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Der Tod des Sokrates (Straßentheater 1987) Teil 1

Trestone

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21. November 2020
Beiträge
71
Der Tod des Sokrates

Ein Straßentheater frei nach Plato von Trestone

Skript und Uraufführung: Frankfurt/Main, Hauptwache, Mai 1987

Rollen: Vorredner, Sokrates, Xanthippe, Kriton;
Meletos, Wächter, Klein-Plato (später ergänzt)


Vorspiel auf dem Markt:

Vorredner:
Herbei ihr Leut´
und hört die Geschicht'
wie Sokrates der Philosoph
ward gestellt vor Gericht.

[ vortritt Sokrates.]

Kommt und seht hier die Mär
von einem vielberühmten Mann,
der in Athen vor über zweitausend Jahren
die Weisheit verehrte
und dabei ums Leben kam.

[ vortritt Xanthippe.]

Mit Eifer stand ihm zur Seite
Xanthippe, seine Frau
und wie sie miteinander zankten
zeigen wir hier gleich genau.

[ vortritt Kriton.]

Die Vielzahl seiner Schüler
vertritt Kriton, ein Freund,
der wollte ihm noch helfen
und hat lang dann geweint.

[ vortritt der Wächter.]

Der Wächter im Kerker
- ein herzensguter Mann -
half dem Sokrates sterben,
doch jetzt fangen wir an!



1. Akt: Auf dem Markt

[ 1. Szene: Sokrates und Kriton schlendern umher]

Kriton:
Sage mir, Sokrates, denn man nennt Dich weise,
warum Du von allem so wenig besitzt;
ist es nicht besser, gar vieles zu haben,
zumindest aber von dem, was uns nützt?

Sokrates:
Wohl recht hast Du, Kriton, doch gestatte die Frage:
Weißt Du mir zu sagen, was von all dem uns nützt?

Kriton:
Aber sieh all die Dinge, die man hier kauft in der Stadt,
sind ihrer so viele, wie man kaum je gesehen hat!

Sokrates:
Ja, ich gesteh´s:
Gern geh´ ich umher
und betrachte die Waren.

"Wie zahlreich sind doch die Dinge,
derer ich nicht bedarf!"


[ 2. Szene: Xanthippe kommt von fern mit einem Wasserkrug hinzu]

Kriton:
Wo wir schon Dinge beim Namen nennen,
hier kommt Xanthippe, Deine Frau
und was wir tun oder lassen dürfen,
das weiß Xanthippe stets ganz genau.

Xanthippe: [zu Sokrates]
Find´ich Dich endlich, alter Drückeberger -
hälst wohlfeile Reden, statt am Herde zu sein,
Klein-Plato ist seit heute morgen verschwunden,
das Haus voller Gäste und es fehlt noch an Wein!

Sokrates:
Nur Mut! Denn sind´s maßvolle Gäste,
wird ihnen der Wein nicht fehlen,
sind´s aber Schlemmer,
sollen´s meine Gäste nicht sein.

[leise zu Kriton:]

Paß´auf, wenn´s donnert,
wird´s bald auch Blitz und Regen geben!


Xanthippe: [zu Sokrates]
Halte Du schlaue Reden und verwirre die Leute,
nicht umsonst ist Dein Rücken nach unten so lang,
kommst Du mir nach Hause, will ich munter ihn bläuen,
dann stimme nur an der Weisheit Gesang!

Sokrates:
Aber nicht vor Klein-Plato,
denn die Würde des Vaters
sollte doch hoch in Ehren stehn!

Xanthippe:
Nun dann nimm dieses Wasser,
philosophischer Pudel,
ich muss jetzt nach Haus
zu den Gästen gehn!

[ Begießt Sokrates mit Wasser, tritt ab.]


[ 3. Szene: Sokrates und Kriton]

Kriton:
Unausstehlich ist doch die keifende Xanthippe!

Sokrates:
Kennst Du der Mühle
stetig knarrendes Mahlen?
Nie schläft wohl der Müller
ohne ihr Wiegenlied ein.
Also mit Xanthippe.

Auch übt sich der Rossebändiger
an den feurigsten Pferden
und ihrer erst Herr,
kann er Rössner sein.

Kriton:
Wahrhaftig,
das delphische Orakel sprach wahr,
als es kund tat:

"An Weisheit nimmt es niemand auf mit Sokrates."

Allein ich fürchte dieser Spruch
hat Dir viele Neider geschaffen
unter den Eitlen Gecken dieser Stadt!

[ verweist auf das Publikum ]



Sokrates:
Was gäb´ich darum,
wenn ich wirklich wüßte,
allein ich weiß
mein Nichtwissen nur!
Doch zur allgemeinen Erbauung
wiederhole ich gern
die bekannte Figur:

" oida uk eidoos " [griechisch]
" scio - nescio " [lateinisch]
" ich weiß, dass ich nichts weiß." [deutsch]

[ Alle gehen ab. ]
[ Ende des 1. Aktes ]




2. Akt: Vor Gericht

[ Vorredner, Meletos, Sokrates, Zwischenrufer ]

Vorredner:
Vor Gericht nun gleich entscheidet
sich des Sokrates Los.
Meletos verlangte, er solle sterben,
denn er stellte die Götter bloß.

[ Meletos hält eine pantomimische Anklagerede ]

Vorredner:
Und der erste Spruch
erkannte ihn schuldig,
Verführer der Jugend zu sein.
Man fragte ihn nun,
was er biete zur Buße,
da setzt´er mit folgender Rede ein:

Sokrates:
Wohl! Verteidigen muss ich mich also,
Ihr Athener,
und den Versuch machen,
eine angeschuldigte Meinung,
die Ihr seit langer Zeit hegt,
Euch in so sehr kurzer Zeit
zu benehmen.
Denn wenn ich hier unterliege,
dann nicht dem Meletos,
nicht dem Amytos
oder sonst einem meiner Ankläger,
sondern dem üblen Ruf
und dem Hass der Menge,
wie schon so viele.

Ich will hier nicht bitten:
Denn nicht dazu
ist der Richter gesetzt,
das Recht zu schenken,
sondern genau zu wägen
und Recht zu sprechen
nach dem Gesetz.

Was sagen nun Meletos, Amytos,
meine Ankläger?
Ich erziehe die Jugend
zu falschen Göttern?
Dass diese Heuchler überhaupt
von Göttern zu sprechen wagen!

Den Verderber der Jugend
hatte Meletos schnell gefunden,
allein er hätte besser
einen Besserer gesucht.
Hier aber schweigt Meletos,
der mich doch so beredt anklagte.
Wiewohl Wahres,
dass ich das Wort gerad´ heraussage,
Wahres hat er nicht gesprochen.

Zwar was die Götter betrifft,
klage ich mich an,
ihnen nicht genügend zu folgen.
Doch soweit als möglich
blieb ich meinem Daimonion treu,
schied Gutes und Böses
bei jeglicher Tat.

Wohl also glaube ich
an die Götter, Athener,
wie keiner meiner Ankläger
und überlasse Euch
und dem Gotte
über mich zu richten,
wie es das Beste sein wird

für mich -
- und für Euch!

[ Zwischenruf:] Zur Sache! Die Buße!


Sokrates:
Ihr wollt von mir eine Buße hören?
Auch gegen Euch hielt ich hoch
die Gesetze,
war standhaft im Krieg,
ja manchmal allein,
soll ich dies büßen
so will ich zur Strafe
von allen hier
frei verköstigt sein!

Vorredner:
Es entstand nun Tumult
ob dieser stolzen Rede.
Denn statt Buße
wollt Sokrates
freies Mahl!
Und so rollten
beim Stimmen
die schwarzen Kugeln,
von zweihundert drei
in Überzahl!

[ Alle gehen ab. ]
[ Ende des 2. Aktes ]




3. Akt: Im Kerker

[ Vorredner, Kriton, Sokrates, Xanthippe, Wächter, Klein-Plato ]

Vorredner:
Von zweihundert Losen
waren drei es am Ende
die zur Trauer wendeten
diesen langen Tag
und so fand ihn die Sonne
beim nächsten Dämmern
hinter Kerkerwänden
wo er in Ketten lag
zwar nicht von Eisen,
denn man traut´seinem Worte
doch schwer auf der Seele
sind die Freunde bedrückt.
Es nahet das Ende:
Seht und hört nun, ihr Bürger,
wie ihm das Sterben geglückt.

[1.Szene: Kriton, Sokrates schläft zunächst]

Kriton: Pst, Sokrates, leise!
Der Wächter schläft und die Tore sind offen,
die Wachen bestochen und ein Schiff schon bereit.

Was, er schläft! - sonderbarer Mann,
der an solch einem Morgen schlafen kann!

[ zögert, weckt Sokrates auf]

Sokrates:
Wie, Kriton, Du bist schon um diese Zeit gekommen?
Oder ist es nicht noch früh?

Kriton: Noch gar sehr.

Sokrates: Welche Zeit wohl?

Kriton: Die erste Morgendämmerung.

Sokrates:
Dass Dir der Wächter schon aufgeschlossen hat,
es ist noch nicht einmal hell.
Saßt Du schon lang´ an meiner Seite?

Kriton:
Ja, doch ich habe Deine Ruhe nicht ertragen,
auch jetzt noch spür´ich rinnen die Zeit!

Sokrates: Du denkst an mein Sterben?

Kriton: Deine Rettung!
Nur bis heute ist Dir gesetzt die Frist,
wenn wir jetzt nicht fliehen
kommen die Schergen
und bringen das Gift!

Sokrates: Fliehen?
Es wäre doch frevelhaft, o Kriton,
mich in solchem Alter
beim Sterben
unwillig zu gebärden.
Soll ich mich lächerlich machen
und dem Gesetz
im Tode entfliehen,
für dessen Bestand
ich im Leben so stritt?

Kriton:
Wenn Du auf Dich nicht achtest,
so denke an mich und die Meinen,
sie werden sagen:
Statt den Freund zu retten
hat er sein Gold behalten,
sollen sie meinen,
dass ich Gold höher achte als Dich?
Denn nie werden sie glauben,
Du wärst freiwillig geblieben.

Sokrates: Aber guter Kriton,
was soll uns der Leute Meinung bekümmern?
Denn die Besseren,
auf welche es ehr lohnt,
Bedacht zu nehmen,
werden schon glauben,
es sei so gewesen,
wie es gewesen ist.

Kriton: So hör´denn auf diese.


[2. Szene: Xanthippe mit Klein-Plato tritt hinzu]

Xanthippe: Wahrlich große Ehre
bringt Dir das Sterben,
dickköpfiger Alter:
Statt für Klein-Plato zu sorgen,
schleichst Du Dich
aus dem Hause,
bleibst diesmal für immer
in der Stadt auf dem Markt!

Meinst Du, ich brauche
kein Klappern der Mühle,
will Dich nicht mehr schelten,
finde anders mein Brot?

Sokrates: Auch Du wirst mir fehlen ...,
allein Du hast ja Klein-Plato,
wiewohl ich auch ihn
als Sterblichen gezeugt.

Xanthippe:
Hast Du nicht immer
von Gerechtigkeit gesprochen?
Wahrlich, Du leidest einen ungerechten Tod!

Sokrates: Sähest Du mich lieber zurecht verurteilt?

Xanthippe:
So verurteile ich Dich jetzt zur Flucht ...

Sokrates: ... und zum Tod in Verbannung!

Genug, ich muss bleiben!
Reicht Ihr mir den Becher,
ruft den Wächter herein.

Xanthippe:
Klein-Plato kann jetzt
nicht länger mehr bleiben.

Da Du nur Deinem Daimonium folgst
bleiben wir nun allein.

So sterbe wohl
mit Deinen Freunden.
Es muss wohl so sein!

[ Xanthippe geht mit Klein-Plato ab ]
 
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