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Siegfrie Lenz

Joachim Stiller

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9. Januar 2014
Beiträge
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Ich habe mal eine Rezi zum Geist der Mirabelle von Siegfried Lenz geschrieben... Ist gar nicht schlecht... Einfach mal lesen:

Der Geist der Mirabelle – Geschichten aus Bollerup“ von Siegfried Lenz

„Der Geist der Mirabelle“ ist eine Sammlung von 12 Geschichten aus dem ländlichen Dorf Bollerup, das irgendwo an der Ostseeküste liegt. In diesem verträumten Dorf heißen nur wenige anders als Feddersen. Sie sind nur unterscheiden durch Kosenamen, wie der Leuchtturm, der Dorsch oder die Schildkröte. Zu den kuriosen Eigenheiten der Bewohner gehören auch die bisweilen krummwüchsigen Gedanken, die durch den Mirabellenschnaps hervorgerufen werden. Dich Geschichten erinnern durchaus an die Geschichten aus „So zärtlich war Suleyken“, nur dass unsere Geschichten nicht in Masuren spielen.

Vielleicht eine kleine Kostprobe: Frietjoff Feddersen ist die Sparsamkeit und Ordnung in Person, außer wenn er von dem selbstgemachten Mirabellenschnaps getrunken hat. Eines Tages wird in einem Hinterzimmer ein zünftiger Skat gespielt. Frietjoff hat natürlich seinen Mirabellenschnaps dabei. Je später der Abend, man hat sich schon ordentlich eingeheizt, um so härter wird natürlich das Ausspiel. „Rumms“, da liegt die nächste Karte auf dem Tisch, doch plötzlich sackt der Tisch weg: Beinbruch! Und nun kommt die rettende Idee von Frietjoff Feddersen. Sie lassen einfach den Doktor Dibbersen kommen, denn der hat schließlich studiert. Dibbersen begutachtet also mitten in der Nacht den Patienten, bittet um eine Schale mit Wasser und ein Handtuch und setzt den Tisch wieder zusammen. Danach allerdings präsentiert er Frietjoff die Rechnung: 112,- DM. Am nächsten Morgen sieht man Frietjoff Feddersen den alten Mirabellenbaum in seinem Garten umhacken und zu Kleinholz verarbeiten.

Natürlich führt an der eigenen Lektüre kein Weg vorbei. Es seien dem Leser einige sehr kurzweilige Stunden versprochen. Siegfried Lenz hat einen ausgesprochen intelligenten und vor allem feinen Humor der aus vielen seiner Werke spricht (Ludmilla, Klangprobe). Seine Sprache ist exzellent, und äußerst einfühlsam. Jedes Bild ist in seinen Werken stimmig, auch die Bilder untereinander. Alle Details fügen sich nahtlos zu immer neuen Landschaften zusammen (so z.B. in „Es waren Habicht in der Luft“, seinem ersten Werk). Lenz entpuppt sich immer wieder als Sprachkünstler von ganz großer Qualität.

In „Der Geist der Mirabelle“ und auch in „Suleyken“ schießt Lenz nun einmal exemplarisch ein ganzes humoristisches Feuerwerk ab. Der Leser wird sich das Lachen nicht verkneifen können. Das Buch ist wirklich ein wahres Kleinod der deutschen Literatur.

Lenz gehört ohne Zweifel zu den ganz großen Schriftstellern und Erzählern in diesem Land. Leider ist die Literaturkritik nicht immer so gut mit ihm umgegangen.
 
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Dem Ex-Heimatminster auf den Schreibtisch gelegt:

Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz

Der Roman „Heimatmuseum“ spielt in Siegfried Lenz’ Leben (geb. 1926) neben „Deutschstunde“ eine zentrale Rolle. Beide Romane setzen sich mit der deutschen Vergangenheit auseinander.

Der Masurer Zygmunt Rogalla steckt eines Tages das von ihm selber aufgebaute Heimatmuseum in Brand. Dabei erleidet er selber schwere Verbrennungen. Im Krankenhaus erzählt er nun dem Freund seiner Tochter, Martin Witt, an 15 Tagen seine Lebensgeschichte in einem einzigartigen autobiographischen Bericht. Die Erzählung wälzt sich durch die Geschichte, wie eine Alte Dampflock durch die amerikanische Prärie oder die russische Taiga. „Heimat kann auch da sein, wo du noch nie gewesen bist.“ Minutiös werden hier Geschichten aus der masurischen Heimat vorgetragen. Der Roman hat fast epische Ausmaße, was angesichts der schweren Verletzungen Zygmunts eher unwahrscheinlich ist. Doch dies ist schließlich nur die von Lenz gewählte Erzählform. Vielleicht wollte Lenz die Geschichte einfach nur sich selber erzählen, denn sicher trägt sie auch autobiographische Züge.

Zygmunt Rogalla ist etwa 1905 als Sohn eines skurrilen Dorfalchemisten und Arztes in Masuren geboren. Sein Großvater Alfons Rogalla ist der Pächter einer Dorfdomäne, die er mit patriarchalischer Hand regiert. Sein Großonkel Adam gründet das Heimatmuseum in Masuren und weckt in Zygmunt das Interesse für die Heimat und die Archäologie. Bestimmende Figur ist auch Sonja Turk, die Teppichweberin, bei der Zygmunt in die Lehre geht, eine Metapher für das Gewebe der wiedererzählten Geschichte. Sein Freund ist Conny Karrasch, dessen Schwester Edith Zygmunt zu seiner ersten Frau nimmt. Nach dem ersten Weltkrieg und er prodeutschen Volksabstimmung von 1920 sieht sich Zygmunt einer wachsenden nationalistischen Politisierung ausgesetzt, der er entschieden entgegentritt. Das Heimatmuseum soll für propagandistische Zwecke missbraucht werden, worauf Zygmunt das Museum kurze Hand schließt. Nach dem 2. Weltkrieg flieht die Familie in den Westen. Seine Frau und sein Sohn kommen bei den dramatischen Ereignissen ums Leben. Das Heimatmuseum wird nun von Zygmunt, der wieder geheiratet hat, neu aufgebaut, Zygmunt sieht sich aber bald der drohenden Ideologisierung und Unterwanderung reaktionärer Vertriebenenverbände ausgesetzt. Sein Freund Conny Karrasch tut sich dabei besonders hervor. Zygmunt beschließt, das Museum abzubrennen. Dieses Bild ist sozusagen das positive Gegenstück zur Bücherverbrennung von 1933.

Kritiker haben Lenz vorgeworfen, er habe keinen Beitrag zur „Analyse“ geliefert. Aber vielleicht lag das auch gar nicht in der Absicht von Siegfried Lenz. Der Roman ist viel intimer zu nehmen und es geht Lenz eigentlich nur um den Begriff der Heimat, der am Ende neu gefasst wird, nicht aber um trockene und abstrakte Analyse. Dabei bezieht Lenz aber immer und klar Stellung gegen rechts und derlei Ideologisierungen. Lenz begegnet dem gerade nicht mit einer Gegenideologie. Die ihm unterstellten sprachlichen Mängel kann ich auch nicht nachvollziehen. Die scheinbar problematischen Begriffe, wie Braunauer für Hitler, Ostlandreiter oder Reichsjägermeister für Göbbels werden ja nicht von Lenz selber verwendet, er lässt sie seine Protagonisten sage, sie sind also Teil ihres Charakters, hätte Marcel Reich-Ranicki etwa sagen können. Da ist Siegfried Lenz meines Erachtens überhaupt keinen Vorwurf zu machen. Sowohl sprachlich, als auch inhaltlich, ist „Heimatmuseum“ ein Roman wie aus einem Guss, unerhört intelligenten und bilderreich, es fließen sogar immer wieder Ausdrücke aus der masurischen Heimat ein, was dem Roman eine ganz besondere Stimmung gibt. Oder wissen Sie, wie man genau Schwarz-Sauer aus frisch geschlachtetem Gekröse macht? Wahrscheinlich nicht.

Insgesamt ist der Roman Heimatmuseum ein imposantes und großartiges Werk, das sicher zur deutsch-polnischen Aussöhnung ein bischen beigetragen hat.
 

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