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Schönheit vergeht- Eine nachdenkliche Tauchgeschichte

Media Consult

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5. März 2005
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Korallenpolypen sind kleine Tiere, oft nicht größer als der Fingernagel eines Säuglings. Mit den Tentakeln filtern sie Plankton und organische Bestandteile aus dem Meerwasser. Sie scheiden Kalziumkaronat aus und bauen eine Unterlage auf, die hart ist wie Beton. Stirbt ein Koallenpolyp, wächst auf seinem Skelett die nächste Generation nach. So errichten Billionen von Polypen seit unzähligen Generationen Strukturen, deren Größe die Bauwerke aller anderen Lebewesen auf unserem Planeten übertrifft, die des Menschen eingeschlossen.
Die Städte der Polypen, die Riffe, wachsen in den warmen, flachen Meeren beiderseits des Äquators. Doch die Korallen sind unregelmäßig verteilt. In der Karibik leben etwa 67 Arten, im Pazifischen und Indischen Ozean rund um Malaysia, Indonesien, die Philippinen, Papau- Neuguinea und Australien sind es rund 450. Diese Region ist das entwicklungsgeschichtliche Epizentrum für die Korallen der Erde. Je weiter man sich von diesem Zentrum entfernt, desto geringer wird die Anzahl der Arten.
Diese Region- ein maritimer Garten Eden- liegt in einer Zone heftiger geologischer Aktivität: Vulkanketten und emporstrebende Inseln erheben sich über Tiefseegräben und –becken. Während der vergangenen Eiszeit ist der Wasserspiegel gesunken und es sind kleine, abgetrennte Meere entstanden. Dort ist die Evolution jeweils eigene Wege gegangen und hat so eine gewaltige Artenvielfalt hervorgebracht.
Schon seit vielen Jahren bin ich in dieser Region getaucht, doch nur einmal war ich vor der Insel Sipadan, an der Nordküste Borneos, einem Korallenparadies.
Ich trieb an der Riffkante entlang und suchte nach einem Schwarm Büffelkopf-Papageifischen; es sind scheue Geschöpfe, die sich dort aber einigermaßen an Taucher gewöhnt haben.
Lange bevor ich sie sah, konnte ich sie hören. Es klingt fast wie auf einem Polterabend, wie das Klirren und Splittern von Geschirr. Die großen Fische grasen am Riff wie Büffel auf der Weide. Sie beißen die Korallen ab und zermalmen sie! Die Fische ernähren sich von den drin enthaltenen Algen.
Die Papageifische sind fast 90 Kilo schwer und etwa einen Meter lang, sie haben einen vorgewölbten Kopf und eine zerklüftete Stirn, winzige Augen und ein vorspringendes, schnabelähnliches Gebiss. Während sie die Korallen knacken, stoßen sie weiße Wölkchen aus- pulverisierten Korallensand, der aussieht wie Dampf.
Ich konnte beobachten, wie ein Männchen sich aus dem Schwarm löst und von einem Korallenblock eine pizzagroße Scheibe abbeißt. Die Fische fressen am Riff, aber sie zerstören es nicht; sie sind Teil des natürlichen Kreislaufes.
Kauend zogen sie an mir vorbei und hinterlassen eine Spur aus feinem Korallensand.
In bin wieder allein gewesen mit dem Meer und ließ mich durch die Stille treiben. Plötzlich hörte ich ein Klick!, gefolgt von einem gewaltigen Bumms! Und dann trifft mich die Druckwelle. Sie presst meine inneren Organe zusammen, wandert von den Zehen bis zum Kopf und wieder zurück.
Fischerei mit Sprengstoff. Das Klicken ist der Zünder und der Knall stammt von einer tödlichen Mischung aus Dünger und Dieselöl- eine Mixtur, die auch Terroristen verwenden. Da es auf Sipadan mehrere Tauchbasen gibt, halten sich die Fischer normalerweise in den Gewässern der benachbarten Inseln auf; von dort kam auch die Explosion. Die Sprengstoffischerei ist zwar im gesamten südwestlichen Pazifik verboten, aber auf den unzähligen Inseln und in der Weite des Ozeans sind die Bestimmungen kaum durchzusetzen. Korallenriffe sind Oasen des Lebens im warmen, nährstoffarmen Wasser: Artenreich, aber sehr begrenzt in der Zahl der Individuen. Die Fischer jedoch wollen ihren Fang schon längst nicht mehr selber konsumieren oder nur lokalen Handel damit treiben, es geht um viel größere Mengen. Und neben Sprengstoff wird an den Korallenriffen auch Zyanid eingesetzt. Es soll die Fische betäuben, damit man sie für die Aquarien-Industrie einsammeln kann.
Auf dem Markt der Kleinstadt Kalabahi, im Südosten Indonesiens, sind die Verkaufstände voller Fische: Kostbare Arten liegen dort zum Verkauf, wie der Napoleonfisch und der Zackenbart, bestimmt für die Grosstädte Südostasiens.
Selbst in den entlegensten Riffen dieser Korallenwelt gehen die Bestände der Grossfische und der wichtigsten Raubfischarten rapide zurück. Wenn sie verschwunden sind, werden wahrscheinlich auch die wichtigsten Arten dieses sensiblen Ökosystems fehlen. Und erst allmählich wird es den Menschen klar, welch unermessliche Schätze die Korallenriffe bergen. Seit gerade mal 5o Jahren werden sie wissenschaftlich erforscht; zuvor gab es kein geeignetes Tauchgerät. Die Menschen haben mit der Zerstörung begonnen, ohne dass sie eine Ahnung von den Folgen hatten.

Als die Korallen im polynesischen Tuamotu-Atoll ihre Farbe verloren, hielten die Wissenschaftler das noch für eine lokale Erscheinung. Doch schon bald häuften sich die alarmierenden Zeichen- das Bar-Riff vor Sri Lanka verblich, auf dem Chagos-Archipel im Indischen Ozean starben Dutzende von Korallenarten aus. Im Laufe des Jahres 1998 wurde die ganze Dimension der Katastrophe offenbar: Die Riffe der Malediven waren zu 70% geschädigt, die der Seychellen zu 75%, die vor Kenia gar zu 8o%. Indonesien, Karibik, Australien- wie ein Pestzug wütete die Bleiche in den tropischen Korallengärten rund um die Welt. In 32 Ländern zeigten sich die einst farbenfrohen Riffe plötzlich leichenblass.
Die Korallenbleiche, das so genannte coral bleaching, ist an sich kein neues Phänomen. An einigen Riffen kann es sogar saisonal auftreten, und meist erholen sich die Korallen in solchen Gegenden wieder.
Der dramatische Verlauf der gegenwärtigen Bleiche aber ist erschreckend. Ein coral bleaching von diesem Ausmaß und dieser Intensität hat die Unterwasserwelt noch nie erlebt.
Viele Korallen wirken auf den ersten Blick solide wie ein Felsblock, doch in Wahrheit sind sie ein sensibles Gebilde: Die Korallenpolypen nehmen einzellige Algen als Untermieter auf, die durch die Photosynthese Zucker herstellen- für die Polypen eine willkommene Nahrungsergänzung. Sie sind es auch, die den Korallen ihre Farbenpracht verleihen.
Doch die Wohngemeinschaft reagiert empfindlich auf schwankende Temperaturen. Schon wenn sich das Meer um einen Grad erwärmt, kann es zu Schockreaktionen kommen. Statt Zucker produzieren die Algen dann aggressive Moleküle. Die Polypen stoßen ihren Partner ab, die Symbiose zerbricht und die Korallen verlieren ihre Farbe. Im Indischen Ozean wurde 1998 ein Temperaturanstieg von bis zu fünf Grad gemessen. An der Oberfläche war das Wasser stellenweise bis zu 37 Grad warm.
Doch wahrscheinlich ist El Nino nur der Vollstrecker, der den ohnehin geschwächten Korallen den Todesstoss versetzt. Denn der Stress, dem die Meeresorganismen ausgesetzt sind, wächst. Der steigende Kohlenstoffdioxid-Gehalt der Atmosphäre wirkt sich auch auf den ph-Wert der Ozeane aus und behindert die Kalkbildung der Korallen. Immer häufiger werden sie von Bakterien, Viren und Pilzen befallen, die rätselhafte Krankheiten auslösen. Auch das hängt mit der steigenden Wassertemperatur zusammen und zeigt, wie angegriffen die Korallen schon sind.
Kleine Fischerorte wuchsen zu Metropolen, für Hafen und Ferienanlagen werden ganze Küstenabschnitte aufgewühlt. Immer mehr Umweltgifte gelangen in die Ozeane, die Überdüngung nimmt zu. Wälder werden abgeholzt, mit den Flüssen ergießen sich Schlammfluten ins Meer und trüben die Lagunen. Noch immer werden Korallen als billiges Baumaterial abgebrochen, betreiben Anwohner in dem empfindlichen Ökosystem Fischfang mit Gift und Dynamit. Der Tauchtourismus ist zu einer Massenbewegung mit mancherorts verheerenden Folgen geworden: Riffe werden mit Schiffsankern bombardiert und von achtlosen Sporttauchern beschädigt.
Ein Zentrum des Tauchtourismus ist das Rote Meer. Hier hatte auch ich meine Tauchausbildung, meinen Padi-Schein und später meinen Dive-Master und meine Instructor-Lizenz gemacht. Zu einer Zeit, als es dort nur die ersten Pioniere des Tauchens gab- unberührte Unterwasserwelt und beispielsweise eben mal zwei Tauchschulen in Hurghada. Heute sind es über hundert- weit über hundert.
Und die Riffe haben sehr viel von ihrer gewaltigen Schönheit eingebüsst. Man versucht nun die Wiederbesiedlung zerstörter Riffe, allerdings nur im bescheidenen Rahmen. Angesichts der weltweiten Schäden ist es weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Doch wenn die Fieberkurve der Erde weiter steigt, bleibt die Landschaftspflege unter Wasser Sisyphusarbeit. Dann geht es womöglich auch bald nicht mehr nur um die Schönheit der Natur, sondern um das Überleben ganzer Nationen. Der frische Bewuchs an den Atollen der Malediven erfreut zwar das Auge, doch die junge Pracht ist trügerisch. Nachgewachsen sind vor allem Weichkorallen- Arten, die keine Riffe bilden. Die aber sind für die Inseln und viele Küstenregionen überlebenswichtig. Wenn der Meeresspiegel durch die weltweite Erwärmung weiter ansteigt, wenn schwere Stürme sich mehren, bilden Riffe ein natürliches Bollwerk gegen die aufgebrachten Elemente.
Wir zerstören unsere Welt – und die meisten Menschen merken es nicht einmal. Sehr schlimm....
 
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