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Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

Hartmut

Well-Known Member
Registriert
15. August 2005
Beiträge
3.007
Hallo,

heute las ich im "Spiegel"

http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/660/redaktion_einestages_der_pilot_der_enola_gay_ist_tot.html

die folgende Mitteilung über Paul Tibbets, den Piloten der "Enola Gay":

Er brachte bis zu 140.000 Menschen den Tod: Paul Tibbets steuerte das Kampfflugzeug, das 1945 die Atombombe über dem japanischen Hiroschima abwarf. Jetzt ist der 92-Jährige gestorben.

Er äußerte nie Bedauern über den Einsatz seines Lebens: Paul Warfield Tibbets war der Pilot der "Enola Gay", des Bombers, der am 6. August 1945 zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit eine Atombombe über bewohntem Gebiet abwarf, der japanischen Metropole Hiroschima. Bei der Detonation kamen bis zu 140.000 Menschen ums Leben, unzählige weitere erlitten schwerste Verletzungen. Noch heute sterben jedes Jahr Tausende an den Spätfolgen der heimtückischen Strahlung.

Heute erlag der 92-jährige Tibbets in seinem Haus in Columbus im US-Bundesstaat Ohio einer längeren Herzkrankheit, wie einer seiner Bekannten mitteilte. Seine Rolle beim Abwurf der Bombe hatte er nie öffentlich bereut. Tausende Amerikaner seien dadurch vom Tod verschont geblieben, sagte er in Interviews. Denn so sei eine US-Invasion Japans zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges nicht mehr nötig gewesen.


War der Abwurf der A-Bombe wirklich unvermeidlich? War Tibbets ein Held? Wusste er vorher, welche Folgen sein Auftrag hatte?

fragt
Hartmut
 
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AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

hallo, forianer!

was ja sehr interessant war, ist die tatsache, dass einige internationalen, u.a. auch deutsche blätter in den 50-er bis zu den 80-ern immer wieder berichtet hatten, dass der atombombenabwurf die beteiligten in die persönliche lebenskrise hinein getrieben habe, dass sie alkoholismus haben, dass sie von allen getrennt sind, und dass sie bereuen. spätere reportagen haben belegt, dass die meisten beteiligten, auch der pilot, dies nicht getan haben!
 
AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

Hallo!

Offensichtlich gab es Pflichterfüller in allen Armeen.

Der für mich verwerflichste Satz, oftmals gehört:
"Ich habe nur meine Pflicht getan!"

Kein Zweifel, kein Hinterfragen der eigenen Rolle, kein Erkennen.
Jedes Heer der Welt lebt von diesen Typen.

Mit freundlichen Grüßen
Raphael
 
AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

hallo, raphael!

ja in der armee wird auf die ureigenschaften des gemeinschaftlichen jagens und überlebenwollens gebaut. hierarchien, blinder gehorsam wird auf eine weise wie vor 100 000 jahren gedrillt. allerdings ist das schon lange her. und dass ein soldat seitdem nichts gelernt hat, wenn er solche sätze sagt, beweist mir wie illusionär doch eine grundlegende weiterentwicklung des menschen ist!
 
AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

nun, ich denke mal, keiner von uns war glücklicherweise je im krieg

keiner von uns weiß, wie es ist, wenn man jemand (im krieg) menschen töten musste
musste, weil auf befehlsverweigerung oder auf desertieren nicht gerade geringe strafen standen

hinter aussagen wie besagtes "ich habe nur meine pflicht getan" muss nicht
fehlende erkenntnis, fehlende zweifel oder fehlendes hinterfragen stehen, sondern, es kann auch das fehlen der psychischen genesung bedeuten
wenn man im krieg tötet, hinterlässt dies bei den meisten menschen tiefe psychische wunden
vor allem dann, wenn man dies nicht aus unmittelbarer notwehr, sondern auf befehl handelt; zumeist, um selbst zu überleben (weil hinrichtung bei befehlsverweigerung)
man kennt dies auch von der polizei, wo polizisten, die menschen im dienst töten oder verwunden "mussten" sich zwingend einer psychischen betreuung unterziehen müssen

ich empfinde für die, die im krieg dienst an der waffe leisten mussten, in erster linie mitleid
nur die wenigsten taten dies mit freude; die meisten, weil sie eben mussten

wie sie ihre traumata aufarbeiten, und ob sie es überhaupt tun, sollte ihnen selbst überlassen werden
einstellung wie "du hast im krieg getötet, also leide gefälligst darunter" halte ich für in großem maße arrogant

lg,
Muzmuz
 
AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

btw, wie schon beschrieben, wird man als soldat für den einsatz gedrillt
man wird manipuliert, um die natürliche hemmschwelle, anderen menschen leid anzutun, in speziellen situationen zu senken

durch geplante fadesse (wer beim heer war weiß, dass die meiste zeit fad & öd ist) wird man zusätzilch in einen zustand gebracht, wo man sich nach nahezu jedweder art von "action"
daher auch bilder von truppen, die grölend und jauchzend (mit freudiger spannung) ins kriegsgebiet ziehen
der enthusiasmus ist schnell vorbei, aber dann gibts kein zurück mehr

hat man überlebt, kommt die zeit der besinnung
der ausnahmezustand, in der man nicht in der verfassung ist zu reflektieren, ist vorbei, und damit kommen die psychischen qualen
intensiv erkannt, untersucht und behandelt (wenn auch mit geringem erfolg) hat man das erst ab dem vietnamkrieg
nach dem 2. weltkrieg waren weder wissen noch mittel vorhanden, um die seelischen wunden der überlebenden kriegsteilnehmer zu behandeln

lg,
Muzmuz
 
AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

hallo, muzmuz!

eine klasse zusammenfassung, die du da lieferst. ich glaube es gibt auch direkt forschungsgebiete der psychologie, die sich mit dem phänomen krieg und danach beschäftigen!
 
AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

Hallo,

danke für eure Beiträge. Als Threaderöffner sollte ich mich nun endlich auch in die Diskussion einbringen. Ich möchte aber beim konkreten Anlass bleiben.

Da war zunächst die Frage, ob der Abwurf der A-Bombe auf Menschen unvermeidlich war. Unter Berücksichtigung der damaligen Situation im Krieg zwischen Japan und den USA scheint es keine andere Möglichkeit gegeben zu haben.

Mit der Potsdamer Erklärung vom 26.7.1945 wollten die USA und England Japan eine letzte Chance zur Beendigung des Krieges geben. Die Erklärung enthielt aber auch die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation aller japanischen Streitkräfte. Andernfalls würde man Japan umgehend und völlig zerstören.

Eine bedingungslose Kapitulation kam für die Japaner aber nicht in Frage. So kämpften sie verbissen und fügten den Amerikanern weiterhin grosse Verluste zu.

Nach dem erfolgreichen Test einer A-Bombe am 16.7.1945 (Trinity-Test) verfügten die USA über eine Waffe, mit der sie den Japanern einen solchen Schock versetzen konnten, dass diese bedingungslos kapitulieren würden. Mit dem Einsatz dieser Waffe wollten die Amerikaner nicht warten, bis die Russen - wie diese für die zweite Augusthälfte angekündigt hatten - in den Krieg gegen die Japaner eingreifen. Das Eingreifen der Russen hätte für die Japaner das Aus bedeutet.

Verteidigungsmininister Stimson sagte 1947:

"Mein vorrangiges Ziel war es, den Krieg mit einem Sieg zu beenden und dabei die Verluste an Menschenleben innerhalb der Streitkräfte ... so gering wie möglich zu halten. Angesichts der Alternativen, die uns - nach realistischer Einschätzung - offenstanden, glaube ich, dass kein Mensch in unserer Position und mit unserer Verantwortung es geschafft hätte - wenn er eine Waffe in Händen hätte, die ihm solche Möglichkeiten bot, dieses Ziel zu erreichen -, sie nicht einzusetzen und hinterher seinen Landsleuten noch ins Gesicht zu sehen."

Was man aber nicht vergessen sollte:
Der Einsatz der A-Bombe sollte der Welt, insbesondere den Russen, zeigen, wer künftig "der Herr im Hause" ist.

Und nicht zuletzt galt es, vor dem amerikanischen Kongress die Investition von 2 Milliarden Dollar für den Bau von A-Bomben zu rechtfertigen.

Wusste nun Tibbets, welche Folgen sein Auftrag hatte?

In einer Einsatzbesprechung am 4.8.1945 teilten Experten den Besatzungen der B-29-Bomber mit, dass die abzuwerfende Bombe etwas Neues in der Geschichte der Kriegführung darstellte, die vernichtendste Waffe, die je entwickelt wurde. Sie werde wahrscheinlich ein Gebiet von 5 km Durchmesser fast völlig zerstören. Man beschrieb den am 16. Juli 1945 durchgeführten Trinity-Test, den Lichtblitz, die Hitze- und Druckwelle, die pilzförmige Wolke. Die Druckwelle habe einen Mann noch in 9 km Entfernung zu Boden geworfen. Leute in 16 und 32 km Entfernung seien vorübergehend erblindet. Über die möglichen Folgen der Strahlung wurde gewiss nicht informiert.

Was Tibbets betrifft, so sagte er zum Abschluss der Einsatzbesprechung, er empfinde es als eine persönliche Auszeichnung, für ein solches Unternehmen ausgewählt worden zu sein, für ein Unternehmen, das den Krieg mindestens um ein halbes Jahre abkürzen werde.

Unmittelbar nach dem Abwurf der Bombe verkündete Tibbs über die Bordsprechanlage: " Kameraden, ihr habt gerade die erste Atombombe der Geschichte abgeworfen."

Nun, der Befehl zum Abwurf der A-Bombe auf Hiroshima wurde von höchsten Militärs bzw. Politikern gegeben. Leute wie Tibbs waren lediglich Ausführende. Es ist aber unfassbar für mich, wenn Tibbs das Geschehen später mit folgenden Worten kommentierte: "Es war alles ganz unpersönlich."

Gruss
Hartmut

P.S.:
Am 6.8.1945 befanden sich zwischen 280'000 und 290'000Zivilisten sowie 43'000 Soldaten in Hiroshima. Die A-Bombe tötete ca. 60'000 Menschen sofort und Zehntausende danach.
Es ist ein Kennzeichen "moderner" Kriege, dass die meisten Opfer Zivilisten sind.
 
AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

hallo hartmut,

warum ist der kommentar für dich unfassbar ?

lg,
Muzmuz
 
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AW: Der Pilot der "Enola Gay" ist tot

warum ist der kommentar für dich unfassbar ?

... weil ich es nicht fassen kann, dass das Ausradieren einer ganzen Stadt binnen weniger Minuten durch eine einzige Bombe keine persönlichen Eindrücke hinterlässt.

Eine Ahnung von dem Grauen, das sich da unten in der Stadt abspielen würde, geben Aussagen anderer Besatzungsmitglieder der "Enola Gay" [1].

So verglich der Navigator T. Van Kirk das Bild, das er sah, mit einem "Topf voll von kochendem schwarzen Öl". Und der Bordschütze R. Caron erinnert sich:

"Ich sehe es noch vor mir - diesen Pilz und diese brodelnde Masse -, es sah aus wie Lava oder wie Melasse, die die ganze Stadt bedeckte ..."

So ganz unpersönlich war der Einsatz wohl doch nicht,

meint
Hartmut

[1] R. Rhodes: Die Atombombe oder die Geschichte des 8. Schöpfungstages, Verlag Volk und Welt, Berlin, 1990
 
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