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Ungenauigkeiten der Mediensprache

AW: Ungenauigkeiten der Mediensprache

hallo, robin!

bist du mir böse, wenn ich auf den terrorismus in einem extra thread eingehe?
da führe ich auch etwas zu den medialen umgang damit aus.

hier möchte ich lieber noch ein zweites beispiel anbringen, was nicht nur die ungenauigkeit der medien widerspiegelt, sondern sogar ihre bewusste fehlinformation zum vorschein bringt: vor genau zehn jahren ist in sebnitz (sachsen) ein kleiner junge namens joseph in einem freibad ertrunken. 1998 wurde der fall zu den akten gelegt. 2000 dann titelte die bild-zeitung, dass der afrikanisch-stämmige junge von rechtsextremen vorsätzlich ermordet wurde! ein aufschrei ging durch die republik, es passte alles´: eine ganze stadt sieht zu wie arme eltern wegen ihrer (eigentlich nur der vater) herkunft ihres sohnes beraubt werden. es zeigte was längst vermutet worden war: im tiefen osten sind sie alle rechtsextrem. sebnitz wurde für wochen mittelpunkt des medialen interesses. der journalismus erreichte dabei ein minderwertiges niveau. nach einigen wochen und enttarnung falscher zeugen, die von der mutter des ertrunkenen, die an verfolgungswahn leidete, für ihre aussage bezahlt worden, entschuldigte sich bild für seine hetzkampagne, die den nun schlechten ruf der stadt auch nicht wieder wettmachen konnte.

eine ungeheure sauerei von menschen, die halb paranoid sind, und medien, die darauf sofort anspringen. heute vor zehn jahren. im freibad...
 
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Die Internetmedien...

verschärfen den Kampf um Aufmerksamkeit des Lesers. Das zeigt sich nicht nur im Hang zur Zuspitzung und den damit verbundenen Ungenauigkeiten.
Die Netzeitung glaubt hier durch die bloße Erwähnung des Namens Maradona die Aufmerksamkeit des Lesers zu erhaschen. Die Schlagzeile "Maradona sieht Riquelme in Top-Form" ist aber schlicht falsch. Maradona war bei dem Spiel, um das es geht, nicht da und ist auch sonst völlig unwesentlich für den Inhalt. Die krampfhaften Bemühungen des Reporters, den Namen Maradona auch im Beitrag möglichst mehrfach zu nennen, machen ihn zu einem Stück Journalismus schlechten Stils.
 
AW: Ungenauigkeiten der Mediensprache

Die Zwillinge Kaczynski jedenfalls sollten sich nicht über angebliche Isolierung ihres Landes beklagen. Im Gegenteil, ist doch die polnische Nationalidentität ganz offensichtlich weltweit in allen Bereichen auf dem Vormarsch:

Der Künstler PeterLicht bewegt sich mit seiner Arbeit zwischen den Polen Text, Musik, Pop, Kunst, soziale Skulptur, Kapitalismus und Schnäppchenmarkt
http://bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis/autoren/stories/195931/
 
AW: Ungenauigkeiten der Mediensprache

Thorsten: :D

Die Umfragehysterie ist wirklich ein Mentekel der modernen Medien. Sie steht im krassen Widerspruch zu der ebenfalls von den Medien geforderten Nachhaltigkeit von Politk. Medien zwingen Politker dazu, sich zum medialen Affen (wie Beck) zu machen und kritisieren sie im selben Atemzug dafür.
Es gab Appelle an Medien, die Umfragen einzudämmen aber sie sind verhallt.
 
AW: Ungenauigkeiten der Mediensprache

Ob alleine es sich um eine zufällige Ungenauigkeit handelt, darf wahrlich bezweifelt werden. Mehr steckt in vielen Fällen dahinter und Victor Klemperer, Philologe und von den Nationalsozialisten verfolgter jüdischer Deutscher, steht uns auch hier lehrreich zur Seite.

Bereits vor einige Monaten verfaßte ich einen Artikel, der auf der von mir empfohlenen Internetpräsenz veröffentlicht wurde. Zum besseren Verständnis sei das Vorwort der dortigen Macher mitaufgeführt:

Sprache im neoliberalen Deutschland

Am 2. Februar haben wir auf eine Sendung von arte unter dem Titel „Sprache lügt nicht“ hingewiesen, in der über Victor Klemperers “Lingua Tertii Imperii”, ein Tagebuch über die Sprache des Dritten Reiches berichtet wurde. Unseren Leser XXX XXXXX hat das veranlasst über Parallelen in der Sprache des neoliberalen Deutschlands nachzudenken: Für einen Philologen, der sich an Klemperer orientieren will, böte die heutige Alltagssprache ein unglaubliches Jagdgebiet.


Mit Freude habe ich Ihre Empfehlung zur LTI – Lingua Tertii Imperii – von Klemperer wahrgenommen. Es ist nicht irgendein Buch zum Nationalsozialismus, sondern besitzt mehr Tiefgrund als die übliche Literatur zu diesem Themenbereich.
Zunächst verunstalteten die nationalsozialistischen Sektierer die deutsche Sprache, danach fingen die Zeitungen an, sich dieser Art von Sprache zu bedienen. Kino und Rundfunk schlossen sich an. Kein Wunder also, wenn zuletzt der gemeine Bürger so sprach, wie die Dauerberieselung seitens des Staates und seiner Büttel es vorexerzierte. Klemperer schaute dem „Volk aufs Maul“ und erkannte die Denkart der „Sprachschöpfer“ dahinter. Verschweigen treffender Termini und zynische Euphemismen prägten deren Gestaltung. Aber: Dennoch verriet deren Sprachschöpfung mehr als man glauben möchte. Die Verschleierungstaktik, wenn man das so nennen möchte, offenbarte eben erst recht, was sich dahinter versteckte. Klemperer dazu:


"Man zitiert immer wieder Talleyrands Satz, die Sprache sei dazu da, die Gedanken des Diplomaten (oder eines schlauen und fragwürdigen Menschen überhaupt) zu verbergen. Aber genau das Gegenteil hiervon ist richtig. Was jemand willentlich verbergen will, sei es nur vor andern, sei es vor sich selber, auch was er unbewußt in sich trägt: die Sprache bringt es an den Tag. Das ist wohl auch der Sinn der Sentenz: Le style c’est l’homme; die Aussagen eines Menschen mögen verlogen sein – im Stil seiner Sprache liegt sein Wesen hüllenlos offen."
- LTI, Seite 20 -


Um einen kleinen Eindruck dessen zu bekommen, was sich Gleichschaltung nannte, lohnt es sich Klemperers erste Tagebuchnotizen zu lesen. Beinahe täglich mussten sich die Menschen mit neuen Worten und Redensarten abplagen, die aber immer einen gemeinsamen Kern hatten, sozusagen einer Gedankenfamilie entsprangen. Einige Auszüge aus dem Tagebuch:


"27. März 1933: Neue Worte tauchen auf, oder alte Worte gewinnen neuen Spezialsinn, oder es bilden sich neue Zusammenstellungen, die rasch stereotyp erstarren. Die SA heißt jetzt in gehobener Sprache – und gehobene Sprache ist ständig de rigueur, denn es schickt sich, begeistert zu sein – „das braune Heer“. Die Auslandsjuden, besonders die französischen, englischen und amerikanischen, heißen heute immer wieder die „Weltjuden…."
- Aus dem Tagebuch des ersten Tages, Seite 43 -

"20. April 1933: Wieder eine neue Festgelegenheit, ein neuer Volksfeiertag: Hitlers Geburtstag. „Volk“ wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk: Volksfest, Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnah, volksfremd, volksentstammt…"
- Aus dem Tagebuch des ersten Tages, Seite 45 -

"9. Juli 1933: Vor ein paar Wochen ist Hugenberg zurückgetreten, und seine deutschnationale Partei hat „sich selbst aufgelöst“. Seitdem beobachte ich, daß an die Stelle der „nationalen Erhebung“ die „nationalsozialistische Revolution“ gerückt ist und daß man Hitler häufiger als zuvor den „Volkskanzler“ nennt und daß man vom „totalen Staat“ spricht."
- Aus dem Tagebuch des ersten Tages, Seite 45 -

"23. Oktober 1933: Mir ist vom Gehalt eine „Freiwillige Winterhilfe“ abgezogen worden; niemand hat mich deswegen vorher gefragt. Es soll sich um eine neue Steuer handeln, von der man sich ebensowenig ausschließen darf wie von irgendeiner anderen Steuer; die Freiwilligkeit bestehe nur darin, daß man über des festgesetzten Betrag hinaus zahlen dürfe, und auch hinter diesem Dürfen stelle sich für viele schon ein kaum verhüllter Zwang. […] Hilfe statt Steuer: das gehört zur Volksgemeinschaft. Der Jargon des Dritten Reiches sentimentalisiert; das ist immer verdächtig."
- Aus dem Tagebuch des ersten Tages, Seite 50 -


Mit diesen Zeilen liegt es mir fern, die heutigen Auswüchse sprachlicher Gleichschaltung, die anderer Art sind als die Beschriebenen, mit denen der Nationalsozialisten auf eine Ebene zu stellen; oder anders, treffender formuliert: Die Verstümmelung und Schönrederei gleicht sich, die Motive dahinter sind freilich andere. Wo einst Gleichschaltung herrschte, betreibt heute die Ökonomisierung des Alltags Sprachverstümmelung.

Als ich zum ersten Mal Klemperer las, erkannte ich sofort die Parallelen zur Gegenwart. Es erinnert in fataler Weise an die LTI, wenn man heute davon spricht, die Lohnnebenkosten senken zu müssen, um Arbeitsplätze zu schaffen, aber eigentlich Lohnkürzungen damit meint. Und in dieser Art bedeutet Umbau nicht selten Abbau, anpassen ist gleich senken, Sozialabbau wird mit dem Terminus Reform verdeckt. Bedenkt man dann, dass man heute ungeniert wieder den unheilvollen Begriff Arbeitsscheue in den Mund nimmt (man denke an das „Reichsprogramm Arbeitsscheu“, welches „asoziale“ Subjekte zur Zwangsarbeit heranführen sollte), dass im Sozialministerium unter Minister Clement eine Broschüre das der Natur entlehnte Wort „Schmarotzer“ aufführte, dann ist gewiss, dass es in sprachlicher Hinsicht hierzulande einen Rückschritt gibt. Wollen wir hoffen, dass dieser Rückschritt, wenn er schon stattfindet, nur sprachlich vollzogen wird – mögen also Worten keine (Un-)Taten folgen!

Für einen Philologen, der sich an Klemperer orientieren will, böte die heutige Alltagssprache ein unglaubliches Jagdgebiet. Ein Tagebuch, welches sich mit der SND – der Sprache des neoliberalen Deutschland – befassen würde, könnte viele Seiten füllen…

Es ist also durchaus kein Zufall, wenn Medien gezielt mit Verkürzungen, Weglassen ganzer Wortteile, Schönfärbungen etc. Politik betreiben. So gilt jede gefundene Bombe, ja, jede Bombenattrappe bereits als Zeichen eines geplanten "terroristischen Anschlages". Zweifelsohne ist jedes Anwenden von heimtückischer und schreckensverbreitender Gewalt ein terroristisches Handeln per definitionem, doch wird in den Medien jede terroristische Handlung sofort dem Weltterrorismus angedichtet, um die drohende Gefahr verschärft darzustellen.

Der Überwachungsstaat, der noch nicht gegeben ist, doch der keine Utopie mehr zu sein scheint, benötigt ein möglichst gefährlichwirkendes Szenario. Da wird ein desillusionierter Zeitgenosse, der einen Koffer gefüllt mit allerlei Dreckwäsche stehenläßt, um so Geld zu erpressen, indem er seine ranzige Unterwäsche als Bombe deklariert, zum Weltterroristen erklärt.

Somit wäre es definiert: Ein "terroristischer Anschlag" muß nichts mit dem Terrorismus zu tun haben, den die Staaten dieser Erde angeblich so sehr verfolgen. Werfe ich, unbescholtener Bürger, heute einen Molotowcocktail in ein Kaufhaus, so habe ich einen Anschlag terroristischer Art verübt, bin aber deswegen noch lange kein Mitglied der ETA, IRA oder der al-Quaida. Doch dies soll dem Zuseher, Zuhörer und/oder Leser schleierhaft bleiben. Die terroristische Gefahr soll einerseits abstrakt, andererseits klar definiert sein.

Der Konsument des Medienzirkus muß zu folgendem Glauben getrieben werden: 1.) Es gibt nur einen Terrorismus, keine verschiedenen Varianten. 2.) Der Terrorismus wird verschwinden, wenn die Terroristen tot sind, womit man 3.) wissen sollte: Die sind die Terroristen, wir sind es nicht und keiner von uns kann zu einem werden. Zweifelt man, speziell am dritten Punkt, so erlaubt sich die Frage: Kann ich nicht selbst morgen einen Molotowcocktail werfen, und damit selbst terroristisch aktiv werden? Und das alles ohne Weltterror-Organisation?

Mit welcher zynischen Ernsthaftigkeit die Staaten den Terrorismus behandeln, offenbart sich im Falle der Aznar-Regierung, die wider besseren Wissens, den Anschlag zu Madrid der ETA in die Schuhe schob, um sich selbst an der Macht zu halten. Ein äußerer Feind, möglichst mächtig, nährt den Burgfrieden...
 
AW: Ungenauigkeiten der Mediensprache

Hallo und willkommen, Roberto,

Du verstehst wirklich viel vom Schreiben, Hut ab! Auch Dein "Liebeszauber" hat es wirklich in sich, ein Text der wirklich nahe geht (Obgleich ich angesichts der Reaktion von charis den Eindruck habe, es gehört sich nicht, dort als Dritter reinzuplatzen...).

Einige der Aspekte, die Du jedenfalls hier ansprichst, sind vor rund einem halben Jahr schon im "Diff. Terrorismus" oder auch "Pazifismus"-thread erörtert worden, zur Lektüre empfohlen. Möglicherweise auch, weil einige der Protagonisten des threads nicht mehr dabei sind, wurde die kontroverse Debatte nicht weitergeführt. Es sind auch viele Argumente auf beiden Seiten ausgetauscht worden.

Ich für meinen Teil sehe es so, daß gerade die konstruierte Lagerbildung dazu beiträgt, einen Krieg darzustellen, obgleich wir es de facto beim Terrorismus mit Kriminalität zu tun haben, wenngleich mit anderer Motivation. Daraus folgt aber nachgerade, daß es einen "Sieger" (solche gibt es gegen Kriminalität nicht) in diesem "Krieg" niemals geben wird, wohl aber einige "Kriegsgewinnler", Profiteure der Angst. "Verlierer" ist zwangsläufig die Freiheit...

Gruß
Zwetsche

PS: Eine der schönsten Stilblüten habe ich mal in einem kirchlichen Gemeindebrief über das Thema "Friedhofsordnung" gelesen. Dort hieß es, "die Benutzer werden gebeten sich um die Grabpflege zu kümmern," andernfalls drohe "Einebnung". Die armen Toten, kann ich nur sagen.

Schön war auch die jahrzenhtelange Bezeichnung "Haus- und Grundbesitzerverein", bekanntlich der Verein der Hauseigentümer bzw. Vermieter. Hausbesitzer ist idR. niemand anders als der Mieter. Er übt im Gegensatz zum Eigentümer nicht die rechtliche, sondern tatsächliche Sachgewalt (=Besitz) aus. So mutierte der Verein sprachlich zum Mieterverein. Inzwischen heißt es "Haus- und Grundeigentümerverein", hat aber gedauert, die Richtigstellung, schon etwas peinlich für einen Club, der auch Rechtsberatung betreibt (gemerkt hat es von den Mitgliedern wohl eh kaum jemand).
 
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AW: Ungenauigkeiten der Mediensprache

Hallo Roberto. Die Beispiele für Euphemisus in Wirtschaftssprache sind in der Tat gut, was aber meinst du mit:



Es ist also durchaus kein Zufall, wenn Medien gezielt mit Verkürzungen, Weglassen ganzer Wortteile, Schönfärbungen etc. Politik betreiben.
Glaubst du an eine gezielte Steuerung? Modernere Medientheorien gehen eher von einer Eigendynamik des Systems aus, und: Im Gegensatz zu Hitlerdeutschland (oder SED-Deutschland) sind ja Gegenstimmen nicht nur zulässig, sondern auch bei weitem nicht exotisch.

Als ich zum ersten Mal Klemperer las, erkannte ich sofort die Parallelen zur Gegenwart. Es erinnert in fataler Weise an die LTI, wenn man heute davon spricht, die Lohnnebenkosten senken zu müssen, um Arbeitsplätze zu schaffen, aber eigentlich Lohnkürzungen damit meint.

Dieses Beispiel finde ich irreführend. Glaubst du, man muss nicht zwischen Löhnen und Lohnnebenkosten differenzieren? Muss man wohl! Es sind Löhne denkbar, die Brutto weniger werden, aber netto nicht. Immer schon wissen zu glauben, wie etwas gemeint ist, heißt den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, also z.B. Ungenauigkeit mit Unsachlichkeit bekämpfen zu wollen...
 
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