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Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf?

koocoo

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20. März 2007
Beiträge
59
Nachdem ich 7 Jahre im Ausland tätig war kam ich nach Wien zurück und stellte eine wesentliche Veränderung dieser Stadt fest.

Sie ist gut belebt und sehr multikulturell geworden. Es ist Leben in den Parks.
Die Anzahl der deutschen Staatsbürger, die in den Verkaufsläden und Restaurants anzutreffen sind ist höher als jene in Berlin!?
Die alten Einkaufsstrassen haben neue Gestalt angenommen. Sie sind zu Spielcasionstrassen geworden.
Selten habe ich so viele Geschäfte gesehen, die jeden Tag Ausverkauf habe.
Ich zähle bald nur mehr jene, die zu regulären Preisen verkaufen.

An jeder Ecke ist ein Lokal, ein Büro zu mieten.

Die Menschen laufen nicht als Models durch die Strassen, sie machen eher den Eindruck als ob sie sich immer wieder freuen, wenn Sie am Monatsende die Miete auf den Tisch legen können.

Die Anzahl der Bettler ist bereits so hoch, dass es bald nicht mehr genügend Ecken und Plätze für diese zum sitzen gibt.

Was hat das zu bedeuten?
Fällt dies nur mir auf?
Gibt es diese Situation nur in Wien?
Gewöhnen wir uns nach einer Zeit an das Bild der Strasse und schauen, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen und zufrieden sind das wir unsere Arbeit und unser Dach über den Kopf haben?

Welche Aufgaben sollten von den Politikern und uns unternommen werden um ein Straßenbild zu schaffen, dass Wien und nicht San Franzisko entspricht?
 
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AW: Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf?

Hallo koocoo !

Die Anzahl der Bettler ist bereits so hoch, dass es bald nicht mehr genügend Ecken und Plätze für diese zum sitzen gibt.

Was hat das zu bedeuten?
Fällt dies nur mir auf?
Gibt es diese Situation nur in Wien?
Gewöhnen wir uns nach einer Zeit an das Bild der Strasse und schauen, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen und zufrieden sind das wir unsere Arbeit und unser Dach über den Kopf haben?

Welche Aufgaben sollten von den Politikern und uns unternommen werden um ein Straßenbild zu schaffen, dass Wien und nicht San Franzisko entspricht?
Als 58-Jähriger, der im Jahre 1978 aus der österreichischen Provinz nach Wien zugewandert ist, glaube ich, Wien noch nicht zu verklärt zu sehen und möchte auf Dein Thema eingehen.

Zu allererst möchte ich einmal bemerken, dass Deine Grundfragestellung "Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf ?" meiner Meinung nach nicht zu den übrigen Fragen in Deinem Eingangsthread passt, bzw. ich sie eventuell falsch verstehe. Möchtest Du damit andeuten, dass es zu wenig Kapitalismus in Wien gibt bzw. der Kapitalismus (den man, so glaube ich, mit der Wettbewerbswirtschaft gleichsetzen kann) in Wien in eine Art Planwirtschaft überzugehen droht ?

Die vielen Bettler, die natürlich oft auch mich (wahrscheinlich jeden, der nicht sehr viel Geld hat) stören, weisen doch eher darauf hin, dass man Wien für sehr vermögend hält. Und wer hält heute noch Länder, Städte bzw. Regionen für (materiell) reich, der gleichzeitig glaubt, hier herrscht kein Kapitalismus ?

Bevor wir weiterdiskutieren, möchte ich Dich bitten, Deine Eingangsfrage zu präzisieren.

Liebe Grüße

Zeili
 
Sieh, in allem was sich ändert, hat ein Kaufmann investiert

koocoo schrieb:
Die alten Einkaufsstrassen haben neue Gestalt angenommen. Sie sind zu Spielcasionstrassen geworden.
Selten habe ich so viele Geschäfte gesehen, die jeden Tag Ausverkauf habe. (...)

An jeder Ecke ist ein Lokal, ein Büro zu mieten.

Die Menschen laufen nicht als Models durch die Strassen, sie machen eher den Eindruck als ob sie sich immer wieder freuen, wenn Sie am Monatsende die Miete auf den Tisch legen können.
Dieses "Ausverkaufsphänomen" kenne ich allerdings bereits aus meiner Kindheit, und zwar besonders extrem aus Schweden, wo ich sehr oft bei meinen Verwandten zu Besuch war. Übersteigerten Kapitalismus wird man dem Schweden von 1980 wohl ebensowenig nachsagen wollen wie nennenswerte Armut - die permanent angeblich herabgesetzen Preise sind ja nur ein einfacher Werbetrick, "Geiz" ist eben "geil" (obwohl Geiz nun wirklich der allergrößte Feind der Marktwirtschaft ist *lol*.)

Auch hier in Hamburg verwandelt sich das Strassenbild im Innenstadtbereich ständig. Wenn man, jenseits der Einkaufszentren, vom Angebot an Läden auf die Bedürfnisse der Verbraucher rückschließt, beginnt man zu stutzen: Massenhaft Friseure, Nagelstudios, esoterische Wellness für zuhause, Dekorationsgegenstände bzw. Ramsch aus allen Teilen der Welt (wunder wer das kauft), Unmengen von Restaurants oder kleineren Essgeschäften und natürlich an jeder Ecke eine Apotheke. Und das alles keineswegs billig, dabei sehen auch hier die Leute durchaus nicht alle sehr wohlhabend aus. Der traditionelle Einzelhandel ist so gut wie verschwunden, und gelegentlich noch versteckt anzutreffende kleinere Handwerksbetriebe wirken wie Zitate aus der Vergangenheit, Tupfer nostalgischen Lokalkolorits. Und zwei-dreihundert Meter von der U-Bahnstation entfernt, hinterm unvermeidlichen Aldi, beginnt schon der Leerstand.

Auch leere Büros zuhauf - was jedoch eher daran liegt, daß hier weit über den Bedarf hinaus gebaut wurde. Fast alles Abschreibungsruinen. Beim sozialen Wohnungsbau fehlt es dann wieder. Hier wäre Politik gefragt.

koocoo schrieb:
Die Anzahl der Bettler ist bereits so hoch, dass es bald nicht mehr genügend Ecken und Plätze für diese zum sitzen gibt.
Das wiederum hat sich zumindest in Hamburg/Innenstadt verändert, seitdem sowohl die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe als auch viele Geschäfte "Sicherheitspersonal" anheuern, die die Bettler rigoros von der Strasse jagen. Die findet man jetzt eher in den Randvierteln wieder, sofern sie dort noch geduldet werden. Es soll ja alles immer hübsch sauber aussehen.

koocoo schrieb:
Gewöhnen wir uns nach einer Zeit an das Bild der Strasse und schauen, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen und zufrieden sind das wir unsere Arbeit und unser Dach über den Kopf haben?
Das auch (notgedrungen). Dass das Strassenbild sich langsam, aber kontinuierlich verändert, empfinde ich allerdings nicht nur als unangenehm.

koocoo schrieb:
Welche Aufgaben sollten von den Politikern und uns unternommen werden um ein Straßenbild zu schaffen, dass Wien und nicht San Franzisko entspricht?
Okay, über Wien kann ich nicht so viel sagen (Du fragtest ja aber auch nach anderen Städten), und über San Francisco weiß ich auch nur wenig;
ich meine jedoch, daß die von uns beschriebenen Veränderungen weniger auf Entscheidungen eines abstrakt polit-ökonomischen "oben" oder "außen" zurückzuführen sind als auf das Verhalten der Konsumenten selber. Für viele ist es bequemer, weil weniger zeitaufwendig, nicht quer durchs Quartier von der Gärtnerei zum Metallwarenfachgeschäft zum Haushaltselektronikfachgeschäft zu pilgern und sich mit den Einkäufen durch die Straßen zu schleppen, sondern im nahegelegenen Baumarkt alles gleich zur Stelle zu haben, ab damit in den Kofferraum und *gut ist*. Die Zentralisierung der Einkaufsmöglichkeiten mag das Stadtbild verarmen lassen, entspricht jedoch der Nachfrage.

Der Verbraucher stimmt also gewissermassen "mit den Füßen" ab; warum sollte Politik dem Einhalt gebieten?

Eine weniger rhetorische Frage:
Wie sähe ein "Wien entsprechendes" Stadtbild denn eigentlich aus? Das ist ja auch eine architektonische und stadtplanerische Frage. Wien ist inzwischen sicher in noch viel weiterem Sinne eine internationale Metropole als etwa Hamburg, gerät da etwas außer Kontrolle? Meinereiner kann andererseits über "unhamburgische" Veränderungen in seiner Heimatstadt nicht klagen, da Wandel, Abriß und Neubau in dieser Stadt und das dadurch entstehende, meist gelungene Miteinander von traditioneller Klinker- und moderner Stahl/Glasbauweise längst den eigentlichen Charme des hamburger Stadtbildes ausmachen.

Grüße, Thorsten
 
AW: Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf?

Hallo koocoo !

Als 58-Jähriger, der im Jahre 1978 aus der österreichischen Provinz nach Wien zugewandert ist, glaube ich, Wien noch nicht zu verklärt zu sehen und möchte auf Dein Thema eingehen.

Zu allererst möchte ich einmal bemerken, dass Deine Grundfragestellung "Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf ?" meiner Meinung nach nicht zu den übrigen Fragen in Deinem Eingangsthread passt, bzw. ich sie eventuell falsch verstehe. Möchtest Du damit andeuten, dass es zu wenig Kapitalismus in Wien gibt bzw. der Kapitalismus (den man, so glaube ich, mit der Wettbewerbswirtschaft gleichsetzen kann) in Wien in eine Art Planwirtschaft überzugehen droht ?

Die vielen Bettler, die natürlich oft auch mich (wahrscheinlich jeden, der nicht sehr viel Geld hat) stören, weisen doch eher darauf hin, dass man Wien für sehr vermögend hält. Und wer hält heute noch Länder, Städte bzw. Regionen für (materiell) reich, der gleichzeitig glaubt, hier herrscht kein Kapitalismus ?

Bevor wir weiterdiskutieren, möchte ich Dich bitten, Deine Eingangsfrage zu präzisieren.

Liebe Grüße

Zeili

Warum Schlussverkauf des Kapitalismus:
Die Läden machen dicht.
Die Leute haben anscheinend keine Kaufkraft mehr um einzukaufen.
Die Soziale Schere macht auf.
Die Mittelschicht verliert an Kaufkraft.
Die Lebensmittelpreise sind nur mehr in Eurobeträgen günstig, würden sie in Schilling ausgewiesen so würden entweder wir alle in der Psychatrischen landen oder der Bürgermeister wieder das „Bäckerschupfen“ zur Belustigung seiner Bürger einführen.
Die Bettler sind ein Resultat des gelebten Systems. Habe ich hiermit zur Kenntnis zu nehmen, dass der Kapitalismus Bettler produziert und der Menschen in diesem System mit diesen armen Obdachlosen Leben muss.

Ok. In Österreich bin ich ein sozialkapitalistisches System gewöhnt. Das heißt, die breite Mittelschicht bezahlt gerne Sozialabgaben, so das das Leben des Menschen in Österreich lebbar ist.

Natürlich haben wir noch keinen amerikanischen Kapitalismus, wo die Mutter mit Ihrem 1 Jahr alten Kind auf der Strasse auf der Pappe schläft.
1% der Amerikaner mehr als 33% des materiellen Vermögens ihr Eigen nenne. Wollen wir dies als sinnvolles, erstrebenswertes Ziel sehen?
Wollen wir denen zuschauen, die dieses als erstrebens Wert sehen und realisieren?
Wollen wir uns anschliessend bei diesen beschweren oder auf gut wienerisch, wollen wir sie anschliessend anjammern, dass doch nicht sein kann?
 
AW: Sieh, in allem was sich ändert, hat ein Kaufmann investiert

Auch hier in Hamburg verwandelt sich das Strassenbild im Innenstadtbereich ständig. Wenn man, jenseits der Einkaufszentren, vom Angebot an Läden auf die Bedürfnisse der Verbraucher rückschließt, beginnt man zu stutzen: Massenhaft Friseure, Nagelstudios, esoterische Wellness für zuhause, Dekorationsgegenstände bzw. Ramsch aus allen Teilen der Welt (wunder wer das kauft), Unmengen von Restaurants oder kleineren Essgeschäften und natürlich an jeder Ecke eine Apotheke. Und das alles keineswegs billig, dabei sehen auch hier die Leute durchaus nicht alle sehr wohlhabend aus. Der traditionelle Einzelhandel ist so gut wie verschwunden, und gelegentlich noch versteckt anzutreffende kleinere Handwerksbetriebe wirken wie Zitate aus der Vergangenheit, Tupfer nostalgischen Lokalkolorits. Und zwei-dreihundert Meter von der U-Bahnstation entfernt, hinterm unvermeidlichen Aldi, beginnt schon der Leerstand.

Das wiederum hat sich zumindest in Hamburg/Innenstadt verändert, seitdem sowohl die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe als auch viele Geschäfte "Sicherheitspersonal" anheuern, die die Bettler rigoros von der Strasse jagen. Die findet man jetzt eher in den Randvierteln wieder, sofern sie dort noch geduldet werden. Es soll ja alles immer hübsch sauber aussehen.


Der Verbraucher stimmt also gewissermassen "mit den Füßen" ab; warum sollte Politik dem Einhalt gebieten?

Eine weniger rhetorische Frage:
Wie sähe ein "Wien entsprechendes" Stadtbild denn eigentlich aus? Das ist ja auch eine architektonische und stadtplanerische Frage. Wien ist inzwischen sicher in noch viel weiterem Sinne eine internationale Metropole als etwa Hamburg, gerät da etwas außer Kontrolle? Meinereiner kann andererseits über "unhamburgische" Veränderungen in seiner Heimatstadt nicht klagen, da Wandel, Abriß und Neubau in dieser Stadt und das dadurch entstehende, meist gelungene Miteinander von traditioneller Klinker- und moderner Stahl/Glasbauweise längst den eigentlichen Charme des hamburger Stadtbildes ausmachen.

Grüße, Thorsten

Ich bin gegen ein verdrängen der Bettler aus der Stadt, den dann wird es den Menschen nicht mehr bewusst was hier abgeht. Außerdem sind sie Menschen wie Du und ich, sie haben halt schlechter Karten gehabt. Doch sie wollen uns auch was zeigen.
Die einen sitzen beim Tisch mit vollster Schüssel und verhungern, die anderen sitzen auf der Strasse und verhungern noch nicht, da wir noch ein zartes soziales System haben, dass noch gerade so funktioniert.

Erlebnis: Wien Mariahilferstrasse: Ein Obdachloser ca. um die 40 spricht mich des nächtens um Geld an, er erklärt mir, das er Tischler gelernt habe und diesen Beruf sehr gerne nachkam er jedoch jetzt keine Arbeit habe. Ich zu der Zeit ebenfalls Arbeitslos, da ich kurz zuvor gekündigt hatte: Antworte ich kann Dich verstehen. Er antwortet, dass kannst Du nicht. Er hat absolut recht: Ich kann es nicht. Ich kann mich nicht hineinversetzen in seine Gefühle der persönlichen Würde, ich weis nicht wie es ist wenn er sich den Arsch abfriert in der Nacht und am Tag betteln muss um zu überleben, da er anscheinend aus dem System raus gefallen ist.

Die andere Seite sind die rumänischen Profibettler, die organisiert sind. Laut einem Verkäufer, der einen Bettler zu seinen guten Kunden zählt, diese oftmals ein Einkommen aufweist wo die Mindestrentner arm ausschauen.

Mein Traumbild der Stadt Wien, auch gleichzeitig für sämtliche Städte dieser Erde.

Fröhliche Menschen
Die Stadt frei von Obdachlosen. Jeder kann sich ein Dach über dem Kopf leisten.
Lebensmittelpreise, die im Verhältnis zum Preis des Erstproduzenten stehen.
Nur Fahrzeuge mit Elektromotor dürfen sich innerhalb der Ringstrasse (Umgrenzung Stadtzentrum) bewegen.
Erhöhung des Anteils Natur in der Stadt
Erhöhung von Autofreienzonen
Das Einkommen aller Menschen reicht aus um ihre monatlichen Grundbedürfnisse (plus) immer befriedigen zu können

PS: Hast Du schon einmall realisiert,
dass es Häuser gibt, die am Arbeitstag voll sind und in den Nächten des Arbeitstages leer sind?
dass es Häuser gibt, die am Arbeitstag leer sind und in den Nächten des Arbeitstages voll sind?

Wie viel Erde braucht der Mensch?
Wo sind im Zeitalter von Webspace, Internate, Webcame, Email die Städteplaner, die in aller Ruhe Bürozentren erschaffen lassen. Somit gibt es für die Errichtung dieser Arbeitsplätze und Kaufkraft für die daran Beteiligten Menschen. Doch dies scheint ein eigenes Thema zu sein
 
AW: Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf?

koocoo schrieb:
Mein Traumbild der Stadt Wien, auch gleichzeitig für sämtliche Städte dieser Erde.

Fröhliche Menschen
Die Stadt frei von Obdachlosen. Jeder kann sich ein Dach über dem Kopf leisten.
Lebensmittelpreise, die im Verhältnis zum Preis des Erstproduzenten stehen.
Nur Fahrzeuge mit Elektromotor dürfen sich innerhalb der Ringstrasse (Umgrenzung Stadtzentrum) bewegen.
Erhöhung des Anteils Natur in der Stadt
Erhöhung von Autofreienzonen
Das Einkommen aller Menschen reicht aus um ihre monatlichen Grundbedürfnisse (plus) immer befriedigen zu können

In dem Zusammenhang wäre es sicherlich interessant, sich den Film "Die vom 17er-Haus" von Arthur Berger aus dem Jahre 1932 anzuschauen. Ich hatte im September 2004 die Gelegenheit, diesen Film zu sehen, als ich beruflich einmal in Wien war; er wurde im Rahmen der Ausstellung "Die Welt der Tante Jolesch" im Jüdischen Museum gezeigt.

Aus heutiger Sicht ist es kaum zu glauben, daß es sich dabei um einen sozialdemokratischen Propagandafilm handelte:

Gezeigt wurde in der ersten Szene das Wien der Zukunft, das Wien des Jahres 2032. Der Stephansdom ist dicht von Wolkenkratzern umstellt, dichter als die Gebäude in altertümlichen Stadtteilen wie Manhattan beieinander stehen; irgendwo im 62. Stock eines 90-Stöckers lebt ein Stadthistoriker, der von seinem Enkel - Jahrgang 2020 etwa - besucht wird. Selbstverständlich benützt der Enkel zu seinem Besuch keinen Aufzug, sondern ein Individualflugmobil, das wundersamerweise in jenem fast fensterlosen Wolkenkratzer keine Andockstelle braucht, sondern den Jungen direkt ins Arbeitszimmer des Historikers bringt.

Der kleine Junge kann sich freilich nicht vorstellen, daß die Welt - Wien - jemals anders ausgesehen hat, und fragt, wie es denn vor hundert Jahren in derselben Straße, an derselben Hausnummer ausgesehen hat. So beginnt denn der Historiker zu erzählen:

Wie im Jahre 1932 am selben Ort ein subalterner kleiner Beamter, der in Armut lebt und Frau und Töchter züchtigt, in einer baufälligen Baracke ohne Wasseranschluß hauste. Wie dann der - aus Sicht des Beamten als beängstigend geschilderte - Aufbau des "Roten Wien" nicht nur ihn seines überflüssigen Amtes, sondern die ganze Familie ihrer Existenz enthebt; seine kleinen Kinder spielen dann nicht mehr im schmuddeligen Hinterhof, sondern sind im allgemeinen Kinderhort untergebracht, wo sie nicht nur genug zu essen bekommen, sondern wo die Jungens kochen und abwaschen und die Mädels tischlern und schreinern. Und zwar ausschließlich - der Rollentausch der Geschlechter ist da total!
Die klügste der Töchter unseres kleinen Beamten freilich hat sich längst mit einem der Bauarbeiter des Neuen Wien liiert. Und dann zeigt der Film die Freude der Arbeiter, die an den sozialdemokratischen Massensiedlungen bauen, die von Wien über Schweden bis zur ehemaligen DDR weithin das Bild der Neustädte prägen - (wobei die rot-wienerischen Bauten heute nicht zu Unrecht Denkmalschutz genießen.) -

Diese sozialdemokratische Vision einer besseren Welt - eines besseren Wien - aus dem Jahre 1932 endete dennoch mit einem Stadtbild, das im Jahre 2007 vielleicht in chinesischen Megastädten zu bewundern ist, aber sicherlich nicht in Europa.

--------

Also,
koocoo schrieb:
wieviel Erde braucht der Mensch?

Wien liegt mir vielleicht besonders am Herzen - mehr als jede vergleichbare deutsche oder andere europäische Metropole - weil ich nun einmal klassischer Musiker bin. Untrennbar mit Wien verbunden. Und die 250jährige klassische Musiziertradition lebt in Wien (und vielleicht nur dort) weiter, ungebrochen durch Moden; davon kann sich jeder überzeugen, der einmal einen Gottesdienst in der Jesuitenkirche http://www.jesuiten.at/php/c_gottesdienste.php besucht, wo allsonntäglich Meßkompositionen von Haydn, Mozart und Schubert erklingen. Es geht dabei ja nicht ums was, sondern ums wie... soviel heute zu "meinem Wien, meiner Erde, die ich brauche."

Die von Dir angesprochenen Probleme, koocoo, betreffen ja, wie Du andeutest, nicht Wien allein. Unrichtig wäre, sie einfach dem "Kapitalismus" oder seinem Ausverkauf anzulasten; es geht nur darum, wie Menschen mit Menschen umgehen. Ich möchte nur einen etwas weiteren Blick in die Geschichte der Stadt anregen, um die alltäglich sichtbaren Widersprüche und die Vielfalt Wiens besser zu verstehen. Und dazu haben hier sicher viele Redner mehr Wissenswertes beizutragen als ich.

Grüße, Thorsten
 
Zuletzt bearbeitet:
AW: Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf?

In dem Zusammenhang wäre es sicherlich interessant, sich den Film "Die vom 17er-Haus" von Arthur Berger aus dem Jahre 1932 anzuschauen. Ich hatte im September 2004 die Gelegenheit, diesen Film zu sehen, als ich beruflich einmal in Wien war; er wurde im Rahmen der Ausstellung "Die Welt der Tante Jolesch" im Jüdischen Museum gezeigt.

Aus heutiger Sicht ist es kaum zu glauben, daß es sich dabei um einen sozialdemokratischen Propagandafilm handelte:

Gezeigt wurde in der ersten Szene das Wien der Zukunft, das Wien des Jahres 2032. Der Stephansdom ist dicht von Wolkenkratzern umstellt, dichter als die Gebäude in altertümlichen Stadtteilen wie Manhattan beieinander stehen; irgendwo im 62. Stock eines 90-Stöckers lebt ein Stadthistoriker, der von seinem Enkel - Jahrgang 2020 etwa - besucht wird. Selbstverständlich benützt der Enkel zu seinem Besuch keinen Aufzug, sondern ein Individualflugmobil, das wundersamerweise in jenem fast fensterlosen Wolkenkratzer keine Andockstelle braucht, sondern den Jungen direkt ins Arbeitszimmer des Historikers bringt.

Der kleine Junge kann sich freilich nicht vorstellen, daß die Welt - Wien - jemals anders ausgesehen hat, und fragt, wie es denn vor hundert Jahren in derselben Straße, an derselben Hausnummer ausgesehen hat. So beginnt denn der Historiker zu erzählen:

Wie im Jahre 1932 am selben Ort ein subalterner kleiner Beamter, der in Armut lebt und Frau und Töchter züchtigt, in einer baufälligen Baracke ohne Wasseranschluß hauste. Wie dann der - aus Sicht des Beamten als beängstigend geschilderte - Aufbau des "Roten Wien" nicht nur ihn seines überflüssigen Amtes, sondern die ganze Familie ihrer Existenz enthebt; seine kleinen Kinder spielen dann nicht mehr im schmuddeligen Hinterhof, sondern sind im allgemeinen Kinderhort untergebracht, wo sie nicht nur genug zu essen bekommen, sondern wo die Jungens kochen und abwaschen und die Mädels tischlern und schreinern. Und zwar ausschließlich - der Rollentausch der Geschlechter ist da total!
Die klügste der Töchter unseres kleinen Beamten freilich hat sich längst mit einem der Bauarbeiter des Neuen Wien liiert. Und dann zeigt der Film die Freude der Arbeiter, die an den sozialdemokratischen Massensiedlungen bauen, die von Wien über Schweden bis zur ehemaligen DDR weithin das Bild der Neustädte prägen - (wobei die rot-wienerischen Bauten heute nicht zu Unrecht Denkmalschutz genießen.) -

Diese sozialdemokratische Vision einer besseren Welt - eines besseren Wien - aus dem Jahre 1932 endete dennoch mit einem Stadtbild, das im Jahre 2007 vielleicht in chinesischen Megastädten zu bewundern ist, aber sicherlich nicht in Europa.

--------

Also,

Wien liegt mir vielleicht besonders am Herzen - mehr als jede vergleichbare deutsche oder andere europäische Metropole - weil ich nun einmal klassischer Musiker bin. Untrennbar mit Wien verbunden. Und die 250jährige klassische Musiziertradition lebt in Wien (und vielleicht nur dort) weiter, ungebrochen durch Moden; davon kann sich jeder überzeugen, der einmal einen Gottesdienst in der Jesuitenkirche http://www.jesuiten.at/php/c_gottesdienste.php besucht, wo allsonntäglich Meßkompositionen von Haydn, Mozart und Schubert erklingen. Es geht dabei ja nicht ums was, sondern ums wie... soviel heute zu "meinem Wien, meiner Erde, die ich brauche."

Die von Dir angesprochenen Probleme, koocoo, betreffen ja, wie Du andeutest, nicht Wien allein. Unrichtig wäre, sie einfach dem "Kapitalismus" oder seinem Ausverkauf anzulasten; es geht nur darum, wie Menschen mit Menschen umgehen. Ich möchte nur einen etwas weiteren Blick in die Geschichte der Stadt anregen, um die alltäglich sichtbaren Widersprüche und die Vielfalt Wiens besser zu verstehen. Und dazu haben hier sicher viele Redner mehr Wissenswertes beizutragen als ich.

Grüße, Thorsten

Das Wien baulich, materiell so wurde wie es heute ist und die Wolkenkratzer sich um die Uno City formieren, ist gut und besser als in dem von Dir zitierten Film angedacht.

Das die Kunst in klassische Musik in Wien eine hohe Präsenz vorfindet ist sehr gut für unsere Kultur. Das die Nutzung der musikalischen Kultur in Wien jedoch über Generationen Abonniert ist, ist auch Wien. In meiner ersten Familie hatten auch wir ein Abo der Wiener Philharmonika, ich wollte damals dieses erweitern, Wartezeit, falls jemand stirbt und die Erben nicht annehmen, größer 7 Jahre.

Doch hier geht es um das wirtschaftliche, kapitalistische Erscheinungsbild der breiten Masse in Wien und in vielen anderen Städten.

Beruflich hatte ich viel in Ankara zu tun. Ich stellte fest, dass diese Stadt beginnt Ihre Qualität zu erhöhen und Wien hingegen an Lebensqualität zu verlieren (Sauberkeit).

Ebenso habe ich den Spruch des Herrn Strache der FPÖ sehr unterhaltend gefunden, als er meinte Wien darf nicht Istanbul werden. Aus welcher Sicht. Istanbul hat 2mal soviel Einwohner wie Österreich. Istanbul hat eine längere Geschichte als Wien. Bezogen auf die Anzahl der Einwohner stellt sich die Frage in welcher Stadt die Kriminalität, die Korruption höher ist?

Was kann eine wohlhabende Stadt wie Wien sicher ist tun, um den Obdachlosen Obdach zu gewähren?
Welche Modelle kann eine Stadt anwenden um eine Vollbeschäftigung zu erreichen?
 
AW: Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf?

Hallo !

Ok. In Österreich bin ich ein sozialkapitalistisches System gewöhnt. Das heißt, die breite Mittelschicht bezahlt gerne Sozialabgaben, so das das Leben des Menschen in Österreich lebbar ist.

Natürlich haben wir noch keinen amerikanischen Kapitalismus, wo die Mutter mit Ihrem 1 Jahr alten Kind auf der Strasse auf der Pappe schläft.
In den 1970-ern wurde in Österreich ein Begriff geprägt (bzw. propagiert), der heißt ökosoziale Marktwirtschaft. Man bräuchte ihn nur zu leben. Marktwirtschaft heißt Wettbewerbswirtschaft und das Gegenstück dazu ist die (staatlich gelenkte) Plan- (und damit auch Monopol-) wirtschaft. 370 Millionen Menschen (die ganze Sowjetunion, Osteuropa, Kuba und Nordkorea) haben Jahrzehnte das System der Planwirtschaft versucht - mit dem Erfolg, dass man in diesen Ländern mehrheitlich nicht einmal das essen konnte, was man wollte, geschweige denn eine Reisefreiheit hatte.

Daraus folgert sich für mich: (leistungsorientierte) Marktwirtschaft, die auch für die Schwachen Mindeststandards garantiert. Gleichzeitig bestens ausgebildete, verantwortungsbewusste Ärzte, die im Einvernehmen mit den Behörden verlässlich erkennen können, welche Arbeitslosen

zu krank,
zu schlecht ausgebildet oder nur
zu faul​
zum Arbeiten sind, wobei man das Schwergewicht auf Menschen zwischen dem 20. und 60. Lebensjahr legen sollte.

Einführung der 35-Stunden-Woche und gleichzeitig rigorose Besteuerung von Überstunden für Betriebe über 20 Arbeitnehmer.

Zu den Bettlern: Menschen, die in Österreich geboren bzw. naturalisiert wurden und trotzdem betteln gehen (müssen), sind ein einziges Armutszeugnis der Politik.

Wie soll man aber verhindern, dass Menschen als Touristen einreisen, ihr ganzes Geld verpulvern, dann hierbleiben wollen und mangels Arbeit betteln gehen (müssen) ? Den Tourismus abschaffen zu wollen, wäre wohl ein eindeutiger sozialer Rückschritt und würde - speziell Österreich - auch an einem Lebensnerv treffen.

1% der Amerikaner mehr als 33% des materiellen Vermögens ihr Eigen nenne. Wollen wir dies als sinnvolles, erstrebenswertes Ziel sehen?
Wollen wir denen zuschauen, die dieses als erstrebens Wert sehen und realisieren?
Noch einmal mein Vorschlag: (Gelebte) leistungsorientierte, ökosoziale Marktwirtschaft, die auf die Schwachen nicht vergisst.

Liebe Grüße

Zeili
 
Werbung:
AW: Hat der Kapitalismus in Wien Schlussverkauf?

Hallo Zeili, hallo koocoo,

koocoo schrieb:
Was kann eine wohlhabende Stadt wie Wien sicher ist tun, um den Obdachlosen Obdach zu gewähren?
Die Frage beantwortet sich von selbst: sie könnte ihnen Obdach gewähren. In der Praxis liefe das dann auf Armenhäuser hinaus...

Ich war 2004 zuletzt in Wien und empfand die Situation nicht so drastisch wie Du sie beschreibst, koocoo. Dasselbe habe ich in allen europäischen Städten vergleichbarer Größe gesehen, sofern sie den Anteil der Armen (den es immer geben wird) nicht zu verstecken suchen, wie es in Hamburg geschieht.

Sichtbare Armut ist mir irgendwie immer noch lieber als verdeckte, die uns vorgaukelt, alles wäre in bester Ordnung.

koocoo schrieb:
Das die Nutzung der musikalischen Kultur in Wien jedoch über Generationen Abonniert ist, ist auch Wien. In meiner ersten Familie hatten auch wir ein Abo der Wiener Philharmonika, ich wollte damals dieses erweitern, Wartezeit, falls jemand stirbt und die Erben nicht annehmen, größer 7 Jahre.
Und hierauf wäre die politische Antwort: Ein weiteres Opernhaus, einen weiteren Konzertsaal bauen, um der Nachfrage gerecht zu werden. Ganz wie Du sagst: Das ist auch Wien.

Ich weiß, Freunde: wir wollen auch dann, wenn alles schon ganz gut ist, daß alles noch besser wird. Was Wien betrifft, muß ich aber sagen: so arge Verhältnisse in puncto Gegensatz Arm/Reich, Sicherheit und Sauberkeit wie in London oder (ganz anders) Berlin herrschen dort doch nicht, oder?

Zeilinger schrieb:
Menschen, die in Österreich geboren bzw. naturalisiert wurden und trotzdem betteln gehen (müssen), sind ein einziges Armutszeugnis der Politik.

Wie soll man aber verhindern, dass Menschen als Touristen einreisen, ihr ganzes Geld verpulvern, dann hierbleiben wollen und mangels Arbeit betteln gehen (müssen) ?
Das kann man nicht verhindern. Letztere dürften aber die Ausnahme bilden. Und ein "Armutszeugnis" wäre der Politik - die in Demokratien bekanntlich den Volkswillen darstellt - wenn überhaupt, dann nicht nur betreffs der Einheimischen bzw. Eingebürgerten auszustellen.

Wer arm in die Großstadt kommt, will was abhaben vom Kuchen; er muß aber bereit und fähig sein, am Kuchen mitzubacken. Meines Erachtens haben da jedoch auch viele wohlmeinende Politiker etwas mißverstanden:

Man kann den Leuten das Leben nicht abnehmen.

Strampeln müssen sie schon selber. Ansonsten bleibt nur Ausbau der Armenfürsorge (um diesen Aspekt der Sozialpolitik noch einmal beim Namen zu nennen). Ich wüßte aber nicht, daß nicht vieles versucht wird, um den "armen Leuten" eine Chance zu geben. Aber: auch Umverteilungs-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik kann dazu dienen, das Bild zu schönen und Armut lediglich zu verstecken.

Meint, ganz unsozialdemokratisch,
Thorsten
 
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