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Sinnlichtgeschichten

Wortjan Sinner

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6. Mai 2018
Beiträge
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Die Säuglingstaufe

(001 - 2015)

Es war so weit. Der kleine Knabe von 3 Monaten lag gewickelt und vermummt in seinem Körbchen bereit, die heilige Seelentaufe des Dorfes über sich ergehen zu lassen. Seine Mutter war auch dagegen, doch ihr Gatte, der durch ein querschlägiges Ereignis einem katholischen Taufpriester sein Weitersterben verdankte, ließ sich nicht umstimmen. Er war seit diesem Tage in Kehrtwendung umkonvertiert und seine Frau musste es hinnehmen oder sich trennen.

Als nun jedoch der Tag sich neigte, die Kirche sich füllte, die Familie vor dem tröpfelnden Throne, gemein Altar, stand und in Erwartung die Worte des Priesters in Vernehmung harrte, räusperte sich der Knabe in glucksendem Summen. Der Priester lächelte, der Knabe lächelte, jedoch unabhängig aus unterschiedlichen Motiven.

Als der Priester nun den Knaben anhob, ihn halb entwickelte, ihm das geweihte Handtuch unterlegte, mit der Hand ins Beckengriff, da.....

..... bekam die Säuglingstaufe in jenem Dorfe zum ersten Male die echte Bedeutung dieses Begriffes geschenkt. Denn, der Knabe pieselte hochwärts, noch bevor der Priester seine Hand tröpfelnd über das Haupt des Knaben senken lassen konnte.

Der Knabe hatte den Priester [Im Namen des ........] rechtzeitig zuerst getauft, bevor dieser es bei ihm vollziehen konnte.

Da der Knabe ja geweiht war, war auch dieser Fluss des jungen Nasses "Heiliges Weihwasser".
 
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Das bedeutende Gebrechen

(002 - 2016)

Wiedermal war es so weit. Das "Komplizierte" wurde dem "Einfachen" gegenübergestellt. Dem Einfachen passte das nicht, denn es wusste, dass das "Vielfache" sein Gegenüber war. Weiter wusste es, dass es genügend andere "Einfache" gab, die sehr wohl kompliziert sein konnten. Drum ging das Einfache zum Gericht und beantragte eine Untersuchung.

- Gericht: "In der Tat, ich muss deinem Gesuch stattgeben. Ich habe die Geschichte ersucht und sie um Auskunft gebeten. Sie wird zur Anhörung erscheinen und aussagen."

- Einfache: "Da bedank ich mich schon mal. Wäre doch gelacht, wenn wir dem üblen Unrecht nicht auf die Spur kämen."

Einige Wochen vergingen und das Gericht begann, zu tagen. Es war ein hin und her der Anwälte, bis die Geschichte einen vergessenen Zeugen aufrufen konnte. Und dieser bislang unbekannte Zeuge sagte aus:

- Zeuge: "Ich bin das "Simplizierte", und ich bin gerne gekommen, dieses Unrecht zurecht zu biegen behilflich zu sein, damit der Wahrhaftigkeit zum Rechte verholfen werde. Früher, wenn die Leute von mir sprachen, nannten sie mich "simpel", das Simplizierte sei simpel, so wie das Komplizierte kompel sei. Seltsamer Weise wurde die Eigenschaft meines Gegenübers, des Komplizierten genauso vergessen, wie meine ganze Wesenheit, und das obwohl der Grimmelshausen doch den Roman schrieb vom abentheuerlichen Simplicissimus Teutsch. Die einfältigen Simplizierten sind simpel gegenüber den vielfältigen Komplizierten, welche kompel sind. Freilich kann ein Einfacher sowohl simpel als auch kompel sein, genauso wie Vielfache simpel oder kompel sein können."

- Gericht: "Willst du damit aussagen, dass, wer nicht kompliziert ist, demnach "simpliziert" ist?"

- Zeuge: "Sehr wohl, hohes Gericht. Das sage ich aus. Das Komplizierte ist mein direkter Gegenüber, mein "Antonym". Es gibt jedoch Einfältige, die sich gern heuchlerisch in besseres Licht stellen wollen als Komplizierte und sich zu Unrecht "Einfache" nennen, und somit nicht nur Unrecht an mir begehen sondern auch an anderen Einfachen.

Die ehrlichen Einfältigen sind Simplizierte und die ehrlichen Vielfältigen sind Komplizierte."
 
Des Einhorns Rätsel

(003 - 2017)

Rosalinde: Du Gernfried, sag mal, hast du die Geschichte vom Einhorn gelesen, das gestern in der Zeitung stand?

Gernfried: Ja, hab ich.

Rosalinde: Und, was meinste dazu?

Gernfried: Ich glaube nicht, dass du das wissen willst, da ich annehme, du stimmst dem zu, was die Lösung sein soll.

Rosalinde: Mag schon sein, doch trotzdem möcht ich gern wissen, wie du dazu stehst.

Gernfried: Und wenn ich es dir sage, bist du wieder drei Wochen deprimiert, zerdepperrst die halbe Küche, weinst dich beim Kaffeekranz aus, und es dauert n halbes Jahr, bis du dich wieder gefangen hast.

Rosalinde: Ach komm, so schlimm wirds schon nicht sein, ist doch nur ein Rätsel.

Gernfried: Es ist mehr als ein Rätsel, es ist n Weltuntergang für viele.

Rosalinde: Nu sei nicht so, geb dirn Ruck, ich versprech auch, nicht auszuflippen.

Gernfried: Na schön, auf deine Verantwortung:

Wer sich aufopfert,
fühlt sich verpflichtet
und ist selbstlos

Wer sich hingibt,
fühlt sich geliebt
und ist selbst

Rosalinde: Ach hättstes doch bloß nicht gesagt, das kann doch nicht dein Ernst sein, Gernfried, wie machst du das nur?

Gernfried: Ich hab dich gewarnt, doch du wolltest ja nicht hören, nu musste halt wieder fühlen.
 
Der Klapperstorch

(004 - 2017)

Immer wenn die Rede um den Klapperstorch ihre Runde kreist, gibt es die einen, die kichern, die nächsten, die spotten, und die anderen, die sich zeigen, ob sie es ernst meinen würden, als ob sie die Offenbarung scheuten.

Richard: "Mama, Mammaaaaa.."
Elfriede: "Was schreist du denn so, Richard?"
Richard: "Da, schau mal, die bringen was über den Klapperstorch."
Elfriede: "Ach, so ein Unsinn. Musst du dich mit diesen Ammenmärchen abgeben?"
Richard: "Mama, ich glaube, das sind keine Ammenmärchen sondern Ammengeschichten."

Die Mutter hatte ihre liebe Not mit ihrem Sohn Richard, er war unbelehrbar und suchte, sich die Antworten selbst zu geben, bis sie am Ende für ihn stimmig waren.

Elfriede: "Ok, du Dreinasehoch. Dann sag mir doch mal, was tut der Klapperstorch? Glaubst du wirklich, dass er die Kinder zur Welt bringt?"
Richard: "Nöö, das sind verlogene Erwachsenenmärchen."
Elfriede: "Wie? Ja, was tut er dann, wenn er keine Kinder bringt?"
Richard: "Er bewacht die ausgesetzten Findelkinder, wenn er sie entdeckt. Er wird von Gott geschickt, damit ihnen nichts passiert und sie in gute und liebende Hände kommen. Und da klappert er dann immer, wenn er nach guten Menschen Ausschau hält. Deswegen klappert er auch nicht ständig. Nur bei Menschen, die Kinder liebhaben und welche haben wollen, dann klappert er."

Der Mutter traten die Ohren hervor. Sowas hatte sie noch nie gehört, doch langsam legte sie ihr Arbeitszeug beiseite, setzte sich auf einen Sessel, und hörte mit weit geöffneten Augen, ihrem siebenjährigen Knaben zu.

Elfriede: "Nun mal langsam. Wie kommst du darauf?"

Richard: "Heute Nacht habe ich geträumt. Und da habe ich einen Ritter gesehen, der Angst um sein Baby hatte. Er liebt das kleine Bündel sehr viel, das konnte ich sehen. Doch sprach er immer davon, dass er das Kind nicht behalten könnte. Sie würden es ihm sonst wegnehmen und....und....umbringen. Er ritt aus dem Hof, das Baby warm und geschützt umwickelt, hielt er im Arm. Er sprach beruhigende Worte und sang. Als er an dem Ort angekommen war, wo er hinwollte, fing er an zu weinen. Dann stieg er vom Pferd, betete zum Himmel und hörte gar nicht mehr auf zu weinen, so lange er dort war. Gott möge seinen Sohn beschützen und in gute Hände geben. Er hat das Kind in einen Korb gelegt und nahe bei einer Quelle abgelgt, auf einem freien Feld. Dann stieg er auf, rappelte sich zusammen, wischte die Tränen weg und galoppierte schnell fort."

Elfriede: "Und der Klapperstorch, was war mit dem?"

Richard: "Der kam dann angeflogen, sah das Baby und umkreiste es. Als er wen kommen sah, klapperte er nicht, sondern flog herab und stolzierte um den Korb herum. Nach einer Weile flog er wieder auf. Beim dritten Flug, fing er plötzlich an zu klappern. Er klappert so oft und stark, dass der ältere Mann, der des Wegs kam, auf ihn aufmerksam wurde. Und als der Mann das Baby erblickte, ging er hin, las, was auf dem Stoff stand und weinte. Er nahm das Kind an sich, ging heim, und seine Frau weinte auch: Der Klapperstorch hat uns ein Kind geschenkt."

Elfriede: "Richard, das ist die sinnvollste Geschichte über den Klapperstorch, die ich je gehört habe, doch wie kann man sowas nur träumen?"

Richard: "Ich wollte wissen, warum alle immer vom Klapperstorch reden und doch gar nicht dran glauben. Ich hab gebetet, Gott möge mir eine Antwort geben. Und das ist sie.

Elfriede: "Junge, ich hoffe nur, dass du eines Tages kein Außenseiter in der Schule wirst. So, und jetzt mach deine Hausaufgaben."

Richard: "Ja, Mami. Mach ich."

Er drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und verschwand. Die Mutter jedoch saß noch ne ganze Weile versonnen im Sessel und dachte über den Klapperstorch nach.
 
Die Abtreibung

(005 - 2018)

Der siebzehnjährige Knabe stand ziemlich lange vor einem Bild, welches er zuvor noch nie gesehen hatte. Starr, im Schock wie verharrt und in Stein gemeißelt, betrachteten seine Augen einen Mann. Plötzlich wie von der Tarantel gestochen riss er sich los und stürmte davon.

Die Überwachungskameras zeigten diese letzten Momente seines Lebens. Die Polizei nahm eine Kopie des Bildes und brachte es der Mutter. Die Befragung war alles andere als üblich. Der Knabe war als Praktikant in der forensischen Abteilung gewesen und hatte sich selbst durch die Datenbank gejagt. Alles eiserne Schweigen der Mutter hatte nicht ausgereicht. Es war eine andere Zeit, eine Zeit, in der Geborgenheit keine Existenz mehr besaß.

Der Mann auf dem Bild war sein leiblicher Vater. Ohne jeden Zweifel. Seine Mutter hatte ihn belogen. Gewiss, aus mütterlicher Fürsorge, doch die Technologie machte dem Sinn einen Strich durch die Rechnung. Es gab zwei Gründe für die Lüge, zum einen, wer der leibliche Vater war, was sie selbst zum Beginn der Schwangerschaft noch nicht wusste, sie erfuhr es erst als sie im fünften Monat war, und zum anderen das Gesetz, welches ihr nicht gestattete, damals abzutreiben.

Die Mutter hatte alles getan, um ihren Sohn zu schützen. Es war trotzdem zu wenig. Nun saß die Mutter starr und blickte nach innen. Ein Schock, der sich nicht löste. Noch vor der Beerdigung ihres Sohnes wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Als die Mutter mit 87 Jahren verstarb, hatte sie sich fünfzig Jahre in der Psychiatrie befunden. Es hatte nie ein Anzeichen für Genesung gegeben.

Der Abgeordnete schloss die Akte und legte sie bedächtig an seinen Platz zurück. Er glaubte nicht daran, dass irgendwer seiner Kollegen diesen Fall je gelesen hatte, doch er selbst wusste nun, was er wollte. Er würde sich für das Grundrecht zur Abtreibung einsetzen. Es gab schon zu viele ungewollte Kinder auf der Welt. Und wer mit ganzem Herzen Kinder will, würde nie von diesem Grundrecht Gebrauch machen.
 
Die traurigen Ölsardinen

(006 - 2020)

In einer Welt des Wahnsinns hat der Unsinn Struktur. So auch an diesem Morgen. Berthold hatte unüblicher Weise frei, wie so viele in dieser Zeit und ging zum Einkaufen. Als er wieder daheim war, hatte seine Gattin den Tisch schon gedeckt und Kaffee gekocht. Berthold schnupperte genüsslich, warf die Zeitung auf den Sessel und sortierte den Einkauf in die Schränke. Doch so gewohnt fröhlich wie gestern schien er nicht zu sein. Seine Gattin sah es ihm an. Denn Berthold war einer, der seine Ehrlichkeit nicht gut zu verstecken wusste. Als er sich auf den Stuhl setzte und auf die Kanne Kaffee wartete, hatte er nicht bemerkt, dass Gerda ihm schon eingeschenkt hatte.

Gerda: "Nu sach ma Berthold, was ist mit dir?"

Berthold: "Ach Gerda, ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht."

Gerda: "Wie, du weißt nicht? Du pfeifst dein Liedchen, grinst Löcher in die Luft, klapperst mit den Fingernägeln als wäre heiter Sonnenschein, doch deine Augen funkeln Blitze wie Vater Zeus."

Berthold rang mit sich. Er wusste, er würde sich in Rage reden, wenn er keine besonnenen Worte fand und dann war der ganze Morgen verdorben. Es gab ja so viele Schlaumeier, besonders im Internet, die immer alles besser wussten als das, wie es im Alltag wirklich aussah, zu begreifen. Wie konnte er nun seiner Gerda davon erzählen ohne in Wut zu geraten? An die Decke starrend vergingen gut zwanzig Minuten. Dann räusperte er sich.

Berthold: "Komm Gerda, setz dich. Ok, ich werds dir sagen."

Gerda: " Isset so schlimm?"

Berthold: " Vor einigen Tagen hab ich noch selbstständige Kinder gesehen, die gut damit umzugehen schienen. Jedenfalls, wenn sie unter sich waren. Ich meine Kinder mit Kindern. Doch als ich eben auf dem Weg zum Einkauf war, so auf halber Strecke bei der Ampel an der Kreuzung, da, da kroch eine solche Wut in mir hoch, so dass ich am liebsten eingeschritten wäre und meine Meinung gesagt. Doch da wir das ja nicht mehr dürfen, hab ich bloß die Fäuste in der Tasche geballt, die Nase gegrummelt und bin fluchend dran vorbei marschiert. Es war einfach zu grausam und traurig zugleich."

Gerda: " Ja, un was hast du denn nun gesehn?"

Berthold: " Oh, Gerda. Da waren zwei Trupps Kinder, auf dem Rücken neongelb verkehrsuniformiert, die Schnauzen zugeklebt mit diesen Platzmangelmasken und wurden von den Verkehrsmuttis wie beim Militär in Reih und Glied verortet. Kennst du die Legionen bei Asterix und Obelix? Genauso. Diese dämlichen Masken auf der Schnauze, doch extremst zusammengepfercht wie die Ölsardinen in einer Büchse. Da ging mir die Hutschnur hoch. Überall heißt es Abstand, Gerda, verstehst du? Abstand. Und das mindestens 2 Meter. Du ich hätte diesen Muttis sehr gerne die Bratpfanne von Bud Spencer aufs Hirn gejubelt, das kannst du mir glauben. Die sahen so elend traurig aus."

Gerda: "Boah, das is ja der Hammer. Kann man da denn nix gegen tun?"

Berthold: "Na, was denn? Also, entweder man ist ganz dagegen und tuts nicht oder man ist dafür und tuts richtig. Doch man kommt da doch nicht einfach daher und sucht sich eins raus und lässt das andere weg. Oder, entweder haben diese Muttis null Hirn in der Binse oder es steckt doch was anderes dahinter. Ja, die können doch nicht alle so hirnbelämmert sein. Da ist doch was im Busch.

Gerda: " Na komm, Berthold, beruhige dich erst mal, lass sacken, mach deinen Mittagsschlaf, nach dem du das Beet gerichtet hast. Und vielleicht fällt dir dann doch etwas ein, was man machen könnte."

Berthold: "Maske auf der Schnauze und keinen Millimeter Abstand. Sind die echt so blöd oder hat der Nichtabstand indoktriniert was zu bedeuten?"

Berthold stand langsam auf, trank seinen Kaffee aus, vergaß die Zeitung und ging in den Garten. Gerda saß noch am Tisch und grübelte über die Erzählung nach. Sie hatte leichte schimmernde Tränen in den Augen.
 
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