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Reise zu mir

F

flying dreams

Guest
Ich habe mir vorgenommen, das Ende des Himmels zu erreichen.

Immer hat mich seine Ferne gelockt, jetzt will ich dorthin. Ich will nicht mehr nur davon träumen.
Also habe ich meine Tasche gepackt mit dem, was mir auf der Reise am wichtigsten ist, und bin losgezogen. Ich habe den Bus genommen, irgendwo raus in die Pampa, und bin mitten im Nirgendwo losgezogen.
Kein Mensch war da, und ich stand einsam und verlassen an irgendeinem bedeutungslosen Weg, den wohl kaum ein Mensch je betreten hat.
Ich habe mir einen schönen Tag vorgenommen. Die Sonne scheint angenehm, auch wenn langsan Wolken aufziehen. Kein Wind, die Luft hängt seltsam schwer.
Unter meinen Füßen knirschen Kiesel und trockene Erde. Um mich herum Gras, nichts als Gras. Kein Haus, kein Mensch in Sicht. Die einzige Spur, die die Menschen hier hinterlassen haben ist der Weg, der endlos gerade direkt zum Himmel weist.

Ich schultere meine Tasche und gehe los.
 
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1. Tag

Heute ist kaum etwas passiert.
Ich ging den Weg entlang, der nach wie vor stur geradeaus zeigt.
Während der ersten Zeit fühlte ich mich sehr frei, als hätte ich zum ersten Mal in meinem Leben das richtige getan. Als hätte ich zum ersten Mal etwas getan, das ich mich nie zuvor getraut habe.
Ich glaube, ich hatte Angst vor der Reise. Vielleicht habe ich auch jetzt noch Angst, wer weiß? Zumindest ist es etwas ganz Neues, Unbekanntes. Und, ja, es ist auch unheimlich. Aber doch sehr schön.
Auch wenn es bis jetzt ziemlich langweilig war.
Schnell war mein anfänglicher Übermut dahin, und ich wurde langsamer.
Meine Tasche schien immer schwerer zu werden. Und die Luft war so unglaublich drückend, das ich kaum atmen konnte. Es kam mir vor, als wollte mich die Luft vor der Reise abhalten.
Will sie natürlich nicht. Was könnte Luft schon wollen? Außerdem hat es mich nicht angehalten. Nach wie vor will ich zum Ende des Himmels, wo sich Himmel und Erde berühren. Zum Horizont.
Es war seltsam, aber ich hatte den ganzen Tag keinen Hunger. Auch jetzt nicht. Als wäre die Reise genug, um mich am Leben zu halten. Um Hunger und Durst abzuhalten. Ich wurde auch nicht müde.
Erst gegen Abend ließ ich mich am Wegrand nieder. Schlaf brauche ich dennoch.
Ich wühlte in meiner Tasche. Es ist eine sehr schöne Tasche, die so blau ist wie das Meer. Ich habe sie vor ein paar Jahren aus Mondschein gewebt, den ich in der Nacht eingefangen hatte. Mit Vorstellungen vom Meer habe ich sie angemalt. Aber ich habe sie nie jemandem gezeigt. Ich weiß gar nicht, ob andere sie überhaupt sehen würden - wahrscheilich wäre ich in ihren Augen einfach nur verrückt.
Dabei gibt es die Tasche, da bin ich mir sicher.
Und ich wühlte nun in eben dieser Tasche nach dem Traum von einer Decke. Es sollte eine warme Decke sein, denn es war inzwische recht kühl geworden. Zum Glück fand ich einen solchen Traum. Natürlich konnte ich die Decke nicht in dem Sinne sehen, aber spüren konnte ich sie. Auf gewisse Weise. Anderen wäre die Decke wohl nicht von Nutzen gewesen.
Ich holte den Traum heraus. Er war so klein und dünn wie ein Papiertaschentuch, aber schon beim Anfassen konnte ich die Wärme der Decke fühlen. Ich schämte mich fast als ich feststellte, was für ein Traum das war. Es war weniger ein Traum als eine Erinnerung an die Wolldecken meiner Großeltern, in die ich als kleines Kind immer eingehüllt wurde, wenn ich mich doch noch abends in meinem Schlafanzug mit ihnen unterhalten wollte und dafür aus meinem Bett stieg.
Kurz zögerte ich. Aber irgendwas brauchte ich ja, um mich warm zu halten. Auch hier in der Einöde.
Ich nahm den Traum bei den Spitzen und zog. Erst sträubte er sich, aber ich war sehr entschlossen. Er wehrte sich nicht lange und ließ sich dann bereitwillig (naja, fast...) in die Länge und Breite ziehen, bis er die Größe einer Bettdecke erreicht hatte. Glücklich wickelte ich mich in ihn ein und legte mich hin.
Ich hatte mir fest vorgenommen, nur an meine Reise zu denken.
Aber in eine Erinnerung meiner Kindheit gehüllt, ließ ich mich in diese Zeiten entführen und schlief darüber ein.
 
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2. Tag

Heute wachte ich sehr früh morgens auf. Die Sonne wagte sich gerade erst über den Horizont und kitzelte die Wolken. Die Luft war frisch und klar, als wäre sie gerade gewaschen worden. Ein leichter Wind wehte mir die Haare ins Gesicht. Ärgerlich wischte ich sie fort und stand auf.
Ich fühlte mich ausgeschlafen und munter, bereit für ein weiteres Stück meiner beschwerlichen Reise.
Meinen Traum faltete ich sorgfältig zusammen, er war wohl sehr froh endlich in der Tasche verschwinden zu können.
Ich hielt auch nach meinem Nachttraum Ausschau (ich meinte mich zu erinnern, dass er sehr schön war), aber er hatte sich leider schon längst verflüchtigt. Ich nahm mir fest vor, in der nächsten Nacht besser aufzupassen.
Naja, was soll's, dachte ich. Ich habe auch so schon genug Träume.
Und fröhlich stiefelte ich los, der Sonne den Rücken zukehrend, die meinen Schatten lang vor mir ausbreitete, so dass er aussah wie ein schmaler Strich.
Die Wolken waren deutlich dichter als am Tag zuvor. Immer wieder warf ich einen misstrauischen Blick nach oben.
Aber erst am Nachmittag wurde meine Unsicherheit bestätigt. Die Wolken waren nun dicht und schwer, und ein sanftes Trappeln unterstrich meine Beobachtung.
Ich beschleunigte meinen Schritt.
Etwas vor mir sah ich zum ersten Mal auf der Reise einen Baum am Wegrand stehen. Zielstrebig lief ich darauf zu, wollte mich nicht allzusehr vom Regen treiben lassen.
Aber als die Tropfen nur so hinunter prasselten, konnte ich mich doch nicht halten und flüchtete mit großen Schritten unter die schützenden Äste, die bei dieser Weide weit herunter hingen.
Ich keuchte leise. Das Geäst war leider nicht dicht genug, um den Regen wirklich abzuhalten.
Seufzend nahm ich meine Tasche von der Schulter und sah hinein. Die Träume verkrochen sich ängstlich in den Ecken, vielleicht hatten sie nicht so gut geschlafen und waren müde. War irgendwie auch kein Wunder, schließlich schwankte die Tasche bei jedem meiner Schritte. Und wie ich genauer hinsah, meinte ich tatsächlich einige Träume zu erblicken, denen etwas übel war. Einer war schon leicht grünlich geworden.
Ist ja gut, gurrte ich liebevoll und stellte die Tasche vorsichtig ab.
Ich wollte sie wirklich nicht überfordern, aber ich brauchte einen Regenschutz.
Sanft schob ich die Träume beiseie und hielt nach einem Schirm Ausschau.
Ich brauchte lange, denn er hatte sich in einer Falte versteckt.
Sehr bestimmt nahm ich den zappelnden Traum heraus und hielt ihn fest.
Es war einer von diesen Tagträumen, in denen man Zauberkräfte hat.
Gar nicht so schlecht, dachte ich. Er würde den Regen wie unter einer Käseglocke abhalten.
Irgendetwas sagte mir, dass ich den Traum schlucken musste. Ich weiß wirklich nicht wie ich darauf kam, aber irgendwie musste ich ihn fluchtunfähig und gleichzeitig wirksam machen.
Ich packte ihn fest mit beiden Händen und hielt ihn vor meinen Mund. Er wehrte sich heftig, aber mir gelang es, in auf die Zuge zu schieben. Schnell klappte ich den Mund zu. Ein paar Anläufe brauchte ich, bis ich ihn runtergeschluckt hatte und er zappelnd meine Kehle hinunterglitt.
Irgedwann spürte ich ihn dann in meinem Magen rumoren, wo er sich nach einiger Zeit beruhigte und mit seinem Schicksal abfand. Die Lippen hielt ich fest zusammengepresst.
So ausgerüstet, wagte ich wieder mich dem Regen auszusetzen, Der Traum ließ den Regen tatsächlich über mir abgleiten, so dass mich kein Tropfen berührte.
Munter setzte ich meinen Weg fort, bis es wieder Abend wurde. Mir begegneten noch mehr Bäume, ich überlegte, ob ich in einen Wald kommen würde.
Bis ich einen Ort zum Rasten gefunden hatte, war allerdings kein Wald in Sicht.
Wieder holte ich den Deckentraum heraus, der sich nicht mehr ganz so sehr wehrte, noch nicht einmal als ich ihn langzog. Ich kuschelte mich gemütlich rein und redete dem Traum in meinem Magen gut zu, damit er auch die Nacht über ruhig blieb und mich vor dem Regen schützte.
 
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