AW: 11. September 2001
Ich hatte mit einem sehr kostenträchtigen Fall zu tun, es ging um einen Streit zwischen zwei mittelständischen Unternehmen über die Lieferung bestimmter Erzeugnisse und mehrere 100.000 DM. Um dem Gegner eine Rügepflichtverletzung nachweisen zu können, benötigte ich den genauen Abgleich nicht weniger als ca. 500 Lieferscheinen mit einem Spediteur. Das war eine ziemliche Horrorarbeit und der völlig konsternierte Spediteur sprach mich nach 1 1/2 Stunden Telefonat an, wenn er gewußt hätte, was heute auf ihn zukommt, wäre er nie an den Apparat gegangen, das sei wie ein Erdbeben, eine Naturkatastrophe...
Wir machten eine Pause und meine Sekretärin kam herein. Es sei ein Flugzeug oder mehrere ins WTC geflogen, außerdem ins Pentagon, ob ich erlaube, dass im Büro ein Radio angemacht werde und man da rein hören könnte. Ich begriff die Tragweite zunächst gar nicht und konterte, wir könnten nicht für jeden bescheuerten Flugzeugabsturz die Arbeit unterbrechen. Meine Sekretärin begriff wie üblich die Tragweite viel schneller und reagierte leicht verärgert. Ich versprach, mal nach oben zu sehen und den Fernseher anzuschalten. Dort lief schon der Fernseher und ich begriff dann auch, daß das kein alltäglicher Absturz war. Ich meine, die Türme standen noch und eine deutsche Korrespondentin aus NY erklärte, sie halte die Fenster geschlossen, man wisse ja nicht, was für Gase bei der Verbrennung entstünden.
Ich ging dann runter und bot an, wir könnten für heute Schluß machen und oben die Bilder anschauen, nur das Telefon solle anbleiben.
Dann rief der Spediteur wieder an, um mit den nächsten 200 Lieferscheinen weiter zu machen. Ob ihm das nichts ausmache, fragte ich nach einer Zeit, während der Ereignisse stundenlang Lieferscheine abzugleichen. Er wußte gar nicht wovon ich rede und auch als ich es erzählte, verstand er es nicht. Wir fuhren fort.
Meine Eltern kamen vorbei und brachten die Kinder zurück, mit denen sie im Schwimmbad waren. Ich bot an, wir könnten zusammen Nürnberger Würstchen mit Sauerkraut essen, ich müsse nur noch schnell einkaufen. Wir könnte ja nebenbei gelegentlich schauen, was es neues gibt. Heute kommt mir das irgendwie strange vor, diese Kombination.
In dem völlig leeren Supermarkt traf ich an der Kasse einen Soldaten, der irgendetwas von Alarmbereitschaft in der Kaserne erzählte. Ich scherzte noch und meinte, in unserer verlassenen Gegend werde sich schon kein Terroranschlag ereignen, nicht einmal der bescheuerste Terrorist werde auf eine solch hirnverbrannte Idee kommen.
Abends sah ich mir die ganzen Berichte auf allen möglichen Sendern, die ganzen Schillis, Wickerts usw. an, war natürlich wie sicher viele andere mehr als irritiert vom Zungengetriller der Palästinenser (war das überhaupt echt, ist ja umstritten), gespannt auf Putins Reaktion, natürlich auch die von Bush, der bis dato ein ziemlich unbeschriebenes Blatt war, ein einfach nur blasser Präsident. Verstörend und traurig waren natrülich vor allem die Berichte von den Opfern und das ganz andere Bild der sich sonst gar nicht so hilflosen darstellenden Amerikaner. Die Nachricht, daß El Kaida Leute auch den Massud in Afghanistan ermordet hatten, hat mich auch traurig gemacht, zumindest ließ sich Ansätzen bereits erahnen, daß dann die Amerikaner sicher etwas tun werden. Die für mich sehr schnelle Sicherheit aller Fachleute, daß wieder dieser Bin Laden dahinter stecke. Und dann - das war mit das seltsamste - ging es auf irgendeinem Sender weiter mit dem vorgesehenen Programm, da lief "Ein Köder für die Bestie" mit Gregory Peck...
Das Hin und Her zwischen alltäglicher Normalität und bizarrer Szenerie war das, was mir am besten in Erinnerung geblieben ist. Angst habe ich ehrlich gesagt zu keinem Zeitpunkt bekommen, ich war mir ziemlich sicher, dass der Westen sich auch davon nicht kirre machen lassen würde. Auch in dem Punkt habe ich die Situation an dem Tag wohl nicht so ganz richtig eingeschätzt.
Viele Grüße
Zwetsche