Erkenntnisbezirk der Hör- und Schaulustigen, Techniker oder Praktiker, die Einzelnes, d.h. Instanzen des Guten oder Schönen, und nicht, wie die Philosophen, das Gute und Schöne selbst erkennen (Resp 475b ff.). Das Thymoeides interessiert also eine Mannigfaltigkeit von Einzeldingen (etwa technische, praktische), an denen es seine Lust gewinnt, wobei es diese nach ihrem Ergon (Leistung), ihrer Tugend beurteilt. Es ist zudem, im Unterschied zum Epithymetikon, ein Seelenteil, durch den der Mensch auch auf sich selbst Bezug nehmend ein wertendes Urteil über das fällt, was er selbst im Vergleich zu anderen ist oder was ihm und anderen zusteht oder nicht zusteht, so dass er danach strebt, jenes herzustellen und aufrechtzuerhalten, dieses aber zu beseitigen (Resp 429c). Aufgrund des Thymoeides ist der Mensch daher tapfer und muthaft (thymoeides), entwickelt aber auch eine Lust an Überlegenheit, Ehre und Ansehen, weswegen dieser Seelenteil öfters das Siegliebende (philonikon) oder Ehrliebende (philotimon) heißt (Resp 581a-d). Weil sein Begriff vom Guten zwar weiter als der des Epithymetikon, aber enger als der des Logistikon ist, muss auch das Thymoeides dem Logistikon untergeordnet, d.h. zu einer richtigen Meinung über das Gute oder Schöne, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Bereich der zahllosen Einzeldinge, zu besonnenem Eifer und Mut (andreia) erzogen werden, damit seine negativen Qualitäten im Charakter eines Menschen, wie falscher Eifer, Argwohn, Verleumdungssucht, Kleinsinnigkeit, Selbstüberschätzung, Schamlosigkeit, Feigheit, ungerechte Empörung, Neid, Schadenfreude, Misanthropie, Misologie usw. nicht gegenüber den positiven, wie gerechtem Zorn, gerechter Sanftmut und Milde, Respekt und Achtung vor Göttern und Menschen, vor dem von Göttern und Menschen Geschaffenen oder der Natur, richtiger Selbsteinschätzung, Philanthropie usw. (Resp 376c-412b ff.; Phd 89d ff.) zur Entfaltung kommen können. (Wolfram Brinker, a.a.O., S. 256-257).

Das Denkende bzw. Lenkende (to logistikon, Vernunft) hat seinen Sitz im Kopf und orientiert sich an dem Guten und Schönen. Das Logistikon erkennt das, was für die Seele zuträglich ist. Es zielt auf den Erwerb von Wissen und Wahrheit und moderiert die beiden anderen Seelenteile, indem es vorausschauend überlegt und abwägt. Den drei Seelenteilen entsprechen die drei Erkenntnisweisen Sinneswahrnehmung (aisthesis), Meinung (doxa) und Wissen (noesis). Bei jedem der drei Seelenteile handelt es sich um eine Art eigenständiges Modul. Diese drei einzelnen Module können sich bei einem inneren Streit der Seele gegeneinander wenden oder miteinander verbünden (Platon, Politeia 440e). Die drei Seelenteile befinden sich nur dann in einer angemessenen Ordnung, wenn das Begehrende (Bedürfnis, Begierde) und das Mutartige (Agressionstrieb) durch die Vernunft gelenkt werden und jeder das Seinige tut, was ihm angemessen ist. Dabei geht es nicht um die Ausschaltung eines Seelenteils, sondern um die Integration in ein harmonisches Ganzes. Den drei Seelenteilen werden drei Tugenden zugeordnet: die Besonnenheit (sophrosyne) dem Epithymetikon, die Tapferkeit (andreia) dem Thymoeides und die Weisheit (sophia) dem Logistikon. Gerechtigkeit (dikaiosyne) herrscht dort, wo jeder Seelenteil die ihm spezifische Tugend ausübt, so dass ein harmonisches, einheitliches Verhältnis entsteht. Sie ist also primär nicht ein Verhältnis zu anderen, sondern zu sich selbst. Die auf der Einheit beruhende harmonische Gefügestruktur zwischen den einzelnen Teilen begründet die Nützlichkeit des einen Teils für die anderen Teile. Gerechtigkeit wird damit zur geordneten „Einheit“ in der „Vielheit“ der drei Seelenteile. „Die Tauglichkeit eines Seienden zu seinem Wesensakt [...] liegt in seiner Einigkeit und Übereinstimmung mit sich selbst; denn was in sich selbst uneins ist, das ist zu seiner eigentümlichen Leistung nicht imstande“ (Jens Halfwassen: Der Aufstieg zum Einen, 2006, S. 237). Die Auflösung der harmonischen Ordnung der drei Seelenteile führt zu Ungerechtigkeit und Selbstzerstörung.

In Wahrheit aber war die Gerechtigkeit zwar, wie es scheint, etwas von der Art, jedoch nicht in bezug auf das äußere Tun seiner Bestandteile, sondern in bezug auf das wahrhaft innerliche, an sich selbst und dem Seinigen, indem einer keinem Teile seines Inneren gestattet, das Fremde zu tun, noch den Seelenteilen erlaubt, unter einander zwecklose Geschäftigkeit zu treiben, vielmehr in der Tat sein Haus wohl bestellt und die Herrschaft über sich selbst gewonnen und sich in Ordnung gebracht hat und sein eigener Freund geworden ist und jene drei in vollständigen Einklang gebracht hat, gleichsam die drei Hauptsaiten eines Instrumentes, den Grundton, die Terz und die Quinte, und die andern, die etwa noch dazwischen liegen, diese alle unter einander verknüpft hat und vollständig Einer geworden ist aus Vielen, besonnen und rein gestimmt, und alsdann nunmehr in solcher Weise handelt, falls er handelt entweder in bezug auf Erwerb von Besitztümern oder die Pflege des Leibes oder auch in einer Angelegenheit des Staates oder des persönlichen Verkehrs, indem er in allen diesen Verhältnissen als gerechte und schöne Handlung diejenige betrachtet und bezeichnet, welche diesen Zustand bewahrt und mitbewirkt, und als Weisheit die Wissenschaft, die dieses Handeln leitet, und als ungerecht ein Handeln, das im einzelnen Falle jenen stört, und als Torheit die Meinung, die ihrerseits dieses Handeln leitet. (Platon, Politeia 443c - 444a)




Der Mythos vom Seelenwagen

Dass die lenkende Tätigkeit des Logistikon gar nicht so einfach ist, zeigt Platon im Bild des Wagenlenkers und seiner beiden Rosse, das er im Dialog Phaidros zeichnet. Das Gespann ist ein Gleichnis für die Seele. Der Wagenlenker und die beiden ungleichen Rosse veranschaulichen die drei Seelenteile und ihr Verhältnis zueinander. Es geht in erster Linie darum, das ungestüme Ross zu bändigen. Der Wagenlenker stellt das Logistikon dar, das edle Ross das Thymoeides und das ungestüme Ross das Epithymetikon:

Wie ich im Anfang dieses Mythos jede Seele dreifach geteilt habe, nämlich in zwei rosseähnliche Gestalten und eine dritte, den Wagenlenker darstellende, so soll es uns auch jetzt noch dabei bleiben. Von den Rossen aber ist ja, sagen wir, das eine gut, das andere nicht, worin aber die Tugend des guten und die Schlechtigkeit des schlechten bestehe, das haben wir nicht erörtert, ist aber nun zu besprechen. Das nun von den beiden, welches von schönerer Beschaffenheit ist, ist seiner Gestalt nach aufrecht gebaut und gut gegliedert, hat hohen Nacken, gebogene Nase, weiße Farbe, schwarze Augen, vereinigt Ehrliebe mit Besonnenheit und Schamhaftigkeit, und als ein Freund wahrer Denkweise wird es ohne Schläge nur durch Aufmunterung und Worte gelenkt. Das andere dagegen ist gebeugt, plump und schlecht gebaut, von dickem Nacken, kurzem Hals, stumpfer Nase, schwarzer Farbe, mit Blut unterlaufenen glasigen Augen, ein Freund von Trotz und Anmaßung, um die Ohren zottig, taub, kaum der Peitsche und dem Stachel gehorsam. Wenn nun der Wagenlenker, indem er das geliebte Antlitz sieht, durch die ganze Seele bei der Wahrnehmung erglühend, von Kitzel und Sehnsucht gestachelt wird, so hält das dem Wagenlenker gern folgende Roß, wie immer so auch jetzt, von Scham bewältigt, selbst an sich, nicht auf den Geliebten loszuspringen, das andere aber kehrt sich nicht weder an Stachel noch Peitsche des Wagenlenkers, sondern springend treibt es mit Gewalt fort, und dem Mitgespann und dem Wagenlenker alle mögliche Not bereitend, zwingt es sie, zu dem Liebling zu gehen und gegen ihn der Vergünstigung aphrodisischer Gefälligkeit Erwähnung zu tun. Anfangs indessen leisten beide voll Unwillen Widerstand, als sollten sie zu etwas Argem und Gesetzwidrigem genötigt werden, endlich aber, wenn des Übels kein Ende ist, gehen sie fortgezogen hin, nachgebend und versprechend, sie wollten das Verlangte tun. Nun sind sie bei ihm, nun sehen sie das strahlende Angesicht des Lieblings. Indem es aber der Wagenlenker sieht, wird seine Erinnerung zu dem Wesen der Schönheit fortgeführt, und wieder sieht er sie mit der Besonnenheit vereint auf unentweihtem Grunde stehen. Bei diesem Anblick aber erbebt er und beugt sich zurück, von Verehrung erfüllt, und zugleich wird er genötigt, die Zügel so stark nach hinten anzuziehen, daß er beide Rosse auf die Hüften setzt, das eine gutwillig, weil es nicht Widerstand leistet, das trotzige aber höchst widerwillig. Indem sie nun beide weiter zurückgehen, gerät das eine so sehr in Beschämung und Entsetzen, daß es die ganze Seele mit Schweiß benetzt, das andere aber, sobald es den Schmerz los ist, den es von dem Zaum und dem Sturz bekommen, hat kaum wieder Atem geschöpft, so beginnt es voll Zorn zu schmähen und den Wagenlenker und seinen Mitgespann auf alle Weise schlecht zu machen, als wären sie aus Feigheit von ihrer Stellung und ihrem Versprechen gewichen. Und wiederum sie drängend, gegen ihren Willen hinzugehen, gibt es ihnen kaum nach, wenn sie bitten, es auf ein anderes Mal zu verschieben. Ist aber die verabredete Zeit gekommen, so mahnt es die beiden, die sich stellen, als dächten sie nicht mehr daran, wendet alle Gewalt an, wiehert, zieht sie fort und nötigt sie, mit der nämlichen Absicht zu dem Liebling zu kommen, und wenn sie ihm nahe sind, so zieht es, sich vorwärts beugend, den Schweif emporstreckend und in den Zaum beißend, schamlos weiter. Der Wagenlenker aber, in noch stärkerem Grade von dem vorigen Gemütszustand ergriffen, wie einer, der von den Schranken auslaufend sich rückwärts beugt, zerrt den Zaum des trotzigen Rosses mit noch stärkerer Gewalt aus dem Gebiß nach hinten, strengt ihm die schmähsüchtige Zunge und die Backen an bis aufs Blut und bereitet ihm arge Schmerzen, indem er ihm Schenkel und Hüften zur Erde niederzwingt. Wenn aber das schlimme Roß dieselbe Behandlung öfters erfährt und von seiner trotzigen Wildheit läßt, so folgt es gedemütigt schon der vernünftigen Leitung des Wagenlenkers, und wenn es den Schönen sieht, vergeht es vor Furcht. Und so kommt es, daß die Seele des Liebhabers nun dem Liebling verschämt und verschüchtert folgt. (Platon, Phaidros 253c ff.)



Wiedergeburt

Platon vertritt die Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, indem er für sie sowohl eine Präexistenz, aus der gefolgert wird, dass das Wissen Erinnerung (anamnêsis) ist, als auch eine Postexistenz mit Wanderung durch verschiedene Leiber und Versetzung in den Fixsternhimmel annimmt. Der Leib ist das Gefängnis und das Grab der Seele. Die Bindung der Seele an den Körper erklärt sich daraus, dass die niederen Seelenteile die höheren überwiegen. Durch Wiedergeburten wird sie geläutert und kann sich schließlich mit dem Göttlichen vereinigen. Im Phaidros schildert Platon den „Mythos vom Überhimmlischen“, um die Ideen als Gehalte des apriorischen Denkens in der Seele zu verdeutlichen. Vor der Geburt des Menschen und damit vor dem Absinken in den Bereich des Körperlichen existiert die Seele an einem überhimmlischen Ort, der den Bereich des sinnlich wahrnehmbaren Physischen transzendiert. Wie es der Seele nach dem Tod ergeht, richtet sich nach dem Verhalten des Menschen. Die Einzelseele existiert nach dem Tod getrennt von einem bestimmten Körper weiter. Nach einem Mythos des platonischen Sokrates erwartet die Seelen in der Unterwelt ein Gericht. Die Einzelseelen, die sich am Materiellen orientiert hatten, werden in dem Körper eines solchen Wesens wiedergeboren, das Abbild ihres Lasters ist. Dagegen streben die Seelen, die sich am Ideellen orientiert hatten, zu einer Vereinigung mit dem Göttlichen. Die These von der Unsterblichkeit ist nach dem platonischen Sokrates nötig, um die Menschen zu Vernunft und Sitttlichkeit anzuhalten.

Jede Seele ist unsterblich, denn das stets Bewegte ist unsterblich. Was aber ein anderes bewegt und von einem anderen bewegt wird, das hat, sofern es ein Aufhören der Bewegung hat, auch ein Aufhören des Lebens. Das sich selbst Bewegende allein also, sofern es nie sich selbst verlässt, hört nie auf, bewegt zu sein, aber auch für das andere, was bewegt wird, ist dieses Quelle und Anfang der Bewegung. Der Anfang aber ist nicht geworden. Denn alles Werdende wird notwendig aus dem Anfang, er selbst aber schlechthin nicht aus einem Etwas, denn wenn der Anfang aus einem Etwas würde, so würde er ja nicht zum Anfang werden. Da er aber nicht geworden ist, ist er auch notwendig nicht vergänglich. Denn wenn der Anfang untergegangen wäre, so könnte ja weder er selbst jemals aus Etwas, noch anderes aus ihm werden, da ja alles aus dem Anfang werden muss. So ist also der Bewegung Anfang das sich selbst Bewegende. Dieses aber kann weder untergehen noch erst werden, sonst würde der ganze Himmel und alles Werden zusammenfallen und stille stehen und nichts mehr vorhanden sein, woraus Bewegtes werden könnte. Hat man aber gesagt, dass das von sich selbst Bewegte unsterblich sei, so darf sich einer auch nicht schämen, es auszusprechen, dass eben dieses das Wesen und die Natur der Seele sei. Denn jeder Körper, dem das Bewegtwerden von außen zuteil wird, ist unbeseelt, der aber, dem es von innen aus sich selbst zuteil wird, ist beseelt, wie denn dieses die Natur der Seele ist. (Platon, Phaidros 245c-e).


Arete als Bestform der Seele
Der Begriff Arete

Der Begriff Arete bezeichnete ursprünglich die Eigenschaft, wodurch eine Sache, ein Tier, ein Mensch oder ein Gott hervorragt. Die Bedeutung des Wortes bestimmt sich durch seine Funktion als abstraktes Nomen zum logisch attributiv verwandten agathos, was gut bedeutet (Peter Stemmer: Art. Tugend, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, 1998, S. 1532). Es handelt sich um die Tüchtigkeit und Tauglichkeit im Sinne eines Qualitätsmerkmals (Otto Friedrich Bollnow: Wesen und Wandel der Tugenden, 1975, S. 12). Im Gegensatz zum deutschen Begriff der Tugend können auch Dinge Arete haben. Beispiele für Arete sind demnach auch die Schnelligkeit eines Pferdes oder die Schärfe eines Messers. Die Arete eines jeden Dinges besteht in dem, wodurch es seine je eigene Aufgabe erfüllt. Das Wort meint damit zunächst jede Vortrefflichkeit. Auf den Menschen bezogen ist Arete die Vollendung seines wahren Wesens, die Vollkommenheit seines Körpers bei gleichzeitiger „Bestform“ seiner Seele.

Die Etymologie des Wortes Arete ist bislang ungeklärt (Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, 1960). Vermutlich ist Arete sprachlich entweder von areskein abgeleitet, was gefallen bedeutet (Werner Jaeger: Paideia, 1989, S. 26), oder aber es besteht eine Verbindung zu areíōn, dem Komparativ von agathós, d.h. gut (Eduard Schwyzer: Griechische Grammatik, Band 1, 5. Auflage, 1977, S. 501). Der Begriff umfasst das, was objektiv allgemeines Gefallen hervorruft (Karl Kerényi: Der Mythos der Arete, in: ders. Antike Religion, 1971, S. 244). Der Ursprung des Wortes Arete wurzelt in den Grundanschauungen des ritterlichen Adels im Athen der Antike, da die überragende Leistungsfähigkeit als notwendige Voraussetzung für die Ausübung von Herrschaft verstanden wurde (Werner Jaeger, a.a.O., S. 25 f.). Zur Arete eines Helden zählten beispielsweise praktische Klugheit, Stärke, Tapferkeit, Streben nach Ruhm und kriegerischer Erfolg, der letztlich auf dem unbedingten Willen beruhte, besser als die anderen sein zu wollen und Entbehrungen, Schmerzen und Strapazen auf sich zu nehmen. Bei Homer bezeichnet der Begriff auch die Vorzüglichkeit nichtmenschlicher Wesen wie die Schnelligkeit der Pferde oder die Kraft der Götter. Die Sehkraft ist die Arete des Auges. Auffassungsgabe und Klugheit sind Arete des Geistes, Schönheit, Gesundheit und Stärke sind Arete des Körpers. Arete ist demnach ein dem Träger innewohnendes Vermögen, das seine Vollkommenheit ausmacht (Werner Jaeger, a.a.O., S. 27). Arete zu haben galt als ein Mittel zum Glück, als eine Bedingung des Glücks oder gar als das Ganze des Glücks (Peter Stemmer, a.a.O., S. 1533).



Sittliche Arete bei Sokrates

Sittliche Arete ist die Vollendung dessen, was der Mensch nach seinem wahren Wesen wirklich ist. Die Vollkommenheit des Menschen liegt vor allem in der Schönheit seiner Seele (kalokagathia als Einheit von Schönem, Gutem und Wahrem). Es geht darum, das Schöne sich selbst zu eigen zu machen. In der Ethik bezeichnet Arete deshalb das sittlich Werthafte. Zur sittlichen Arete gehören die besonderen Eigenschaften der Gerechtigkeit, Tapferkeit, Weisheit und Besonnenheit. Sokrates hat den Begriff in der philosophischen Ethik in einer ähnlichen Bedeutung wie Tugend verwendet. Nach Sokrates liegt die Arete in der guten Verfassung der Seele, nicht in der des Körpers. Er vertraute insoweit auf das Wissen: Die sittliche Arete ist lehrbar. Wer das Gute wahrhaft erkannt hat, der handelt auch danach. Niemand verhält sich wissentlich schlecht, da es gegen seine Glückseligkeit wäre. Arete macht glücklich. Die Untersuchungen des Sokrates kreisten deshalb meist um Fragen der Ethik: Was ist Frömmigkeit? Was ist Selbstbeherrschung? Was ist Besonnenheit? Was ist Tapferkeit? Was ist Gerechtigkeit? Diese Aretai verstand Sokrates als Vortrefflichkeiten der Seele, so wie Kraft, Gesundheit und Schönheit Tugenden des Körpers sind. Im Guten erkannte Sokrates das wahrhaft Nützliche, Heilsame und Glückbringende, weil es die Natur des Menschen zur Erfüllung seines Wesens führt. Das Ethische ist der Ausdruck der richtig verstandenen menschlichen Natur. Frei ist der Mensch nur, wenn er nicht der Sklave seiner Begierden ist (Xenophon, Memorabilien I 5, 5-6; IV 5, 2-5)

Und ich für meinen Teil glaube, dass noch nie dem Staat etwas Besseres widerfahren ist als dieser Dienst, den ich dem Gott leiste. Denn nichts anders tue ich, als dass ich umhergehe, um Jung und Alt unter euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen mehr zu sorgen als für die Seele, damit diese aufs Beste gedeihe. Und ich sage euch, dass nicht aus dem Reichtum die Arete entsteht, sondern aus der Arete der Reichtum und alle anderen guten Dinge für den Menschen insgesamt, individuelle und gemeinschaftliche. (Platon, Apologie des Sokrates, 30a-b)



Die Umformung der Seele bei Platon

Für Platon ist Arete die Realisation des Wesens einer Sache und Zustand ihres eigentümlichen, bestimmten Selbstseins, in dem sie zu einer spezifischen Aufgabe, Leistung und einem Werk tauglich ist (Dirk Cürsgen: Art. Tugend, in: Christian Schäfer (Hrsg.), Platon-Lexikon, 2007, S. 286). Im Zustand der Arete ist ein Seiendes am meisten mit sich selbst identisch. Es ist ganz und gar das, was es ist. Es bedarf keines anderen mehr, um zu sein, was es ist (Platon, Philebos 20d f.; a.a.O. 67a). Es ist ein vollendetes Ganzes und Eines, das seine höchste Seinsmöglichkeit erfüllt. Gutheit bedeutet für Platon die Einheit, die ein Seiendes aus der Zerstreuung in das grenzenlos Viele zu sich selbst bringt. In dieser Einheit erfüllt sich der Seinssinn eines Seienden (Jens Halfwassen: Der Aufstieg zum Einen, 2006, S. 242 f.). Dies gilt zunächst für alle Gegenstände und Lebewesen. Für den Menschen ist Arete die aktive Nachahmung Gottes, die durch Vernunftanstrengung vollzogen werden kann (Platon, Theaitetos 176b-c). Arete ist sittlich die Tüchtigkeit der Seele zu der ihr eigenen Bestimmung. Sie gliedert sich, je nach den drei Seelenteilen „logisitikon“ (Vernunft), „thymoeides“ (das Mutartige, Aggressionstrieb) und „epithymêtikon“ (das Begehrende, Bedürfnis, Begierde), in die vier Kardinaltugenden Weisheit (sophia), Tapferkeit (andreia), Maßhalten bzw. Besonnenheit, Selbstbeherrschung (sôphrosynê) und Gerechtigkeit (dikaiosynê). Dabei ist Gerechtigkeit die harmonische Ordnung der drei Seelenbereiche und die ausgewogene Realisierung von Weisheit, Tapferkeit und Besonnenheit. Auch die Frömmigkeit (hosiotês) wird von Platon zu den sittlichen Aretai gezählt. Jede Arete existiert selbst als Urbild („Idee“) und ist werthaft und wahrhaft seiend.

Um Gutes zu leisten muss die Seele nach Platon wie eine Lyra richtig gestimmt sein. Die drei Seelenbereiche „logisitikon“ (Vernunft), „thymoeides“ (das Mutartige, Aggressionstrieb) und „epithymêtikon“ (das Begehrende, Bedürfnis, Begierde) befinden sich dann in einer harmonischen Ordnung. In diesem Sinne ist Arete ein „maßbestimmtes Proportionsgefüge eines komplexen Ganzen, in dem sich die eine Tugend in vielen Gestalten zeigt“ (Dirk Cürsgen, a.a.O., S. 288). Die einzelnen Aretai sind Gebrauchs- und Verwirklichungsformen des Guten, erst durch die Idee des Guten erhalten sie ihren Nutzen. Das Gute als Relationsharmonie zwischen den seinszerstörenden, konträren Extremen ist in seiner Ordnung aber zugleich das Schöne: „Jetzt also entflieht uns wieder das Wesen des Guten in die Natur des Schönen. Denn Abgemessenheit und Verhältnismäßigkeit führt doch überall offenbar zu Schönheit und Tugend“ (Platon, Philebos 64e). Für das Hervorbringen der wahren Arete kommt der höchsten Erkenntnis eine besondere Bedeutung zu: der Erkenntnis des Schönen an sich als des Einen, dem alles übrige Schöne seine Schönheit verdankt. In der Wesensschau des Schönen wird dieses selbst als das Göttlich-Schöne (Platon, Symposion 211e) erkannt, womit sich der Aufstieg des Erkenntniswegs vollendet. Wer das Göttlich-Schöne schaut, der erzeugt wahre Arete. Die Schau des Göttlich-Schönen formt den Erkennenden also selbst um. Die Realisierung von Arete und damit die eigene ethische Vervollkommnung sind mit der höchsten Erkenntnis notwendig verbunden. Ziel ist es, die geistige Natur des Menschen zu realisieren und dem Göttlichen gleich zu werden (Platon, Theaitetos 176a f.). So erreicht der Mensch die Eudaimonie, einen Gesamtzustand des guten, glücklichen und gelingenden Lebens, mit dem innere Harmonie und Ordnung, geistige Ruhe und Klarheit verbunden sind.

Denn dies ist die rechte Art, sich auf die Liebe zu legen oder von einem andern dazu angeführt zu werden, daß man von diesem einzelnen Schönen beginnend jenes einen Schönen wegen immer höher hinaufsteige, gleichsam stufenweise von einem zu zweien, und von zweien zu allen schönen Gestalten, und von den schönen Gestalten zu den schönen Sitten und Handlungsweisen, und von den schönen Sitten zu den schönen Kenntnissen, bis man von den Kenntnissen endlich zu jener Kenntnis gelangt, welche von nichts anderem als eben von jenem Schönen selbst die Kenntnis ist und man also zuletzt jenes selbst, was schön ist, erkenne... Was also ... sollen wir erst glauben, wenn einer dazu gelangte, jenes Schöne selbst rein, lauter und unvermischt zu sehn, das nicht erst voll menschlichen Fleisches ist und Farben und anderen sterblichen Flitterkrams, sondern das göttlich Schöne selbst in seiner Einartigkeit zu schauen? Meinst du wohl, daß das ein schlechtes Leben sei, wenn einer dorthin sieht und jenes erblickt und damit umgeht? Oder glaubst du nicht, daß dort allein ihm begegnen kann, indem er schaut, womit man das Schöne schauen muß; nicht Abbilder der Arete (Bestform) zu erzeugen, weil er nämlich auch nicht ein Abbild berührt, sondern Wahres, weil er das Wahre berührt? Wer aber wahre Arete erzeugt und aufzieht, dem gebührt, von den Göttern geliebt zu werden, und wenn irgend einem anderen Menschen, dann gewiß ihm auch, unsterblich zu sein. (Platon, Symposion 211a ff.)

Quelle : Platon heute
 
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Platons Seelenlehre
von Hans G. Müsse



Zentrale Bereiche der Philosophie Platons wie die Ideenlehre, die Zweiweltenlehre und die Kosmologie stehen in engem Zusammenhang mit der Seelenlehre (Michael Erler: Platon, 2007, S. 378). Nicht nur Menschen haben eine Seele, sondern auch die Welt, die Götter, die Gestirne, die Dämonen, die Erde, die Tiere und die Pflanzen. Die Seele steht zwischen den Bereichen des Geistigen und des Sinnlichen, indem sie an beiden teilhat und zwischen diesen vermittelt. Sie ist ein dynamisches Bindeglied zwischen Sein und Werden (Jörn Müller: Psychologie, in: C. Horn u.a. (Hrsg.), Platon-Handbuch, 2009, S. 150). Nach Platon ist die Seele das Prinzip des Lebens. Die Seele ist die Bewegung, die sich selbst bewegen kann (Platon, Nomoi 895e-896a). Damit ist sie zugleich unsterblich, unvergänglich und unzerstörbar, denn das sich selbst Bewegende kann weder untergehen noch entstehen. Die Gegenwart der Seele ist das, was einem Körper das Leben einhaucht. Der Tod ist die Trennung der Seele vom Körper.

Diejenigen, welche die Psyche, Seele, so benannten, haben sich dieses dabei gedacht, daß sie, wenn sie sich bei, oder wie man sonst sagte, selb dem Leibe hält, die Ursache ist, daß er lebt, weil sie ihm das Vermögen des Atmens mitteilt, und ihn dadurch als ein Selbst hält und erfrischt, anapsychon, sobald aber dieses selbige fehlt, kommt der Leib um und stirbt, deshalb, glaube ich, haben sie sie Seele genannt (Platon, Kratylos 399e)

Die essentielle Aufgabe der Seele ist somit das Leben (Platon, Politeia 353d). Dabei unterscheidet Platon zwischen der Weltseele und der Einzelseele. Der Sache nach geht er dabei von einer Analogie zwischen Mensch und Kosmos aus: Der Körper des Menschen wird durch die Seele belebt, die Materie des Kosmos wird durch die Weltseele belebt. Zwischen der Weltseele und der Seele des Menschen besteht eine Wesensgleichheit (Platon, Timaios 41d - 42d; Michael Bordt: Art. Weltseele, in: Christian Schäfer (Hrsg.), Platon-Lexikon, 2007, S. 320).



Weltseele

Der Kosmos besteht aus Materie und wird von der Weltseele umgeben und durchdrungen (vgl. zur Herstellung der Weltseele Platon, Timaios 34a ff.). Als Bindeglied von immer Seiendem (Intelligiblem, nus) und Werdendem/Vergehendem hat die Weltseele an beidem Anteil. Beides ist vermittels der Seele zu der intelligiblen Ordnung des wahrnehmbaren Kosmos gestaltet (Platon, Timaios 30ac, 69aff.; Nomoi 899b), der als ein Lebewesen (zöon) alles Lebendige wie ein Ganzes seine Teile in sich umfasst und in unaufhörlicher Rotation begriffen ist (Wolfram Brinker: Art. Seele (psyche), in: Christian Schäfer (Hrsg.), Platon-Lexikon, 2007, S. 253). Die Vernunft des Kosmos hat ihren Sitz in der Weltseele. Die Weltseele ist von dem Demiurgen durch Mischung aus der unteilbaren, sich selbst gleichbleibenden Seiendheit der Ideenwelt und aus dem teilbaren, veränderlichen Sein der körperhaften Welt gebildet und in die Welt gepflanzt, um die Vernunft in das Weltganze zu bringen und es dadurch vollkommener zu machen. Sie ist die Kraft, die sich selbst und alles andere bewegt, ist durch das Weltganze verbreitet und wirkt in der Sphäre der Fixsterne und in der Sphäre der Planeten. Die kreisförmigen Gestirnbewegungen bilden das Vorbild für die innere Harmonie und Ordnung der menschlichen Seele (Jörn Müller, a.a.O., S. 145).



Menschliche Seele

Die Seele ist das, was das Selbst eines jeden von uns ausmacht. Das Wesen des Menschen verlegt Platon in die Seele. Sie ist wie die Weltseele unsterblich. Die Seele des Menschen ist einfach, geistig und göttlich. Die Einzelseele ist das belebende Prinzip des Körpers. Sie leitet sich von der Weltseele ab und ist wesensverwandt mit den Ideen des Wahren, Guten und Schönen. Das Wissen von diesen Ideen hat sie aus ihrem Vorleben, bevor sie in den konkreten Leib eingegangen ist (Anamnese). Die Seele ist das, was erkennt (Platon, Sophistes 248c-d). Sie ist das, wodurch der Mensch zu Wissen gelangt (Platon, Euthydemos 295e). Da die Seele mit den Ideen verwandt ist, werden diese erkannt, wenn der Mensch sich vom Sinnlichen abwendet und sie nur mit dem Denken selbst erfasst. „Dieser epistemische Modus bedingt eine Sammlung der Seele in sich selbst unter Verzicht auf den Gebrauch der Sinnesorgane, die [...] als eine epistemische Stör- und Fehlerquelle erscheinen. [...] Damit ist aber nicht gesagt, dass die Seele zu den Objekten der sinnlich wahrnehmbaren Welt in kein aktives kognitives Verhältnis treten kann. [...] Sinneswahrnehmung (aisthesis) ist eine genuin seelische Aktivität, die sich mittels der Werkzeuge der körperlichen Sinnesorgane vollzieht; die Seele ist auch der Ort, wo die Sinneseindrücke zusammenlaufen, die ansonsten bloß unvermittelt nebeneinander lägen (Tht. 184c-d). [...] Das Wesen der Lustempfindung ist die Wiederherstellung einer gestörten Harmonie bzw. die Beseitigung eines Mangels (Phlb. 31b-32a). Gemeinsam ist den über den Körper vermittelten Sinneswahrnehmungen und den sinnlichen Empfindungen von Lust und Unlust ihre Tendenz, die Seele ‚gewaltsam‘ mit Eindrücken der Außenwelt zu affizieren und in Unordnung zu bringen, indem sie von der (perfekten) kreisförmigen Bewegung abgebracht und zu (unvollkommenen) linearen Bewegungen veranlasst wird (Tim. 42a-43b) - sie wird unverständig (anous, 44b)“ (Jörn Müller, a.a.O., S. 143). Für die Seele besteht die Gefahr, dass sie befleckt und unrein wird, wenn sie sich zu sehr dem Körperlichen hingibt, indem sie den Leib pflegt, liebt und von ihm bezaubert ist. Die Seele hat etwas, was sie schlecht macht, nämlich Ungerechtigkeit, Unmäßigkeit, Feigheit und Unwissenheit. Sie sind die konträren Gegensätze der Kardinaltugenden. Die Seele soll sich nicht von Lüsten und Begierden leiten lassen. Sonst glaubt sie womöglich noch, nur das Körperliche sei wahr. Eine solche Seele wird sich nach dem Tod nicht rein für sich absondern können. Sie ist von dem Körperlichen durchzogen und mit dem Leib gleichsam zusammengewachsen. Sie ist unbeholfen, schwerfällig, irdisch und sichtbar.

Die Seele, die [das Körperliche] an sich hat, ist schwerfällig und wird wieder zurückgezogen in die sichtbare Gegend aus Furcht vor dem Unsichtbaren und der Geisterwelt, wie man sagt, an den Denkmälern und Gräbern umherschleichend, an denen daher auch allerlei dunkle Erscheinungen von Seelen gesehen worden sind, wie denn solche Seelen wohl Schattenbilder von denen darstellen müssen, welche nicht rein abgelöst sind, sondern noch teil haben an dem Sichtbaren, weshalb sie denn auch gesehen werden. [...] Und freilich leuchtet auch ein, daß dies nicht die Seelen der Guten sind, sondern die der Schlechten, welche um dergleichen gezwungen sind herumzuirren, Strafe leidend für ihre frühere Lebensweise, welche schlecht war. Und so lange irren sie, bis sie durch die Begierde des sie noch begleitenden Körperlichen wieder gebunden werden in einen Leib. Und natürlich werden sie in einen von solchen Sitten gebunden, deren sie sich befleißigt hatten im Leben. [...] Die sich ohne alle Scheu der Völlerei und des Übermuts und Trunkes befleißigten, solche begeben sich wohl natürlich in Esel und ähnliche Arten von Tieren. (Platon, Phaidon 81d-e)



Die drei Seelenteile

Platon schreibt der Seele drei Teile zu: das Begehrende, das Mutartige/Tatkräftige und das vernünftig Lenkende. Dementsprechend unterscheidet er in Politeia IX 580d-581e drei Arten von Menschen: Regiert das vernünftige Denken, ist der Mensch weisheitsliebend (philosophos), im Fall des Mutartigen/Tatkräftigen ist er siegliebend (philonikos, ehrgeizig, streitsüchtig), und wenn das Begehrende herrscht, ist er gewinnliebend (philokerdes, eigennützig, profitsüchtig). Das Begehrende (to epithymêtikon, Begierde) hat seinen Sitz im Unterleib. Es entspringt der Wahrnehmung und strebt nach der sinnlichen Lust. Es ist die Basis der elementaren Lebensvorgänge Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme. Aufgrund seiner potentiellen Unersättlichkeit muss es zur Besonnenheit gezähmt werden wie ein wildes Tier (Platon, Politeia 589a-b; Timaios 70d-71a). Das Mutartige/Tatkräftige (to thymoeides, Agressionstrieb, das Sich-Empörende, das Sich-Ereifernde) hat seinen Sitz in der Brust und speist sich aus dem Vielerlei der Meinungen. Es strebt danach, dass der einzelne Mensch in der Gemeinschaft sich angemessen zu verwirklichen vermag, und ist auf den Erhalt einer gerechten Ordnung bedacht. Zugleich ist es die Basis des Machtstrebens. Der Hauptaffekt dieses ehrliebenden Seelenteils ist der Zorn. Thymoeides kann in Konflikt mit dem Begehrenden geraten, zum Beispiel wenn Begierden den eigenen vernünftigen Teil überwunden haben und man dann mit sich selbst schimpft und voller Zorn auf dieses Zwingende in sich ist. Das Mutartige wird dann zu einem Verbündeten der Vernunft (Platon, Politeia 440a-b).

Thymetisches Streben ist im Erkenntnisvermögen der Meinung verwurzelt. Das Erkenntnisvermögen der Meinung bezieht sich nach Platon auf etwas, das zwar Anteil an etwas mit sich Identischem hat, aber dieses nicht nur und allein ist, sondern ein Vieles. Platon grenzt daher das meinende Erkennen als Vermögen vom Erkennen des Logistikon ab, weil jenes im Unterschied zu diesem das Identische vom Verschiedenen nicht zu unterscheiden weiß. Das Meinen ist der Erkenntnisbezirk der Hör- und Schaulustigen, Techniker oder Praktiker, die Einzelnes, d.h. Instanzen des Guten oder Schönen, und nicht, wie die Philosophen, das Gute und Schöne selbst erkennen (Resp 475b ff.). Das Thymoeides interessiert also eine Mannigfaltigkeit von Einzeldingen (etwa technische, praktische), an denen es seine Lust gewinnt, wobei es diese nach ihrem Ergon (Leistung), ihrer Tugend beurteilt. Es ist zudem, im Unterschied zum Epithymetikon, ein Seelenteil, durch den der Mensch auch auf sich selbst Bezug nehmend ein wertendes Urteil über das fällt, was er selbst im Vergleich zu anderen ist oder was ihm und anderen zusteht oder nicht zusteht, so dass er danach strebt, jenes herzustellen und aufrechtzuerhalten, dieses aber zu beseitigen (Resp 429c). Aufgrund des Thymoeides ist der Mensch daher tapfer und muthaft (thymoeides), entwickelt aber auch eine Lust an Überlegenheit, Ehre und Ansehen, weswegen dieser Seelenteil öfters das Siegliebende (philonikon) oder Ehrliebende (philotimon) heißt (Resp 581a-d). Weil sein Begriff vom Guten zwar weiter als der des Epithymetikon, aber enger als der des Logistikon ist, muss auch das Thymoeides dem Logistikon untergeordnet, d.h. zu einer richtigen Meinung über das Gute oder Schöne, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Bereich der zahllosen Einzeldinge, zu besonnenem Eifer und Mut (andreia) erzogen werden, damit seine negativen Qualitäten im Charakter eines Menschen, wie falscher Eifer, Argwohn, Verleumdungssucht, Kleinsinnigkeit, Selbstüberschätzung, Schamlosigkeit, Feigheit, ungerechte Empörung, Neid, Schadenfreude, Misanthropie, Misologie usw. nicht gegenüber den positiven, wie gerechtem Zorn, gerechter Sanftmut und Milde, Respekt und Achtung vor Göttern und Menschen, vor dem von Göttern und Menschen Geschaffenen oder der Natur, richtiger Selbsteinschätzung, Philanthropie usw. (Resp 376c-412b ff.; Phd 89d ff.) zur Entfaltung kommen können. (Wolfram Brinker, a.a.O., S. 256-257).

Das Denkende bzw. Lenkende (to logistikon, Vernunft) hat seinen Sitz im Kopf und orientiert sich an dem Guten und Schönen. Das Logistikon erkennt das, was für die Seele zuträglich ist. Es zielt auf den Erwerb von Wissen und Wahrheit und moderiert die beiden anderen Seelenteile, indem es vorausschauend überlegt und abwägt. Den drei Seelenteilen entsprechen die drei Erkenntnisweisen Sinneswahrnehmung (aisthesis), Meinung (doxa) und Wissen (noesis). Bei jedem der drei Seelenteile handelt es sich um eine Art eigenständiges Modul. Diese drei einzelnen Module können sich bei einem inneren Streit der Seele gegeneinander wenden oder miteinander verbünden (Platon, Politeia 440e). Die drei Seelenteile befinden sich nur dann in einer angemessenen Ordnung, wenn das Begehrende (Bedürfnis, Begierde) und das Mutartige (Agressionstrieb) durch die Vernunft gelenkt werden und jeder das Seinige tut, was ihm angemessen ist. Dabei geht es nicht um die Ausschaltung eines Seelenteils, sondern um die Integration in ein harmonisches Ganzes. Den drei Seelenteilen werden drei Tugenden zugeordnet: die Besonnenheit (sophrosyne) dem Epithymetikon, die Tapferkeit (andreia) dem Thymoeides und die Weisheit (sophia) dem Logistikon. Gerechtigkeit (dikaiosyne) herrscht dort, wo jeder Seelenteil die ihm spezifische Tugend ausübt, so dass ein harmonisches, einheitliches Verhältnis entsteht. Sie ist also primär nicht ein Verhältnis zu anderen, sondern zu sich selbst. Die auf der Einheit beruhende harmonische Gefügestruktur zwischen den einzelnen Teilen begründet die Nützlichkeit des einen Teils für die anderen Teile. Gerechtigkeit wird damit zur geordneten „Einheit“ in der „Vielheit“ der drei Seelenteile. „Die Tauglichkeit eines Seienden zu seinem Wesensakt [...] liegt in seiner Einigkeit und Übereinstimmung mit sich selbst; denn was in sich selbst uneins ist, das ist zu seiner eigentümlichen Leistung nicht imstande“ (Jens Halfwassen: Der Aufstieg zum Einen, 2006, S. 237). Die Auflösung der harmonischen Ordnung der drei Seelenteile führt zu Ungerechtigkeit und Selbstzerstörung.

In Wahrheit aber war die Gerechtigkeit zwar, wie es scheint, etwas von der Art, jedoch nicht in bezug auf das äußere Tun seiner Bestandteile, sondern in bezug auf das wahrhaft innerliche, an sich selbst und dem Seinigen, indem einer keinem Teile seines Inneren gestattet, das Fremde zu tun, noch den Seelenteilen erlaubt, unter einander zwecklose Geschäftigkeit zu treiben, vielmehr in der Tat sein Haus wohl bestellt und die Herrschaft über sich selbst gewonnen und sich in Ordnung gebracht hat und sein eigener Freund geworden ist und jene drei in vollständigen Einklang gebracht hat, gleichsam die drei Hauptsaiten eines Instrumentes, den Grundton, die Terz und die Quinte, und die andern, die etwa noch dazwischen liegen, diese alle unter einander verknüpft hat und vollständig Einer geworden ist aus Vielen, besonnen und rein gestimmt, und alsdann nunmehr in solcher Weise handelt, falls er handelt entweder in bezug auf Erwerb von Besitztümern oder die Pflege des Leibes oder auch in einer Angelegenheit des Staates oder des persönlichen Verkehrs, indem er in allen diesen Verhältnissen als gerechte und schöne Handlung diejenige betrachtet und bezeichnet, welche diesen Zustand bewahrt und mitbewirkt, und als Weisheit die Wissenschaft, die dieses Handeln leitet, und als ungerecht ein Handeln, das im einzelnen Falle jenen stört, und als Torheit die Meinung, die ihrerseits dieses Handeln leitet. (Platon, Politeia 443c - 444a)




Der Mythos vom Seelenwagen

Dass die lenkende Tätigkeit des Logistikon gar nicht so einfach ist, zeigt Platon im Bild des Wagenlenkers und seiner beiden Rosse, das er im Dialog Phaidros zeichnet. Das Gespann ist ein Gleichnis für die Seele. Der Wagenlenker und die beiden ungleichen Rosse veranschaulichen die drei Seelenteile und ihr Verhältnis zueinander. Es geht in erster Linie darum, das ungestüme Ross zu bändigen. Der Wagenlenker stellt das Logistikon dar, das edle Ross das Thymoeides und das ungestüme Ross das Epithymetikon:

Wie ich im Anfang dieses Mythos jede Seele dreifach geteilt habe, nämlich in zwei rosseähnliche Gestalten und eine dritte, den Wagenlenker darstellende, so soll es uns auch jetzt noch dabei bleiben. Von den Rossen aber ist ja, sagen wir, das eine gut, das andere nicht, worin aber die Tugend des guten und die Schlechtigkeit des schlechten bestehe, das haben wir nicht erörtert, ist aber nun zu besprechen. Das nun von den beiden, welches von schönerer Beschaffenheit ist, ist seiner Gestalt nach aufrecht gebaut und gut gegliedert, hat hohen Nacken, gebogene Nase, weiße Farbe, schwarze Augen, vereinigt Ehrliebe mit Besonnenheit und Schamhaftigkeit, und als ein Freund wahrer Denkweise wird es ohne Schläge nur durch Aufmunterung und Worte gelenkt. Das andere dagegen ist gebeugt, plump und schlecht gebaut, von dickem Nacken, kurzem Hals, stumpfer Nase, schwarzer Farbe, mit Blut unterlaufenen glasigen Augen, ein Freund von Trotz und Anmaßung, um die Ohren zottig, taub, kaum der Peitsche und dem Stachel gehorsam. Wenn nun der Wagenlenker, indem er das geliebte Antlitz sieht, durch die ganze Seele bei der Wahrnehmung erglühend, von Kitzel und Sehnsucht gestachelt wird, so hält das dem Wagenlenker gern folgende Roß, wie immer so auch jetzt, von Scham bewältigt, selbst an sich, nicht auf den Geliebten loszuspringen, das andere aber kehrt sich nicht weder an Stachel noch Peitsche des Wagenlenkers, sondern springend treibt es mit Gewalt fort, und dem Mitgespann und dem Wagenlenker alle mögliche Not bereitend, zwingt es sie, zu dem Liebling zu gehen und gegen ihn der Vergünstigung aphrodisischer Gefälligkeit Erwähnung zu tun. Anfangs indessen leisten beide voll Unwillen Widerstand, als sollten sie zu etwas Argem und Gesetzwidrigem genötigt werden, endlich aber, wenn des Übels kein Ende ist, gehen sie fortgezogen hin, nachgebend und versprechend, sie wollten das Verlangte tun. Nun sind sie bei ihm, nun sehen sie das strahlende Angesicht des Lieblings. Indem es aber der Wagenlenker sieht, wird seine Erinnerung zu dem Wesen der Schönheit fortgeführt, und wieder sieht er sie mit der Besonnenheit vereint auf unentweihtem Grunde stehen. Bei diesem Anblick aber erbebt er und beugt sich zurück, von Verehrung erfüllt, und zugleich wird er genötigt, die Zügel so stark nach hinten anzuziehen, daß er beide Rosse auf die Hüften setzt, das eine gutwillig, weil es nicht Widerstand leistet, das trotzige aber höchst widerwillig. Indem sie nun beide weiter zurückgehen, gerät das eine so sehr in Beschämung und Entsetzen, daß es die ganze Seele mit Schweiß benetzt, das andere aber, sobald es den Schmerz los ist, den es von dem Zaum und dem Sturz bekommen, hat kaum wieder Atem geschöpft, so beginnt es voll Zorn zu schmähen und den Wagenlenker und seinen Mitgespann auf alle Weise schlecht zu machen, als wären sie aus Feigheit von ihrer Stellung und ihrem Versprechen gewichen. Und wiederum sie drängend, gegen ihren Willen hinzugehen, gibt es ihnen kaum nach, wenn sie bitten, es auf ein anderes Mal zu verschieben. Ist aber die verabredete Zeit gekommen, so mahnt es die beiden, die sich stellen, als dächten sie nicht mehr daran, wendet alle Gewalt an, wiehert, zieht sie fort und nötigt sie, mit der nämlichen Absicht zu dem Liebling zu kommen, und wenn sie ihm nahe sind, so zieht es, sich vorwärts beugend, den Schweif emporstreckend und in den Zaum beißend, schamlos weiter. Der Wagenlenker aber, in noch stärkerem Grade von dem vorigen Gemütszustand ergriffen, wie einer, der von den Schranken auslaufend sich rückwärts beugt, zerrt den Zaum des trotzigen Rosses mit noch stärkerer Gewalt aus dem Gebiß nach hinten, strengt ihm die schmähsüchtige Zunge und die Backen an bis aufs Blut und bereitet ihm arge Schmerzen, indem er ihm Schenkel und Hüften zur Erde niederzwingt. Wenn aber das schlimme Roß dieselbe Behandlung öfters erfährt und von seiner trotzigen Wildheit läßt, so folgt es gedemütigt schon der vernünftigen Leitung des Wagenlenkers, und wenn es den Schönen sieht, vergeht es vor Furcht. Und so kommt es, daß die Seele des Liebhabers nun dem Liebling verschämt und verschüchtert folgt. (Platon, Phaidros 253c ff.)



Wiedergeburt

Platon vertritt die Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele, indem er für sie sowohl eine Präexistenz, aus der gefolgert wird, dass das Wissen Erinnerung (anamnêsis) ist, als auch eine Postexistenz mit Wanderung durch verschiedene Leiber und Versetzung in den Fixsternhimmel annimmt. Der Leib ist das Gefängnis und das Grab der Seele. Die Bindung der Seele an den Körper erklärt sich daraus, dass die niederen Seelenteile die höheren überwiegen. Durch Wiedergeburten wird sie geläutert und kann sich schließlich mit dem Göttlichen vereinigen. Im Phaidros schildert Platon den „Mythos vom Überhimmlischen“, um die Ideen als Gehalte des apriorischen Denkens in der Seele zu verdeutlichen. Vor der Geburt des Menschen und damit vor dem Absinken in den Bereich des Körperlichen existiert die Seele an einem überhimmlischen Ort, der den Bereich des sinnlich wahrnehmbaren Physischen transzendiert. Wie es der Seele nach dem Tod ergeht, richtet sich nach dem Verhalten des Menschen. Die Einzelseele existiert nach dem Tod getrennt von einem bestimmten Körper weiter. Nach einem Mythos des platonischen Sokrates erwartet die Seelen in der Unterwelt ein Gericht. Die Einzelseelen, die sich am Materiellen orientiert hatten, werden in dem Körper eines solchen Wesens wiedergeboren, das Abbild ihres Lasters ist. Dagegen streben die Seelen, die sich am Ideellen orientiert hatten, zu einer Vereinigung mit dem Göttlichen. Die These von der Unsterblichkeit ist nach dem platonischen Sokrates nötig, um die Menschen zu Vernunft und Sitttlichkeit anzuhalten.

Jede Seele ist unsterblich, denn das stets Bewegte ist unsterblich. Was aber ein anderes bewegt und von einem anderen bewegt wird, das hat, sofern es ein Aufhören der Bewegung hat, auch ein Aufhören des Lebens. Das sich selbst Bewegende allein also, sofern es nie sich selbst verlässt, hört nie auf, bewegt zu sein, aber auch für das andere, was bewegt wird, ist dieses Quelle und Anfang der Bewegung. Der Anfang aber ist nicht geworden. Denn alles Werdende wird notwendig aus dem Anfang, er selbst aber schlechthin nicht aus einem Etwas, denn wenn der Anfang aus einem Etwas würde, so würde er ja nicht zum Anfang werden. Da er aber nicht geworden ist, ist er auch notwendig nicht vergänglich. Denn wenn der Anfang untergegangen wäre, so könnte ja weder er selbst jemals aus Etwas, noch anderes aus ihm werden, da ja alles aus dem Anfang werden muss. So ist also der Bewegung Anfang das sich selbst Bewegende. Dieses aber kann weder untergehen noch erst werden, sonst würde der ganze Himmel und alles Werden zusammenfallen und stille stehen und nichts mehr vorhanden sein, woraus Bewegtes werden könnte. Hat man aber gesagt, dass das von sich selbst Bewegte unsterblich sei, so darf sich einer auch nicht schämen, es auszusprechen, dass eben dieses das Wesen und die Natur der Seele sei. Denn jeder Körper, dem das Bewegtwerden von außen zuteil wird, ist unbeseelt, der aber, dem es von innen aus sich selbst zuteil wird, ist beseelt, wie denn dieses die Natur der Seele ist. (Platon, Phaidros 245c-e).


Arete als Bestform der Seele
Der Begriff Arete

Der Begriff Arete bezeichnete ursprünglich die Eigenschaft, wodurch eine Sache, ein Tier, ein Mensch oder ein Gott hervorragt. Die Bedeutung des Wortes bestimmt sich durch seine Funktion als abstraktes Nomen zum logisch attributiv verwandten agathos, was gut bedeutet (Peter Stemmer: Art. Tugend, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, 1998, S. 1532). Es handelt sich um die Tüchtigkeit und Tauglichkeit im Sinne eines Qualitätsmerkmals (Otto Friedrich Bollnow: Wesen und Wandel der Tugenden, 1975, S. 12). Im Gegensatz zum deutschen Begriff der Tugend können auch Dinge Arete haben. Beispiele für Arete sind demnach auch die Schnelligkeit eines Pferdes oder die Schärfe eines Messers. Die Arete eines jeden Dinges besteht in dem, wodurch es seine je eigene Aufgabe erfüllt. Das Wort meint damit zunächst jede Vortrefflichkeit. Auf den Menschen bezogen ist Arete die Vollendung seines wahren Wesens, die Vollkommenheit seines Körpers bei gleichzeitiger „Bestform“ seiner Seele.

Die Etymologie des Wortes Arete ist bislang ungeklärt (Hjalmar Frisk: Griechisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, 1960). Vermutlich ist Arete sprachlich entweder von areskein abgeleitet, was gefallen bedeutet (Werner Jaeger: Paideia, 1989, S. 26), oder aber es besteht eine Verbindung zu areíōn, dem Komparativ von agathós, d.h. gut (Eduard Schwyzer: Griechische Grammatik, Band 1, 5. Auflage, 1977, S. 501). Der Begriff umfasst das, was objektiv allgemeines Gefallen hervorruft (Karl Kerényi: Der Mythos der Arete, in: ders. Antike Religion, 1971, S. 244). Der Ursprung des Wortes Arete wurzelt in den Grundanschauungen des ritterlichen Adels im Athen der Antike, da die überragende Leistungsfähigkeit als notwendige Voraussetzung für die Ausübung von Herrschaft verstanden wurde (Werner Jaeger, a.a.O., S. 25 f.). Zur Arete eines Helden zählten beispielsweise praktische Klugheit, Stärke, Tapferkeit, Streben nach Ruhm und kriegerischer Erfolg, der letztlich auf dem unbedingten Willen beruhte, besser als die anderen sein zu wollen und Entbehrungen, Schmerzen und Strapazen auf sich zu nehmen. Bei Homer bezeichnet der Begriff auch die Vorzüglichkeit nichtmenschlicher Wesen wie die Schnelligkeit der Pferde oder die Kraft der Götter. Die Sehkraft ist die Arete des Auges. Auffassungsgabe und Klugheit sind Arete des Geistes, Schönheit, Gesundheit und Stärke sind Arete des Körpers. Arete ist demnach ein dem Träger innewohnendes Vermögen, das seine Vollkommenheit ausmacht (Werner Jaeger, a.a.O., S. 27). Arete zu haben galt als ein Mittel zum Glück, als eine Bedingung des Glücks oder gar als das Ganze des Glücks (Peter Stemmer, a.a.O., S. 1533).



Sittliche Arete bei Sokrates

Sittliche Arete ist die Vollendung dessen, was der Mensch nach seinem wahren Wesen wirklich ist. Die Vollkommenheit des Menschen liegt vor allem in der Schönheit seiner Seele (kalokagathia als Einheit von Schönem, Gutem und Wahrem). Es geht darum, das Schöne sich selbst zu eigen zu machen. In der Ethik bezeichnet Arete deshalb das sittlich Werthafte. Zur sittlichen Arete gehören die besonderen Eigenschaften der Gerechtigkeit, Tapferkeit, Weisheit und Besonnenheit. Sokrates hat den Begriff in der philosophischen Ethik in einer ähnlichen Bedeutung wie Tugend verwendet. Nach Sokrates liegt die Arete in der guten Verfassung der Seele, nicht in der des Körpers. Er vertraute insoweit auf das Wissen: Die sittliche Arete ist lehrbar. Wer das Gute wahrhaft erkannt hat, der handelt auch danach. Niemand verhält sich wissentlich schlecht, da es gegen seine Glückseligkeit wäre. Arete macht glücklich. Die Untersuchungen des Sokrates kreisten deshalb meist um Fragen der Ethik: Was ist Frömmigkeit? Was ist Selbstbeherrschung? Was ist Besonnenheit? Was ist Tapferkeit? Was ist Gerechtigkeit? Diese Aretai verstand Sokrates als Vortrefflichkeiten der Seele, so wie Kraft, Gesundheit und Schönheit Tugenden des Körpers sind. Im Guten erkannte Sokrates das wahrhaft Nützliche, Heilsame und Glückbringende, weil es die Natur des Menschen zur Erfüllung seines Wesens führt. Das Ethische ist der Ausdruck der richtig verstandenen menschlichen Natur. Frei ist der Mensch nur, wenn er nicht der Sklave seiner Begierden ist (Xenophon, Memorabilien I 5, 5-6; IV 5, 2-5)

Und ich für meinen Teil glaube, dass noch nie dem Staat etwas Besseres widerfahren ist als dieser Dienst, den ich dem Gott leiste. Denn nichts anders tue ich, als dass ich umhergehe, um Jung und Alt unter euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen mehr zu sorgen als für die Seele, damit diese aufs Beste gedeihe. Und ich sage euch, dass nicht aus dem Reichtum die Arete entsteht, sondern aus der Arete der Reichtum und alle anderen guten Dinge für den Menschen insgesamt, individuelle und gemeinschaftliche. (Platon, Apologie des Sokrates, 30a-b)



Die Umformung der Seele bei Platon

Für Platon ist Arete die Realisation des Wesens einer Sache und Zustand ihres eigentümlichen, bestimmten Selbstseins, in dem sie zu einer spezifischen Aufgabe, Leistung und einem Werk tauglich ist (Dirk Cürsgen: Art. Tugend, in: Christian Schäfer (Hrsg.), Platon-Lexikon, 2007, S. 286). Im Zustand der Arete ist ein Seiendes am meisten mit sich selbst identisch. Es ist ganz und gar das, was es ist. Es bedarf keines anderen mehr, um zu sein, was es ist (Platon, Philebos 20d f.; a.a.O. 67a). Es ist ein vollendetes Ganzes und Eines, das seine höchste Seinsmöglichkeit erfüllt. Gutheit bedeutet für Platon die Einheit, die ein Seiendes aus der Zerstreuung in das grenzenlos Viele zu sich selbst bringt. In dieser Einheit erfüllt sich der Seinssinn eines Seienden (Jens Halfwassen: Der Aufstieg zum Einen, 2006, S. 242 f.). Dies gilt zunächst für alle Gegenstände und Lebewesen. Für den Menschen ist Arete die aktive Nachahmung Gottes, die durch Vernunftanstrengung vollzogen werden kann (Platon, Theaitetos 176b-c). Arete ist sittlich die Tüchtigkeit der Seele zu der ihr eigenen Bestimmung. Sie gliedert sich, je nach den drei Seelenteilen „logisitikon“ (Vernunft), „thymoeides“ (das Mutartige, Aggressionstrieb) und „epithymêtikon“ (das Begehrende, Bedürfnis, Begierde), in die vier Kardinaltugenden Weisheit (sophia), Tapferkeit (andreia), Maßhalten bzw. Besonnenheit, Selbstbeherrschung (sôphrosynê) und Gerechtigkeit (dikaiosynê). Dabei ist Gerechtigkeit die harmonische Ordnung der drei Seelenbereiche und die ausgewogene Realisierung von Weisheit, Tapferkeit und Besonnenheit. Auch die Frömmigkeit (hosiotês) wird von Platon zu den sittlichen Aretai gezählt. Jede Arete existiert selbst als Urbild („Idee“) und ist werthaft und wahrhaft seiend.

Um Gutes zu leisten muss die Seele nach Platon wie eine Lyra richtig gestimmt sein. Die drei Seelenbereiche „logisitikon“ (Vernunft), „thymoeides“ (das Mutartige, Aggressionstrieb) und „epithymêtikon“ (das Begehrende, Bedürfnis, Begierde) befinden sich dann in einer harmonischen Ordnung. In diesem Sinne ist Arete ein „maßbestimmtes Proportionsgefüge eines komplexen Ganzen, in dem sich die eine Tugend in vielen Gestalten zeigt“ (Dirk Cürsgen, a.a.O., S. 288). Die einzelnen Aretai sind Gebrauchs- und Verwirklichungsformen des Guten, erst durch die Idee des Guten erhalten sie ihren Nutzen. Das Gute als Relationsharmonie zwischen den seinszerstörenden, konträren Extremen ist in seiner Ordnung aber zugleich das Schöne: „Jetzt also entflieht uns wieder das Wesen des Guten in die Natur des Schönen. Denn Abgemessenheit und Verhältnismäßigkeit führt doch überall offenbar zu Schönheit und Tugend“ (Platon, Philebos 64e). Für das Hervorbringen der wahren Arete kommt der höchsten Erkenntnis eine besondere Bedeutung zu: der Erkenntnis des Schönen an sich als des Einen, dem alles übrige Schöne seine Schönheit verdankt. In der Wesensschau des Schönen wird dieses selbst als das Göttlich-Schöne (Platon, Symposion 211e) erkannt, womit sich der Aufstieg des Erkenntniswegs vollendet. Wer das Göttlich-Schöne schaut, der erzeugt wahre Arete. Die Schau des Göttlich-Schönen formt den Erkennenden also selbst um. Die Realisierung von Arete und damit die eigene ethische Vervollkommnung sind mit der höchsten Erkenntnis notwendig verbunden. Ziel ist es, die geistige Natur des Menschen zu realisieren und dem Göttlichen gleich zu werden (Platon, Theaitetos 176a f.). So erreicht der Mensch die Eudaimonie, einen Gesamtzustand des guten, glücklichen und gelingenden Lebens, mit dem innere Harmonie und Ordnung, geistige Ruhe und Klarheit verbunden sind.

Denn dies ist die rechte Art, sich auf die Liebe zu legen oder von einem andern dazu angeführt zu werden, daß man von diesem einzelnen Schönen beginnend jenes einen Schönen wegen immer höher hinaufsteige, gleichsam stufenweise von einem zu zweien, und von zweien zu allen schönen Gestalten, und von den schönen Gestalten zu den schönen Sitten und Handlungsweisen, und von den schönen Sitten zu den schönen Kenntnissen, bis man von den Kenntnissen endlich zu jener Kenntnis gelangt, welche von nichts anderem als eben von jenem Schönen selbst die Kenntnis ist und man also zuletzt jenes selbst, was schön ist, erkenne... Was also ... sollen wir erst glauben, wenn einer dazu gelangte, jenes Schöne selbst rein, lauter und unvermischt zu sehn, das nicht erst voll menschlichen Fleisches ist und Farben und anderen sterblichen Flitterkrams, sondern das göttlich Schöne selbst in seiner Einartigkeit zu schauen? Meinst du wohl, daß das ein schlechtes Leben sei, wenn einer dorthin sieht und jenes erblickt und damit umgeht? Oder glaubst du nicht, daß dort allein ihm begegnen kann, indem er schaut, womit man das Schöne schauen muß; nicht Abbilder der Arete (Bestform) zu erzeugen, weil er nämlich auch nicht ein Abbild berührt, sondern Wahres, weil er das Wahre berührt? Wer aber wahre Arete erzeugt und aufzieht, dem gebührt, von den Göttern geliebt zu werden, und wenn irgend einem anderen Menschen, dann gewiß ihm auch, unsterblich zu sein. (Platon, Symposion 211a ff.)

Quelle : Platon heute

Wagenlenker und Peitsche, interessant. ;)

Weltgeist oder Weltseele?
 
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