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E.M. Cioran

Coeur Froid

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22. April 2003
Beiträge
349
Hallo zusammen,

vor mir liegt es also: typisch hässlicher Suhrkamp- Regenbogen- Wabbelumschlag mit Orange auf rotem Grund.

Lieblos steht im oberen drittel geschmiert:

E.M. Cioran
Vom Nachteil, geboren zu sein.

In einem Philo- Seminar wurde mir das Werk von einem Kommilitonen wärmstens empfohlen, nun habe ich mir einen Großteil der darin zu findenen Aphorismen 'reingezogen und weiß nicht, was ich davon halten soll:

Zwar sind die Aphorismen - gerade zum Ende des Buches hin - mitunter wirklich gelungen und durchaus teilbar; am Anfang allerdings stürmen zwanghaft- negative Schlüsse und Überlegungen auf mich ein, die ich allesamt nicht teilen kann (oder will).

Während ich diese anfänglichen Aussagen laß, fühlte ich mich zurückversetzt in meine Jugend- Nirvana- Phase, "alles schlecht", "das Leben ist eine Verdammnis".

Mich würde interessieren, wie ihr zu Cioran steht, ist das eine Lektüre für Pubertierende, das Zeugnis eines kranken Mannes oder durchaus eine ernstzunehmende RATIONALE Ergründung der Natur des menschlichen Seiens.

Oh Gott, dieses Strang könnte in eine Nihilismus- Debatte ausarten ;)

gespannt,

CoeurFroid
 
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Hallo,cf!

Du bist wahrscheinlich der einzige, der hier ein ( werdender?) Fachphilosoph ist, ich bin nur eine interessierte Laiin.

Und wahrscheinlich weißt Du das, was ich Dir jetzt (ab)schreibe bereits, aber es mag für andere, die hier lesen doch interessant sein, zumal eine Userin bereits einmal Cioran angesprochen hat.


Die biographischen Einzelheiten dieses rumänischen Denkers ( 1911 -95) will ich uns hier mal ersparen, ebenfalls eine Aufzählung seiner Veröffentlichungen.


"In Vorwegnahme der philos. Strömung des Existenzialismus in Frankreich entwickelte C. in Anknüpfung an die philosophischen Schriften Kierkegaards und die philosphischen Aphorismen Kafkas einen antisystematischen, tief pessimistischen Nihilismus.Im Zentrum seiner Schriften stehen dabei als Hauptprobleme menschlichen Daseins die Existenzberechigung und der Tod.Die Zeit und das Leben sind gewissermaßen Gebrechen der Ewigkeit, bezw. der Materie, der Mensch ist ein Unfall der Natur.Einzig die Kunst vermag in einer derart absurden Welt dem Dasein allenfalls einen Sinn zu geben".

Philosophie- Lexikon. rowohlts enzyklopädie, S.122


Entschuldige, wenn ich Dir etwas geschrieben habe, worüber Du schon informiert bit.

Übrigens, Du hast Recht mit Deiner Vermutung, dass eine Ciorandebatte eine Nihilismusdebatte werden könnte. Sie muss es wohl sein.

Freundliche Grüße von der "Oma" Marianne
 
Vorweg: Ich bin hier falsch, denn ich kenne Cioran nicht. Aber vielleicht ist dir eine Antwort mehr lieber als eine weniger...?

- ich misstraue Philosophien, die in Aphorismen daherkommen.

- sind sie eitel? sind sie Poesie? sind sie zu faul, um systematischer zu sein?

- daher kam ich auch bei Nietzsche nie weit (nein, nicht hauen, bitte!)

- ich bekam mal ein Werk in die Hände: 99 Thesen zum Selbstmord o.s.ä. Schrecklich!!!

- zu sagen, das Leben sei ein Gebrechen der Ewigkeit, ist hübsch, aber keine ernstzunehmende Aussage.

- zu behaupten, der einzige Sinn, dem man dem Leben wenigstens zeitweise geben könne, bestehe in der Kunst, hieße, beweisen zu können, dass diejenigen, die ihr Leben fröhlich als Ärzte, Sumoringer, Tischtennisprofis, Pornodarsteller oder Philosophiestudenten fristen, alle falsch liegen.

- das kann nicht sein.

- es gibt wohl Zeiten im Leben, die man leicht als tragisch empfinden kann. Die Pubertät. Das Sterben. In diesen Zeiten sollte es untersagt werden, Philosphiebücher oder nur Aphorismen zu verfassen.

- ich bin durchaus kein "positiv thinker" oder Haudraufoptimist.

- Milan Kundera sagt, Kafka sei insbsondere durch Max Brod zu einem idealistischen Schmerzensmann verklärt worden. Man müsse ihn aber durchaus mit Humor lesen und als jemanden sehen, dem nichts Menschliches fern gestanden habe.

- Der Existentialismus wurde auch oft als Pessimistenphilosophie missverstanden. Das stand nicht im Sinne Sartres. Auf seine Existenz zurück geworfen zu werden und Gott abzuschreiben, ist an sich noch nicht so schlimm. Kommen Pickel und Liebeskummer hinzu, wird's problematisch...

- Für einen Nihilisten ist Cioran ganz schön alt geworden (84!)...

- werde bei meinem nächsten Besuch in der Bibliothek mal in so einen Cioran reinschmökern


:)
 
Hallo Robin,

ersteinmal danke für deinen Beitrag!

Ich habe ein ähnliches Problem mit dem Nihilismus: Er hat den Anspruch philosophisch und wissenschaftlich zu sein, ist aber meiner Auffassung nach überaus emotional und persönlich. Auch sind nihilistische Weltanschauungen eigentlich nie (ich keinne zumindest keine) "zwingend", eine argumentative Struktur gibt es nur in Ansätzen, die Axiome der Nihilisten halte ich für Dogmen.

Ich selbst bin übrigens ein großer Kafka- "Liebhaber" und halte ihn sicher nicht für einen Nihilisten. Allerdings kann man wohl kaum verneinen, dass er sehr emotional und bisweilen sehr negativ war (bzw. noch zu lesen ist ;)).
Ich lehne es aber ab, einen Autoren mit "Humor" zu lesen, i.d.R. lese ich ihn so, wie er kommt ;). Da ich von mir behaupten kann, so ziemlich alles zu besitzen (und größtenteils gelesen zu haben) was Kafka "produziert" hat, sehe ich auch wenig Ansatzpunkte für "Humor", bestenfalls für "groteskes".

Aphorismen schätze ich persönlich sehr, allerdings "funktionieren" sie eigentlich nur, wenn man hinsichtlich des jeweiligen Autoren vorgebildet ist und gewissermaßen "auf seiner Linie schwimmt". Da ich mich sehr für die - bisweilen - herablassende Art Nietzsches begeistern kann, stehen mir natürlich auch viele seiner Aphorismen sehr nahe ;).
Aphorismen sind bisweilen der Quell absoluter Begeisterung, "ich liebe es" *gg*.

Nihilismus und Existenzialismus werden oft vermengt, sehr wahr - eine fatale Fehldeutung BEIDER Anschauungen.

Grundsätzlich teile ich eigentlich deine Vorbehalte, ich kann weder Optimismus noch Pessimismus als Grundeinstellung wenig abgewinnen ;)
Momentan habe ich für mich beschlossen, Cioran eher als Ästheten zu lesen. Poesie ? Vll. gesellt sich ja noch ein "Nihilist" in diese Runde, der dem ganzen eine andere Perspektive abgewinnt?

---

Hi majanna,

danke auch für deinen Beitrag, Wiederholungen etc. sind immer gerne willkommen, wenn man merkt, dass auch andere sich mit einem Thema beschäftigen, dass einem selbst gerade im Kopf herumschwirrt.

Gruß,

cf
 
Ich hatte ja mit meinen abgeschriebenen Worten durchaus nicht vor, eine Nihilismusdebatte auszulösen. Sie waren nur für die Mitleser gedacht, die vielleicht etwas mehr als den Namen Cioran mit einem Philosophen verbinden wollen .Aber das ist ja bei Dir, cf angekommen.


Nun lese ich, wie Ihr beide, Robin und Du , Euchauf schön intellektuelle Weise breit über den Sinn oder Unsinn von Aphorismen, darüber, ob Kafka ein Nihilist war und über den Nihilismus an sich unterhaltet.

Robin, Du musst ja ganz schön was auf dem Kasten haben , auf dem Zeitkasten, wenn Du es ablehnst, Kurztexte oder Aphorismen zu lesen und lieber „ hinein ins volle Bücherleben“ greifst, wenn Du nicht nur „über jemanden“, sondern von jemandem lesen willst. Diesen Zeitüberschuss habe ich nicht und ich greife – ganz wie cf – zunächst einmal lieber zu Anthologien oder eben Kurztextsammlungen, wenn jemand oder etwas mein Interesse erweckt.
Daraus entstehen dann lebenslange „Freundschaften“. Erich Fromm ist einer meiner Freunde, die ich dann auch mit Interesse öfter lese und dessen Bücher fast vollständig meinen Bücherschrank nicht nur zieren.

Ihr seid beide im Gegensatz zu mir sehr jung und ich denke mal, dass kein wacher Mensch um die Erfahrungen mit nihilistischem Gedankengut herumkommt. Bei mir waren es Kierkegaard und Sartre, auch Camus. Politisch war mir sehr bald klar, dass Nihilismus, nicht umsonst in der Ideologievermarktung mit dem Terrorismus zu sehen, mir keinen Lebenssinn erzeugen kann.

Wir Menschen wissen nur eines gewiss, unsere Sterblichkeit. Diese Tatsache führt zu den seltsamsten Wegen: hedonistisches Dahinleben, Geborgenheit in Transzendenten suchend und findend, Ideologien, die allen Sterblichen schon hier auf Erden „ den Himmel“ bereiten wollen ( Kommunismus), und eben auch die tiefe Verzweiflung darüber, dass wir nichts bewirken können.
Das ist meiner Meinung nach der Ansatz, der in jedem bleibt, der einmal an allem gezweifelt hat. So auch mir. Nur die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit, die mit ihr einhergeht, halte ich nicht aus. Kafka hat sie wohl auch nicht ausgehalten, der - ich stimme Dir zu cf – ein zutiefst verzweifelter Mensch war. Alle seine Werke – ich will auch eitel sein, ich las sie alle – vermitteln diese hoffnungslose Verzweiflung des Menschen, der in anonymen Grenzen gefangen lebt ohne Ausblicke. Sehr gut an der Türsteherlegende zu interpretieren: der Türsteher hätte zwar antworten können, nämlich dass das Tor nur für ihn bestimmt gewesen war, aber der Mann vom Lande fragte eben nicht. Er verwartete in stummer Ergebenheit sein Leben. Hätte er den Türsteher – die Autorität – niedergehauen, weil er den Sinn der zu erwartenden Antwort sowieso in Frage gestellt hätte, wäre er wohl als ein Nihilist zu bezeichnen gewesen

Und ganz in diesem Sinne sehe ich im Nihilismus der Jugend nur einen Schritt vor dem Tor. Fragen müssen wir, nämlich das Leben nach seinem Sinn.
Auch wenn die Trauer bleibt, dass wir wohl nichts bewirken werden, wir hatten die Hoffnung, etwas zu bewirken. Und so erwächst aus Nihilismus in letzter Konsequenz so etwas wie eine geläuterte Lebenssinngebung. Geläutert deshalb, weil wissend, dass nichts , kein noch so schlaues System, keine noch so perfekte Religion den Tod besiegen kann.

Eure altersweise Marianne
 
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Hallo Majanna, Hallo Couer Froid,

ich las gerade, dass es schon einmal einen Thread zu Cioran gab - reichlich bizarr das Ganze. Irgendwie auch beunruhigend.

Ich möchte hier anmerken, dass das Verblüffenste an der Systemtheorie Niklas Luhmanns für mich war, dass sie trennt zwischen Kommunikation und Individuen - und zwar total. Und wo kann man das besser sehen, als im Internet, wo Kommunikation stattfindet, aber die Individuen dahinter verschwinden, nicht nur hinter ihren Pseudonymen sondern generell verschwinden, insbesondere in einem geisterhaften Austausch wie in jenem Thread. Aber das nur so nebenbei.

Ich bin zwar noch jung, Majanna, habe aber trotzdem tragische Zeiten überlebt. Ich war immer ein Kafka-Fan und auch "Der Fremde" las ich begeistert. Was heißt ich las - ich WAR der Fremde. Besonders beeindruckte mich, wie er sagt: Ich sage nichts, weil ich nichts zu sagen habe. Also schwieg ich auch erstmal so drei Jahre.

Auch lehne ich Aphorismen nicht ab - bitte etwas genauer lesen - ich traue ihnen nur nicht. Ich habe gegen Aphorismen nicht mehr als - sagen wir mal - gegen Gedichte ;) Oder Opern. Oder allen Musikstücken länger als 7 Minuten. Ich misstraue ihnen...

Apropos Misstrauen: Ich forschte im Netz nach Cioran und stieß auf eine weiteres Forum. Da sprach einer über Cioran und dass er ihm so sympathisch sei, weil er den Selbstmord verteidige. In mir erklang das Alles recht albern, er redete über seine Vorliebe für Selbstmord so wie andere über ihre Vorliebe für Modelleisenbahnen.
Das nährt in mir alles ein bisschen den Verdacht, dass sich manche einen "krassen" Philosophen raussuchen, um sich zu distinguieren. Mit anderen Worten: Sie posieren. So wie diese Person aus dem anderen Thread, die nur "Input" geben wollte.
Damit will ich icht in Frage stellen, dass Cioran bestimmt poetische und sonstige Vorzüge hat, Schnaps aber schmeckt auch lecker, sein Genuss aber birgt Risiken. uups - war das ein Aphorismus?

Ich möchte noch mal Kunderas These vom "humorvollen" Kafka verteidigen. Ist ja nur ne These. Aber da ich selbst hin und wieder etwas in die Tastatur kloppe, weiß ich, dass Kunst überhaupt nicht dem eigenen Zustand entsprechen muss. Manches wird dann als sehr pessimistisch interpretiert, und ich muss dann abschwächen und sagen: Nein, dass ist eine Idee von Pessimismus aber nicht Pessimismus an sich. Außerdem denke ich, dass man so richtig verzweifelt ÜBERHAUPT NICHT schreiben kann. Vielleicht können es manche, so wie manche mit Erektion pinklen können, ich kann es nicht.

Posen findet man ja oft auch bei Künstlern und im seltensten Fall wissen, sie, dass sie posieren - oder ich weiß nicht, dass sie es nicht tun ;) - wie dem auch sei, meine Grundhaltung bleibt also nicht Pessimismus und nicht Verzweiflung aber: Misstrauen. Ein Konzept.

Freunde, wenn falls es euch nervt, dass ich hier über so manches schreibe, was ich nich gelesen habe, so verspreche ich doch, es nachzuholen. Das ist ja das Schöne an der Kommunikation. Sie irritiert! Und regt mich zum Lesen an.

Ich empfehle hier noch mal wärmstens Kunderas Essays "Verratene Vermächtnisse". Wunderbar gelassen und doch engagiert.

Irgendwas wollte ich noch schreiben, habes aber vergessen. Hat wohl doch irgendwo die systeminternen Grenzen überwunden :)

Eine gute Nacht!
 
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