2. Tag
Heute wachte ich sehr früh morgens auf. Die Sonne wagte sich gerade erst über den Horizont und kitzelte die Wolken. Die Luft war frisch und klar, als wäre sie gerade gewaschen worden. Ein leichter Wind wehte mir die Haare ins Gesicht. Ärgerlich wischte ich sie fort und stand auf.
Ich fühlte mich ausgeschlafen und munter, bereit für ein weiteres Stück meiner beschwerlichen Reise.
Meinen Traum faltete ich sorgfältig zusammen, er war wohl sehr froh endlich in der Tasche verschwinden zu können.
Ich hielt auch nach meinem Nachttraum Ausschau (ich meinte mich zu erinnern, dass er sehr schön war), aber er hatte sich leider schon längst verflüchtigt. Ich nahm mir fest vor, in der nächsten Nacht besser aufzupassen.
Naja, was soll's, dachte ich. Ich habe auch so schon genug Träume.
Und fröhlich stiefelte ich los, der Sonne den Rücken zukehrend, die meinen Schatten lang vor mir ausbreitete, so dass er aussah wie ein schmaler Strich.
Die Wolken waren deutlich dichter als am Tag zuvor. Immer wieder warf ich einen misstrauischen Blick nach oben.
Aber erst am Nachmittag wurde meine Unsicherheit bestätigt. Die Wolken waren nun dicht und schwer, und ein sanftes Trappeln unterstrich meine Beobachtung.
Ich beschleunigte meinen Schritt.
Etwas vor mir sah ich zum ersten Mal auf der Reise einen Baum am Wegrand stehen. Zielstrebig lief ich darauf zu, wollte mich nicht allzusehr vom Regen treiben lassen.
Aber als die Tropfen nur so hinunter prasselten, konnte ich mich doch nicht halten und flüchtete mit großen Schritten unter die schützenden Äste, die bei dieser Weide weit herunter hingen.
Ich keuchte leise. Das Geäst war leider nicht dicht genug, um den Regen wirklich abzuhalten.
Seufzend nahm ich meine Tasche von der Schulter und sah hinein. Die Träume verkrochen sich ängstlich in den Ecken, vielleicht hatten sie nicht so gut geschlafen und waren müde. War irgendwie auch kein Wunder, schließlich schwankte die Tasche bei jedem meiner Schritte. Und wie ich genauer hinsah, meinte ich tatsächlich einige Träume zu erblicken, denen etwas übel war. Einer war schon leicht grünlich geworden.
Ist ja gut, gurrte ich liebevoll und stellte die Tasche vorsichtig ab.
Ich wollte sie wirklich nicht überfordern, aber ich brauchte einen Regenschutz.
Sanft schob ich die Träume beiseie und hielt nach einem Schirm Ausschau.
Ich brauchte lange, denn er hatte sich in einer Falte versteckt.
Sehr bestimmt nahm ich den zappelnden Traum heraus und hielt ihn fest.
Es war einer von diesen Tagträumen, in denen man Zauberkräfte hat.
Gar nicht so schlecht, dachte ich. Er würde den Regen wie unter einer Käseglocke abhalten.
Irgendetwas sagte mir, dass ich den Traum schlucken musste. Ich weiß wirklich nicht wie ich darauf kam, aber irgendwie musste ich ihn fluchtunfähig und gleichzeitig wirksam machen.
Ich packte ihn fest mit beiden Händen und hielt ihn vor meinen Mund. Er wehrte sich heftig, aber mir gelang es, in auf die Zuge zu schieben. Schnell klappte ich den Mund zu. Ein paar Anläufe brauchte ich, bis ich ihn runtergeschluckt hatte und er zappelnd meine Kehle hinunterglitt.
Irgedwann spürte ich ihn dann in meinem Magen rumoren, wo er sich nach einiger Zeit beruhigte und mit seinem Schicksal abfand. Die Lippen hielt ich fest zusammengepresst.
So ausgerüstet, wagte ich wieder mich dem Regen auszusetzen, Der Traum ließ den Regen tatsächlich über mir abgleiten, so dass mich kein Tropfen berührte.
Munter setzte ich meinen Weg fort, bis es wieder Abend wurde. Mir begegneten noch mehr Bäume, ich überlegte, ob ich in einen Wald kommen würde.
Bis ich einen Ort zum Rasten gefunden hatte, war allerdings kein Wald in Sicht.
Wieder holte ich den Deckentraum heraus, der sich nicht mehr ganz so sehr wehrte, noch nicht einmal als ich ihn langzog. Ich kuschelte mich gemütlich rein und redete dem Traum in meinem Magen gut zu, damit er auch die Nacht über ruhig blieb und mich vor dem Regen schützte.