• Willkommen im denk-Forum für Politik, Philosophie und Kunst!
    Hier findest Du alles zum aktuellen Politikgeschehen, Diskussionen über philosophische Fragen und Kunst
    Registriere Dich kostenlos, dann kannst du eigene Themen verfassen und siehst wesentlich weniger Werbung

kathis novembergeschichte

mutter verstand es ausgezeichnet mit nur einem wort alte schmerzliche emotionen bei kathrin zu wecken. und das obwohl kathrin sich schon seit langer zeit mit ihren psychischen problemen und traumata auseinandersetzte. so hatte sie zum beispiel die schwierige familienkonstellation zu ihrer halbschwester und deren mutter aufgearbeitet.
vater war ja schon einmal verheiratet gewesen. die erste frau – und wahrscheinlich auch die große liebe des vaters – starb in der kriegszeit an diphterie. aus dieser ehe entstammte ein mädchen, das von kahtrins mutter groß gezogen wurde.
kathrin sah ilse zum ersten mal mit 29 jahren, zu ihrer hochzeit. all die jahre vorher waren mutter und ilse zerstritten…ilse wurde sozusagen aus dem elternhaus komplimentiert als sie sich mit einem mann liiert hatte.

dieser dramatik hatte kathrin ihr leben zu verdanken.
denn erst jetzt kam mutter auf die idee, ein eigenes kind haben zu wollen. und nach einigen anläufen klappte es auch. mutter war damals schon 43 jahre alt. in dem alter also, in dem sich kathrin nun befand.
sie sei ein wunderschönes baby gewesen, erzählte mutter. „nur kaiserschnittbabies können so schön sein!“
und, sie habe sie über alles geliebt. doch dann kam diese schreckliche nachricht.
nach 10 monaten wurde bei kathrin ein herzfehler entdeckt. für mutter war das der größte schock ihres lebens.
und der grund noch ein weiteres kind zu bekommen ….kathrins jüngere schwester.
 
Werbung:
sicher ist sicher.
und einen hund gab es damals ja auch schon!
der herzfehler stellte sich nach weiteren untersuchungen als nicht so schlimm heraus. viele kinder haben das, weiß man heute. er gab sich ganz von selbst.
dennoch wollte die mutter nicht ihre ganze liebe und ihr ganzes sinnen und trachten an einen unsicheren, seidenen faden hängen.
das kann man ja auch irgendwie verstehen!

so erlebte kathrin ihre mutter schon als kind irgendwie distanziert. sie konnte sich nicht wirklich auf sie einlassen.
nicht dass kathrin das bewusst bemerkt hätte. aber GESPÜRT hatte sie´s.
nicht dass es für kathrin immer schlimm oder unerträglich gewesen wäre. aus heutiger sicht hatte kathrin in ihren ersten sechs lebensjahren auch noch genügend kraft – das belegen auch die kinderfotos aus dieser zeit. sie war aufgeweckt, beweglich und drahtig gewesen. und bisschen schelmisch wie ein bub.
doch mit cirka sechs bis acht jahren wurde das anders. als ob ihre grundenergie damals schon aufgebraucht gewesen wäre. sie verlor ihre ursprüngliche substanz.
 
und nun sah sich kathrin tagtäglich in ihrer kindersituation wieder. erlebte eine emotionale achterbahnfahrt nach der anderen.
traf sie sich mit einer freundin, war mutter unleidlich und hackte auf ihr wegen nichtigkeiten herum. malte sie ein bild, ebenso. am schlimmsten war es, als kathrin eine ausstellung mit ihren aquarellen vorbereitete. da war von mutter nur ablehnung zu spüren. und die bilder wollte sie nicht einmal sehen.
dabei hätte ihr ein wenig zuspruch so gut getan.
aber „zuspruch“? - das war ein fremdwort für mutter. schon als kind musste kathrin sich mit ihren problemen (und denen der kleinen schwester) ganz alleine herumschlagen.

wie würde man heute dazu sagen: emotional vernachlässigt? emotional verwaist?
körperlich war ja immer alles in ordnung gewesen. mutter kochte und kleidete die kinder.
aber seelisch? – da gab´s nur mangel.

heute weiß kathrin, dass mutter oft nur überfordert war. und auch eifersüchtig.
ja, eifersüchtig. auf kathrins kindlichkeit, lebendigkeit – spontaneität. auf ihren ausdruck und ihre kreativität. all das, was ihr – wie sie glaubte – versagt geblieben war. auch sie hatte von ihrer mutter kaum verständnis bekommen. irgendwie und irgendwann muss sie sich total abgeschottet haben.

so konnte sie auch zu ihrem enkelsohn max keinen kontakt herstellen.
aber gerade durch max´s dasein wurde kathrin klar, wie es ihr in ihrer kindheit ergangen war.
hier konnte sie den unterschied am eigenen leib spüren. den unterschied zwischen der unbegrenzten – und auch ausgedrückten - liebe einer mutter zu ihrem kind…..und dem nicht vorhandensein derselben.
 
ja, es war für kathrin eindeutig. die alte frau war in ihrem inneren nichts weiter als ein verletztes und verlassenes kind. ein kind mit einer viel zu großen verantwortung. so groß, dass sie sich ihr niemals gewachsen sah.
einzig die immerwährenden hunde – jetzt die keifende hexi - waren ihre seelenbegleiter.
so und nicht anders war ihre situation – aus kathrins heutiger sicht.
und jede böse rede, jede gemeinheit entsprang dem eigenen müden selbstwert, der eigenen traurigen figur, die sie aus ihrer eigenen sicht in ihrem leben einnahm.
und obwohl kathrin dies wusste – es sogar aus ihren eigenen, ähnlich gelagerten verhaltensmustern kannte – konnte sie nicht wirklich damit umgehen. ihre emotionalen wallungen – dauernd frisch und heftig entfacht – waren einfach zu groß.

bis ihr klar wurde, dass sich da was ändern müsse. und zwar nicht irgendetwas, sondern sie, kathrin. sie selbst war es, die daran etwas ändern müsse.
sie müsse den kreislauf von anschuldigung und darauf folgenden rückzug mit schlechtem gewissen unterbrechen. und sie konnte es auch. denn sie war nun kein kind mehr.
war nicht mehr abhängig von der befindlichkeit der mutter….brauchte es zumindest nicht mehr sein!
und sie hatte schon genügend eigene erfahrungen und auch erkenntnisse gemacht.
die gehörten nun endlich umgesetzt. und verwandelt in taten.
und: sie müsse nun endlich ihre GEFÜHLE raus lassen!
koste es, was es wolle. und wenn es ihr mattes leben wäre.
 
und so erschien es ihr am anfang auch. jedes zurückreden, jedes nicht gleich weg laufen, jedes sich stellen der situation ließ die ärgsten gefühlswallungen in ihr entstehen.
und diese wallungen waren ihr zwar unheimlich und fremd – aber gleichwohl konnte kathrin eine ungeheure kraft in ihnen spüren.
eine beängstigende kraft.

das frühere runterschucken der wut und das wegrationalisieren ihrer trauer hatte nur in unfähiger erstarrung gemündet. und das bedeutete letztlich nichts anderes als die totale stagnation.
oder besser ausgedrückt: DEPRESSION!
auch das hatte kathrin schon erlebt.

vier kilogramm hatte sie binnen kürzester zeit zugenommen. ein weiteres alarmsignal.
und es würde so weitergehen. mit den kilos, und der unbeweglichkeit und dem frust.
auch das wusste und kannte kathrin.
denn das übergewicht hatte sie ja von ihrer mutter geerbt.
es war DAS thema in mutters leben und kathrin hatte es schon als 8-jähriges mädchen mit ihr geteilt.
 
AW: kathis novembergeschichte

Sorry, ich konnte noch nicht alles lesen (und es beginnt leider schon wieder eine neue Woche :(),
aber was ich bisher gelesen habe,
ist beeindruckend:

Gratuliere dir
- zu diesem Mut
- zu diesem ständigen Bemühen um Verständnis und um Veränderung
- zu diesem tiefen Einfühlungsvermögen!

Oder interpretiere ich da was falsch?
lg
Andreas
 
last, übergewicht, zu große verantwortung … ohnmacht, mattheit, trauer, starre.
dieses konglomerat an erschwernissen und lebensbehindernden umständen wollte kathrin nun loslassen.

und so musste sie sich trauen, ihrer mutter gegenüber das zu tun, was sie immer vermieden hatte. sie musste nun alles rauslassen, was schon seit ewigen zeiten darauf wartete.
und gerade das kostete sie eine überwindung nach der anderen.
aber bei jedem anlassfall (will heißen: immer auf „einleitung“ der mutter zu einer solchen „session“) blieb sie standhaft, setzte sich der situation aus und ließ ihren gefühlsausdrücken freien lauf. sie hörte sich nun keifen und motzen. schreien und schimpfen. sie machte vorwürfe. warf mit kraftausdrücken um sich. sie sprach darüber, wie es ihr als kind ergangen war, wie sie sich gefühlt hatte und wie sie sich auch heute noch fühlte, wenn mutter dies und jenes SO sagte. sie zeigte SICH her, alles von sich.….und sie ließ sich nicht so schnell wieder abstellen.
denn nun war der bann gebrochen.
und der schutzwall auch. und so wurde eine eruption nach der anderen freigesetzt.
und eine solche session folgte der anderen.
denn mutter lieferte laufend anlassfälle weiter. sie war auch jetzt nicht zimperlich.
 
zum glück war kathrin bei ihrem mann, dem lebenssprühenden sohn und bei ihren freundinnen, diesen wichtigen frauen, die sie immer wieder durch verständnis und gespräche unterstützten, sehr geborgen.
etwas, das mutter ja auch nie gekannt hatte.
dies half kathrin dabei, weiterzumachen. und durchzuhalten.
großen mut brauchte es! und langen atem.

aber komischerweise war ihr mutter nach solchen ausbrüchen NICHT böse.
vielmehr war sie jedes mal danach „brav wie ein lamm“. fast könnte man meinen: zufrieden.
und auch dieser umstand gab kathrin die nötige kraft.

denn dieses verhalten kannte sie bereits von ihrem sohn. auch dieser forderte sie zu kräftigen vorgaben heraus, tanzte ihr so lange auf der nase herum, bis sie sich ihm stellte und ihm eine eindeutige direktive – ja, sogar einen befehl! – vorgab.
erst diesen befolgte er dann - zwar unter lautem protest – aber innerlich war er glücklich und froh.
dies fiel ihr damals deutlich auf, als max – noch in der volksschule - mit seiner hausaufgabe nicht zurecht kam und alles gute zureden nicht das geringste half.
auch argumenten, warum die hausaufgabe wichtig sei, war er unzugänglich.
das ging so den ganzen nachmittag, bis kathrin wütend wurde und ihm befahl, jetzt und sofort diese elende hausaufgabe zu MACHEN.
ohne widerrede….denn sonst gäbe es mindestens eine woche lang kein fernsehen mehr!
…und sie wusste, dass dies so stimmen würde. sie würde dies durchziehen, komme, was wolle.
und siehe da: max setzte sich hin, erleichtert, absolvierte seine sache in kürze und im nachhinein schmiegte er sich kindlich an kathrin an und meinte: „ich hab die liebste mama dieser welt.“
das war ein absolutes AHA-erlebnis für kathrin gewesen.
„ja mein schatz, du bist mir auch mein allerliebstes! – aber deine hausaufgaben gehören jetzt dazu.“
 
Werbung:
ja, die hausaufgaben gehören zum leben dazu.
das hatte auch kathrin begriffen… auch sie musste ihre hausaufgaben machen.
und so musste sie endlich ihre mutter-thematik aufarbeiten. seit mehr als 2 jahren war dieser prozess nun im gang.
und ihre heutige äußerung, dass sie eigentlich gar nicht auf dieser welt sein wolle, war in wahrheit nur eine nachwehe dieses prozesses.
denn eigentlich stimmte es nicht mehr. eigentlich war kathrin mittlerweile recht gerne auf dieser welt.

in der zeit, in der sie endlich alle ihre aufgestauten gefühle herauslassen konnte, hatte sich gleichzeitig auch ihre freude am leben wiedergemeldet.
mit jedem gefühlsausbruch bei ihrer mutter, war diese kraft deutlich in ihr gewachsen.
und kathrin wuchs mit; fühlte sich stärker, sicherer, lebendiger.
der stumme groll gegen die mutter entsprach eins zu eins dem misstrauen gegen das leben schlechthin.
und in dem maße, in dem kathrins anfängliche heftige gefühlsausbrüche wieder abgeebbt waren, machte sich stille freude und heiterkeit breit. und diese heiterkeit griff auch auf mutter über.
irgendwie war unmerklich ein inneres vertrauen gewachsen, das kathrin so vorkam, als könnten alle probleme irgendwie auch wieder gelöst werden, wenn sogar die große kluft zwischen ihr und ihrer mutter geschlossen werden konnte.
 
Zurück
Oben